Warum haben Sie am 3.7.14 gegen die Rentenangleichung in Ostdeutschland an Westniveau gestimmt?

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Frage von Norbert H. •

Warum haben Sie am 3.7.14 gegen die Rentenangleichung in Ostdeutschland an Westniveau gestimmt?

Sehr geehrter Herr Heinrich,
als Quelle für meine Frage kann ich ich die heute im Briefkasten vorgefundene Zeitung des AFD-Kreisverbandes Chemnitz nennen, wo sich wiederum auf www.abgeordnetenwatch.de bezogen wird.
Es sind auch noch weitere Abstimmergebnisse Ihrer Person veröffentlicht, die ich nicht nachvollziehen kann, wo Sie doch für uns Chemnitzer im Bundestag sitzen und eigentlich die Interessen Ostdeutschlands vertreten sollten.
Für eine Antwort wäre ich Ihnen dankbar.
Mit freundlichen Grüßen
N.H.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr H.,

vielen Dank für Ihre Frage. Insbesondere danke ich Ihnen, dass Sie mir damit die Möglichkeit geben, hier öffentlich Stellung zu beziehen.

Ehrlich gesagt, finde ich diese polemische Art der AfD, Herrn Müller und mich in Misskredit zu bringen, dreist und schamlos. Meines Erachtens werden die Leserinnern und Leser bewusst in die Irre geführt, denn eine solche Auflistung wie in der AfD-Zeitung, die in Ihrem Briefkasten war, sagt ohne die genauen Kenntnisse rund um die jeweiligen Anträge und Gesetzesentwürfe überhaupt nichts aus. Mein Kollege Müller hat übrigens im Wahlkampf 2013 eine ähnliche, wenn auch weniger umfangreiche Auflistung als Anzeige veröffentlicht, die ich damals ebenso kritisiert habe. Immerhin hat er damals SPD-Anträge aufgelistet, die in der Opposition entstanden sind und keine Mehrheit gefunden haben. Die AfD zitiert bis auf eine Ausnahme nur Anträge und Gesetzentwürfe von der Partei DIE LINKE, FDP und Bündnis90/Die Grünen.

Zunächst ein paar Worte zur Funktionsweise unserer parlamentarischen Demokratie, auch auf die Gefahr hin, dass Ihnen, Herr H., das alles bekannt ist, anderen Lesern aber möglicherweise nicht. Nach jeder Bundestagswahl bildet sich eine Regierungskoalition aus mindestens zwei Parteien (eine einzelne Partei könnte auch allein Regierungsfraktion sein, aber das ist zunehmend unwahrscheinlicher zu erreichen). Die Regierungskoalition beansprucht für sich, ihre eigenen Ideen und Vorstellungen in Gesetze zu gießen und damit das Land und unser Zusammenleben zu gestalten. Es kommt vor, dass wir uns von den Oppositionsparteien und ihren Vorschlägen inspirieren lassen, letztlich sind es aber unsere eigenen Anträge und Gesetzesentwürfe, denen wir zustimmen und nicht die Anträge der Opposition. Von außen mag das manchmal unverständlich oder gar kleinkariert wirken, aber nur die Regierungskoalition hat den Auftrag der Mehrheit der Wähler, das Land zu gestalten und diesen Auftrag nehmen wir ernst. Mit anderen Worten: Wir wollen dem Land im positiven Sinne unseren Stempel aufdrücken. Zu vielen Gesetzentwürfen der Regierungsfraktionen werden Sie ganz oft Oppositionsanträge finden. Gerade die Plattform abgeordnetenwatch macht es einem relativ leicht, sich durch die unterschiedlichen Abstimmungen zu klicken. Wenn Sie mögen, vergleichen Sie doch einmal die unterschiedlichen Anträge von Regierung und Opposition und Sie werden sehen, dass es sehr oft eine Schnittmenge gibt.

Im Folgenden erläutere ich gerne ein paar Sätze zu jeder einzelnen Abstimmung, welche die AfD in ihrer Zeitung nennt.

