Frage an Gesine Lötzsch bezüglich Finanzen

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Gesine Lötzsch
DIE LINKE
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Frage von Bianca S. •

Frage an Gesine Lötzsch von Bianca S. bezüglich Finanzen

Sehr geehrte Frau Dr. Lötzsch.
Thema Aussiedlerpolitik.
Zuerst einmal : ich bin nicht fremdenfeindlich!
Ist es richtig, dass Aussiedlerfamilien (sie kommen ja nicht einzeln) bei Eintreffen in DE,sofern sie im arbeitsfähigen Alter sind, sofort Arbeitslosengeld erhalten? Werden die Qualifikationen gründlich geprüft oder kann es sein, dass ein höherer Titel angegeben wird und dementsprechend hoch Unterhalt gezahlt wird.Wird dieser Unterhalt (auch Rente) von dem Geld der Bundesbürger gezahlt, das diese für ihre Arbeitslosen- bzw. Rentensicherung eingezahlt haben? Wenn ja, dann sehe ich das als Veruntreuung der eingezahlten Gelder an. Ich möchte keinerlei Beleidung aussprechen, aber in der freien Wirtschaft würde dies sicherlich so bezeichnet werden.
Warum werden die Spätaussiedler immer jünger, hierbei kann es sich doch nur noch um die nachfolgenden Generationen der berechtigten Anspruchsnehmer handeln, also nicht diejenigen, die ursprünglich einmal davon betroffen waren. In welcher Höhe ist das Begrüßungsgeld, dass jeder hier in DE eintreffende Aussiedler bekommt? Ist es richtig, dass die Aussiedler zinsgünstige oder sogar zinslose Kredite erhalten, wenn ja warum (werden sie den deutschen Bundesbürgern gegenüber bevorteilt)? Warum bekommen sie im Vergleich zum deutschen Bundesbürger auch bei sonstigen Leistungen mehr und leichter(finanzielle) Unterstützung als der Bundesbürger selbst (Stichwort:Kuraufenthalte, medizinische Behandlungen wie Krankengymnastik, Massagen etc.)? Wie sieht die zukünftige Politik zu diesem Bereich aus (Facts & Figures).Besten Dank für Ihre baldige Stellungnahme.
Grüße
Bianca Seidel
14.01.2007

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DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Seidel,

ich bedanke mich für Ihre Anfrage und bin froh, dass Sie mir die Gelegenheit geben, mit einigen Vorurteilen "aufzuräumen".

Leider erinnert bereits Ihr Eingangsstatement "ich bin nicht fremdenfeindlich!" an die Floskel "ich habe nichts gegen Ausländer...", der stets - und so auch in Ihrem Fall - ein großes ABER folgt.

Nun aber konkret: Die Behauptung, dass (Spät-)Aussiedler/innen zinsgünstige Kredite erhalten würden, dass sie gegenüber Bundesdeutschen bevorzugt würden (etwa bei Kuren, Behandlungen) usw. muss in das Reich der Mythen, Legenden und unbegründeten Vorurteile verwiesen werden! Mich überrascht, wie hartnäckig sich solche Gerüchte, die durchaus geeignet sind, Fremdenfeindlichkeit zu fördern, halten. Es gab zwar mal die Möglichkeit zinsverbilligter Einrichtungsdarlehen an Aussiedler/innen beim erstmaligen Bezug einer Wohnung - dies wurde jedoch bereits im Jahr 1992 (!) abgeschafft.

Die Höhe des "Begrüßungsgeldes" (eigentlich: "Betreuungsgeld") beläuft sich auf genau 11 Euro! Als Ausgleich für Umzugskosten werden maximal 102 Euro gezahlt. Bei Bedürftigkeit erhalten Aussiedler/innen von der Friedlandhilfe Sachleistungen (kein Geld) in Höhe von 25 Euro. Sie werden mir zustimmen, dass es hier nicht um große Summen geht.

Aussiedler/innen haben Anspruch auf eine halbjährige Sprachförderung - wogegen wohl niemand ernsthaft etwas einwenden kann.

Es gibt ein "Akademikerprogramm", nach dem Hochschulabsolventen und Wissenschaftler/innen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren unter bestimmten Bedingungen gefördert werden können. Dieses Programm ist sehr sinnvoll, denn Sie müssen sich vorstellen, dass das Wissen und die erworbene Qualifikation von Spätaussiedler/innen mit der Einreise völlig entwertet werden, da die Ausbildungssysteme von Deutschland und Russland nicht vergleichbar sind und ein ausländischer Hochschulabschluss unter Umständen nicht anerkannt wird. Die Betroffenen werden also nur insoweit gefördert, dass sie sich entsprechend deutscher Ausbildungsanforderungen "nachqualifizieren" können, damit sie anschließend in ihrem erlernten Beruf und entsprechend ihrer Qualifikation - häufig etwa als Ärzte/innen - arbeiten können, und das ist allemal sinnvoller, als wenn sie mit all ihren Kenntnissen und Berufserfahrungen arbeitslos blieben, weil ihre Qualifikation formal nicht anerkannt wird!

