Frage an Franziska Brantner bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Franziska Brantner
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Frage von Helmut S. •

Frage an Franziska Brantner von Helmut S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Ethnische Vertreibung in der Westbank?

Sehr geehrte Frau Brandtner,

Vor kurzem las ich im Internet, in der "Area C" der West Bank (seit dem Oslo-Abkommen ist das Gebiet in die Zonen A, B und C unterteilt), die 62 % der Gesamtfläche der West Bank abdeckt, leben heute noch 5,8 % der palästinensischen West-Bank-Bevölkerung. (Quelle: European Heads of Mission in Jerusalem and Ramallah / "Area C and Palestinian State-building" July 2011)

Bei diesen 62 % handelt es sich um den strukturell und ökonomisch interessanteren Teil der West Bank. Unter anderem gehört dazu das fruchtbare und für die Wasserversorgung wichtige Jordantal. In diesem lebten 1967 zwischen 200.000 und 320.000 Palästinenser. Im Jahre 2011 waren noch 16.800 Einheimische mit festem Wohnsitz dort ansässig.

Sind Sie der Meinung, dass die Vorgänge in der Area C den Tatbestand der ethnischen Vertreibung im Sinne des Völkerrechts erfüllen?

Mit der Bitte um eine substantielle Antwort grüße ich Sie.

Helmut Suttor

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Suttor,

vielen Dank für Ihre Frage und für Ihr Interesse an internationalen Themen. Es freut mich, dass Sie sich für so wichtige Werte wie Gerechtigkeit einsetzen. Bleiben Sie bitte weiterhin engagiert und aktiv!

Sie fragen, ob die mutmaßliche Verdrängung von Palästinensern aus der Area C der Westbank als ethnische Vertreibung im Sinne des Völkerrechts bezeichnet werden kann. Diese Frage kann Ihnen ein Jurist wohl besser beantworten als ich. Dennoch biete ich Ihnen nachfolgend eine Einschätzung aus meiner politischen Sichtweise.

Nach meinen Informationen verstoßen Vertreibungen in Friedenszeiten gegen eine ganze Reihe internationaler Verträge: angefangen mit der UNO-Charta, außerdem gegen die Menschenrechtserklärung von 1948 und gegen die Menschenrechtspakte von 1966.

Unsere Grüne Fraktion im Europaparlament hat im Dezember eine Resolution vorgeschlagen, in der wir klar machen, dass die momentane israelische Regierungspolitik, und dabei im Besonderen ihre Siedlungspolitik, die Zwei-Staaten-Lösung massiv gefährdet. Die Unterteilung in Area A, B und C war ursprünglich als temporäre Lösung geplant - die gegenwärtige Entwicklung deutet jedoch eher auf eine Verfestigung der geographischen Teilung der Westbank hin.

Wir europäische Grüne fordern deshalb einen unmittelbaren Baustopp für israelische Siedlungen, da diese nicht nur völkerrechtlich illegal sind, sondern auch die Perspektive einer Zwei-Staaten-Lösung ernsthaft gefährden. Die Grünen fordern die EU-Außenbeauftragte auf, Israel zur Einhaltung des Völkerrechts und zur Befolgung bestehender VN-Resolutionen zu drängen. Ashton muss eine europäische Israelpolitik vorantreiben, welche der Verletzungen Israels internationaler Verpflichtungen durch die Regierung Netanyahu Rechnung trägt. Die Grünen fordern als entsprechende Maßnahmen den Abzug des EU-Botschafters zu erwägen und Richtlinien für die zwingende Kennzeichnung israelischer Siedlungsprodukte zu erlassen. Eine Zweistaatenlösung ist aus Grüner Sicht nur bei der Schaffung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 mit einem zusammenhängenden Gebiet und Ostjerusalem als Hauptstadt möglich. Der angekündigte Siedlungsausbau rückt diese Lösung in noch weitere Ferne.

Das Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und Israel begründet eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Basis gemeinsamer Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit. Die aktuellen Entwicklungen in Israel und den besetzten Gebieten müssen uns daher mit tiefer Sorge erfüllen. Die vor Weihnachten geschehenen Überfälle der Polizei auf palästinische NGOs plus die gegenwärtigen Umfrageergebnisse und stets wachsende Zustimmung zur rechtsgerichteten nationalreligiösen Jewish Home Party sind deshalb jetzt im Vorfeld der Parlamentswahlen besonders beunruhigend. Die europäische Außenbeauftragte Catherine Ashton und alle EU-Vertreter müssen sich deshalb vor allem jetzt bei der israelischen Regierung dafür einsetzen, dass internationales Recht respektiert wird.

Beste Grüße
Franziska Brantner

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