  • Transparenzregelungen für Abgeordnete vom 26. März 2021: Der Antrag wurde von den Linken eingebracht. Die AfD hat nicht etwa zugestimmt, sondern sich enthalten. Der Antrag fiel in die Zeit der Maskenaffären, die zu Recht stark kritisiert wurden. Die betroffenen Personen haben persönliche Konsequenzen gezogen. Wir als CDU/CSU-Fraktion haben umgehend eine deutliche Verschärfung des Abgeordnetengesetzes vorgeschlagen, die wir dann gemeinsam mit der SPD, Linken (!) und Grünen Mitte Juni auch durchgesetzt haben. Bei diesem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, Linken und Grünen enthielten sich übrigens die FDP und erneut die AfD. Mit der bisher umfassendsten Reform des Abgeordnetengesetzes werden die Abgeordneten verpflichtet, ihre Einkünfte neben dem Mandat genau offenzulegen (die bisherigen großzügigeren Spannen sowie die Mindestgrenze zur Offenlegung fallen weg), bezahlte Lobbyarbeit und Beratertätigkeiten wurden verboten etc. Der Antrag der Linken vom März 2021 wurde sozusagen detaillierter und teilweise auch verschärfter im Juni verabschiedet.
  • Wahlrechtsreform: Gesetzentwurf von Grünen, FDP und Linken zur Verkleinerung des Bundestages vom 03. Juli 2020: Auch hier haben CDU/CSU und SPD einen eigenen Vorschlag zur Wahlrechtsreform eingebracht, der am 08. Oktober 2020 verabschiedet wurde. Das Wahlrecht so zu verändern, dass der Bundestag nicht weiter anwächst, war ohnehin auf unserer Agenda. Zunächst werden die Überhangmandate künftig teilweise mit Listenmandaten in anderen Ländern verrechnet und bis zu drei Überhangmandate bleiben gänzlich aussichtslos. Die Reduzierung der Wahlkreise von 299 auf 280 wird erst ab der nächsten Bundestagswahl 2025 erfolgen. Ich wünsche mir sehr, dass alle drei Stellschrauben ein weiteres Anwachsen des Parlaments verhindern. Darüber hinaus stehen auch noch weitere Vorschläge bereits zur Debatte.
  • Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 vom 19. Dezember 2019: Die Einführung der CO2-Steuer auf Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas ist eine von zahlreichen Maßnahmen des Klimaschutzprogramms 2030, die dabei helfen sollen, das Klima zu schützen. Die Steuer gilt seit Januar 2021, muss aber bislang nur von Unternehmen bestimmter Sektoren bezahlt werden, wie etwa Fluggesellschaften oder Industrieunternehmen, die eine große Menge Treibhausgas produzieren. Später werden wir alle für Benzin und Heizkosten mehr bezahlen müssen, um unsere CO2-Bilanz zu verbessern. In unserem Wahlprogramm steht, dass dies für niedrigere Einkommen kompensiert werden soll. Ich halte das – als eine Maßnahme von vielen – für den richtigen Weg und sehe auch in der Bevölkerung eine sehr breite Mehrheit für klimabewusstes Handeln.
  • Abschaffung des Solidaritätszuschlags vom 13. Dezember 2018 (Gesetzentwurf der FDP): Wie Sie vermutlich wissen, ist der Solidaritätszuschlag seit Januar 2021 für rund 90 Prozent aller Steuerzahler/-innen Geschichte. Nur wer ein Einkommen über 73.000 Euro (Alleinstehende) bzw. 151.000 Euro (Verheiratete) hat, zahlt ihn teilweise oder ganz weiter.
  • Erhöhung Kindergeld und Kinderfreibetrag im Rahmen des Familienentlastungsgesetz: Änderungsantrag der AfD-Fraktion vom 08. November 2018: Ich finde es schon besonders unverschämt, dass die AfD sich in der AfD-Zeitung, die Sie bekommen haben, beschwert, dass CDU/CSU und SPD ihrem AfD-Änderungsantrag nicht zugestimmt haben. Der Änderungsantrag bezieht sich nämlich auf das von der Bundesregierung eingebrachte "Gesetz zur steuerlichen Entlastung von Familien". Darin wurde festgeschrieben, Familien ab 2019 besser zu fördern und steuerlich zu entlasten, das Kindergeld zu erhöhen (!) und den Kinderfreibetrag anzuheben (!). Weder Herr Müller noch ich haben also gegen eine Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages gestimmt, ganz im Gegenteil! Im Änderungsantrag der AfD wird dagegen mit keiner Silbe weder Kindergeld noch Kinderfreibetrag erwähnt, sondern es geht um weitere steuerliche Regelungen, die geändert werden sollen, womit nach Auffassung der AfD weniger Menschen den Spitzensteuersatz zahlen müssten. Beeindruckende 552 Abgeordnete und damit alle im Parlament vertretenen Fraktionen außer der AfD haben den Antrag abgelehnt.