Bis zum 1.1.2005 erhielten Spätaussiedler/innen eine "Eingliederungshilfe" für die Dauer von bis zu 6 Monaten, wenn sie im Herkunftsland einer beitragspflichtigen Beschäftigung nachgingen und in Deutschland sich beim Arbeitsamt als arbeitssuchend meldeten und für eine Arbeitsvermittlung zur Verfügung standen (und über kein anderes Einkommen verfügten). Diese Hilfe entsprach in etwa der Sozialhilfe - sie wurde nicht ergänzend zur Sozialhilfe gezahlt. Auch diese Regelung gilt wohlgemerkt nicht mehr, aber auch sie war sicherlich keine unbotmäßige "Besserbehandlung" von Aussiedler/innen gegenüber Bundesbürger/innen.

Eine einmalige "Entschädigung" erhalten Spätaussiedler/innen, die vor 1956 bzw. 1946 geboren sind, nur dann, wenn sie wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit politische Haft oder Verbannung erlitten haben (in Höhe von ca. 2.000 bis 3.000 Euro).

Aussiedler/innen - nicht aber ihre Familienangehörigen - haben in der Tat einen Rentenanspruch aufgrund des Fremdrentengesetzes, der sich jedoch in einem sehr "überschaubaren Rahmen" bewegt (die Berechnung ist kompliziert).

Es gibt darüber hinaus keine "aussiedlerspezifischen" "Sonderhilfen"! (vgl. die offiziellen Auskünfte unter: http://www.bmi.bund.de/cln_012/nn_164974/Internet/Content/Themen/Vertriebene__Spaetaussiedler/DatenundFakten/Welche-Leistungen-erhalten-Spaetaussiedler.html ).

Sehr geehrte Frau Seidel, soweit die Fakten.

Ich denke, die Menschen haben es verdient und ein Recht darauf, dass fair mit ihnen umgegangen wird, und ich würde mich freuen, wenn Sie auch in ihrem persönlichen Umfeld anhand dieser Fakten dafür sorgen, dass keine Missgunst, kein Neid und keine Fremdenfeindlichkeit gegenüber Aussiedler/innen entstehen. Und ich wünschte mir, dass Sie von nun an laut widersprechen, wenn Andere Gerüchte in die Welt setzen, wonach Aussiedler/innen ungerechtfertigt gegenüber Bundesbürger/innen bevorzugt würden, etwa bei der medizinischen Behandlung, bei Kuren, bei Krediten usw..

Wenn es allerdings um eine politische Bewertung des Umgangs mit (Spät-) Aussiedler/innen geht, so haben auch meine Fraktion und ich durchaus Kritik an der Regierungspolitik anzumelden: Insbesondere das völkische Konzept, das Grundlage der deutschen Aussiedler/innenpolitik ist, lehnen wir ab. Eine Bevorzugung von Einwander/innen, nur weil sie sich zum "deutschen Volkstum" bekennen (vgl. § 6 des Bundesvertriebenengesetzes), ist aus unserer Sicht nicht begründbar und fördert nationalistische und ausgrenzende Denkweisen. Wir treten dementgegen für eine Politik ein, die offen und vorurteilsfrei mit Einwander/innen gleich welcher Staatsangehörigkeit umgeht und die sich vor allem verantwortlich zeigt gegenüber Menschen in Not, gleich welcher Herkunft (etwa gegenüber Asylsuchenden, Kriegsflüchtlingen).

Es ist aus meiner Sicht besonders bitter, dass insbesondere in den 90er Jahren massiv gegen Asylsuchende und Flüchtlinge gehetzt und sogar der Anschein erweckt wurde, Deutschland würde von ihnen "überschwemmt" werden, während zugleich eine dauerhafte Einwanderung von (Spät-) Aussiedler/innen deutscher Volkszugehörigkeit in einem zahlenmäßig viel größerem Umfang aufgrund der geltenden Gesetze befördert wurde - worüber jedoch kaum in der Öffentlichkeit debattiert wurde. Das Regierungskalkül dieser Ungleichbehandlung war womöglich, dass sich CDU und CSU erhofften, die Spätaussiedler/innen würden ihnen für diese Politik mit "treuer" Wähler/innenschaft danken...

Inzwischen ist der Prozess der Einwanderung von Aussiedler/innen allerdings zahlenmäßig beinahe zu einem "Ende" gekommen. Bei 80% der Einreisenden handelt es sich mittlerweile um Familienangehörige nicht-deutscher "Volkszugehörigkeit", deren Einreisebedingungen sich seit dem 1.1.2005 allerdings ebenfalls erschwert haben. Es dürfte aktuell also eher darum gehen, eine "Integration" von Aussiedler/innen, die hier leben, in die Gesellschaft, Arbeitswelt usw. zu fördern.

So sehr wir auch im Grundsatz die völkisch begründete bisherige Aussiedlerpolitik der Bundesregierung kritisieren: Die Menschen, die aufgrund der geltenden Rechtslage nach Deutschland eingewandert sind, dürfen hierunter nicht leiden, nicht ausgegrenzt, benachteiligt oder verleumdet werden!

Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Position deutlich machen und verbleibe mit freundlichen Grüßen,

Dr. Gesine Lötzsch, MdB

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