  • Diätenanpassung der Abgeordneten vom 13. Dezember 2017: Die Diätenanpassungen sind immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Es ist grundsätzlich schwer zu bewerten, wie hoch Verantwortung vergütet werden sollte. Das Verfahren ist wie folgt: Zur Bemessung der Diäten wurde der Vorschlag einer unabhängigen Kommission von Sachverständigen herangezogen. Die Kommission kam bereits im März 2013 übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass sich die Abgeordnetenentschädigung künftig genauso wie die Verdienstentwicklung der ca. 35 Millionen abhängig Beschäftigten in Deutschland entwickeln soll und zwar im positiven wie im negativen Fall. Die Kommission empfahl: Nur wenn die Löhne und Gehälter in Deutschland steigen, dann sollen auch die Diäten steigen. Diesen Vorschlag hat der Bundestag daraufhin als Gesetz beschlossen und gleichzeitig geregelt, dass jeder neu gewählte Bundestag innerhalb von 3 Monaten entscheiden muss, ob auch er diese Regelung weiter anwenden oder die Diätenanpassungen auf andere Weise regeln will. So kommt es nun immer zu Beginn einer Wahlperiode zur Abstimmung. Die Diäten orientieren sich übrigens an der Besoldung eines Richters an einem obersten Bundesgericht. Bundestagsabgeordnete sind wie Bundesrichter weisungsfrei und treffen Entscheidungen mit Wirkung für das gesamte Bundesgebiet. Genau deshalb steht diese Orientierungsgröße auch seit 1995 bereits im Gesetz, auch wenn wir sie tatsächlich erst in der letzten Wahlperiode erreicht haben. Deutlich wird die Orientierung an der Verdienstentwicklung auch daran, dass die Diäten letztes Jahr gar nicht verändert wurden und in diesem Jahr gesunken sind.
  • Angleichung der Rentenansprüche von DDR-Bergleuten sowie Angleichung der Rentenansprüche von DDR-Krankenschwestern vom 19. Januar 2017: Beide Anträge hat die Linksfraktion eingebracht und sie war auch die einzige Fraktion, die zugestimmt hat. Es ist ihr nicht einmal gelungen, die zweite Oppositionspartei zur damaligen Zeit im Bundestag – die Grünen – von ihren Anträgen zu überzeugen. Die Linken versuchen seit vielen Jahren, Lobbyarbeit für bestimmte Personenkreise zu machen, die ihrer Meinung nach anders hätten berücksichtigt werden müssen bei der Rentenüberleitung. Für die allermeisten Gruppen ist die Rechtmäßigkeit der Rentenüberleitung durch mehrere sozialgerichtliche Instanzen geprüft und bestätigt wurden. Ich kenne mich hier gut aus, weil ich mich jahrelang selbst für die eine oder andere Gruppe eingesetzt habe. Insgesamt sehe ich kaum Chancen für eine nachträgliche Veränderung und finde es vor diesem Hintergrund auch unangemessen, dass die Linkspartei leider immer wieder Hoffnungen schürt, die nicht umsetzbar sind. Die Justiz hat das deutlich gemacht.
  • Rückwirkende Erhöhung von Kinderfreibetrag und Kindergeld vom 18. Juni 2015: Ähnlich wie beim Familienentlastungsgesetz (s.o.) handelt es sich hier „nur“ um einen Änderungsantrag zu einem Gesetzentwurf der Bundesregierung. Der Änderungsantrag kommt in diesem Fall von den Grünen (seit wann sympathisiert die AfD mit den Grünen?) und bezieht sich auf ein Gesetz der Bundesregierung zur Erhöhung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags. Das können Sie im Übrigen auch direkt bei abgeordnetenwatch nachlesen. Die Erhöhungen waren damals für 2015 und 2016 vorgesehen. Die Grünen setzten sich dafür ein, den Kinderfreibetrag auch rückwirkend für 2014 um 72 Euro anzuheben und das Kindergeld ebenso rückwirkend für 2014 um 2 Euro pro Monat zu erhöhen. Die Steuermindereinnahmen hätten aufgrund der rückwirkenden Erhöhung insgesamt ca. 430 Mio. Euro ergeben. Der Änderungsantrag der Grünen fand keine Mehrheit.
  • Angleichung der Renten in Ostdeutschland an Westniveau vom 03. Juli 2014: Dieser Antrag der Linken ist einmal mehr „klassisches Säbelrasseln“ der Opposition. Das Anliegen ist völlig berechtigt und ich unterstützte es immer zu 100 Prozent, allein CDU/CSU und SPD hatten es seit jeher selbst auf der Agenda und hatten auch 2014 schon einen klaren Fahrplan, wie sie die Rentenangleichung umsetzen wollen. Wie Sie vermutlich wissen, wurde bereits Ende 2016 der Weg zur vollständigen Rentenangleichung gesetzlich auf den Weg gebracht: Sie wird in insgesamt sieben Schritten erfolgen und im Jahre 2025 abgeschlossen sein. Die Kosten werden auf bis zu 4 Milliarden jährlich steigen, die ab 2022 etwa hälftig von Rentenversicherung und Bund aufgebracht werden müssen.
  • Diätenerhöhung 2014 vom 21. Februar 2014: Hier hat sich die AfD in all ihrer Unverfrorenheit offenbar selbst ein Bein gestellt. Ich habe aus oben genannten Gründen der Diätenanpassung auch im Februar 2014 zugestimmt. Auch das ist also eine Falschdarstellung, wenn auch offensichtlich ungewollt.

In der von der AfD abgedruckten Liste über mein Abstimmungsverhalten sehe ich eindeutig falsche Darstellungen der Tatsachen. Ich erwäge, juristisch dagegen vorzugehen.

Was das Abstimmungsverhalten der AfD betrifft, auf das in der Publikation ebenfalls eingegangen wird, so möchte ich anmerken, dass 11 der 90 AfD-Abgeordneten zur Abstimmung am 19.12.2019 über das Klimaschutzprogramm (inkl. Einführung einer CO2-Steuer) gar nicht anwesend waren. Bei der Abstimmung am 13.12.2017 zur Anpassung der Diäten enthielt sich ein AfD-Abgeordneter und weitere vier waren ebenfalls nicht dabei. Beide Entscheidungen können bei abgeordnetenwatch nachgelesen werden. Von einer „geschlossenen Abstimmung der AfD-Fraktion“ gegen beide Gesetzentwürfe kann also keine Rede sein.

Zu guter Letzt: Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags im Jahre 2018 hat die FDP gefordert, nicht die AfD (s.o.). Zudem ist es grundlegend falsch, dass die AfD im November 2018 die Erhöhung von Kindergeld und Kinderfreibetrag gefordert haben soll (s.o.). Auch diese groben Falschdarstellungen, welche die AfD am Ende ihrer Aufzählung noch einmal macht, sind juristisch angreifbar.

Sehr geehrter Herr H., ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesen Informationen weiterhelfen konnte. Bei Rückfragen kommen Sie gerne auf mich zu.

Mit freundlichen Grüßen

Frank Heinrich