Ambivalente bzw. unklare Positionen der Linkspartei zu Taiwan und zum Kosovo. Was hält die Linke von inoffiziellen Beziehungen mit Taiwan und Anerkennung des Kosovos (status quo)?

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Frage von Pascal K. •

Ambivalente bzw. unklare Positionen der Linkspartei zu Taiwan und zum Kosovo. Was hält die Linke von inoffiziellen Beziehungen mit Taiwan und Anerkennung des Kosovos (status quo)?

Sehr geehrter Herr Gysi,

ich wende mich an Sie als (ehemaligen?) außenpolitischen Sprecher der Linksfraktion. Mich interessiert die Haltung der Linkspartei und auch Ihre persönliche Meinung zur Republik China & Republik Kosovo. Ich habe nur wenig bis gar nichts an offiziellen Positionen der Partei gefunden.

Unterstützt die Linke die aktuelle Anerkennung des Kosovos? Soweit ich das sehe, wollte die Linke beim BverfG gegen die Anerkennung klagen. Daraus ist ja wohl nichts geworden. Ich habe auch Ihren Artikel im Neuen Deutschland dazu gelesen, wo Sie der NATO vorgeworfen haben, den Kosovo völkerrechtswidrig losgelöst zu haben. Dabei hat das kosovarische Parlament selber Kosovo für unabhängig erklärt. Vollkommen legal. Wenn die Linke die Partei des Völkerrechts sein will, wie Sie behaupten, wo ist das Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht der Völker?

Und warum framed Die Linke ein diplomat. Treffen zwischen Vertretern der USA und Taiwan als "Provokation"? Das ist doch deren Recht.

LG

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Sehr geehrter Herr K.,

Ihre Frage vom 5. Juni hat mich erreicht. Gern übermittle ich Ihnen meine persönliche Antwort.

Glauben Sie im Ernst, dass in Deutschland die hessische Bevölkerung entscheiden dürfte, ob sie sich von Deutschland trennt und dass das dann völkerrechtlich legitim wäre und Hessen ein souveräner unabhängiger Staat werden könnte? Es ist also nicht so einfach. In diesem Falle gibt es aber eine Besonderheit. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, also das höchste Organ der internationalen Politik, hat einen Beschluss gefasst, wonach das Kosovo einen hohen Grad an Autonomie innerhalb Serbiens bekommen soll, aber Bestandteil Serbiens bleiben muss. Irgendwann hat das die NATO nicht mehr interessiert und sie hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, das Kosovo abzutrennen. Der Beschluss des Sicherheitsrates ist nie aufgehoben worden, so dass es völkerrechtswidrig ist und bleibt. Der Internationale Gerichtshof hat nur anerkannt, dass das Kosovo eine solche Erklärung abgeben darf, aber nicht anerkannt, dass andere Staaten das Kosovo als souveränen unabhängigen Staat anerkennen dürfen. Manchmal kommt es auf die Feinheiten im Urteil an. 

Zunächst müsste also der Beschluss des Sicherheitsrates aufgehoben werden. Darauf müssten sich die Veto-Mächte verständigen. Im Augenblick sehe ich dafür kaum eine Chance. 

Hinsichtlich der VR China und Taiwan gibt es folgendes Problem. Als die UNO gegründet wurde und die Charta der Organisation der Vereinten Nationen in Kraft trat, haben sich die USA damit durchgesetzt, dass der Vertreter der Regierung Taiwans als der Vertreter für Gesamt-China angesehen wurde. Über Jahre hat der Vertreter von Taiwan ganz China im Sicherheitsrat vertreten. Erst nach dem Besuch von US-Präsident Nixon in der Volksrepublik China bei Mao Tse-tung änderte sich das und plötzlich vertrat die VR China ganz China. Nachdem der Westen aber anerkannt hatte, dass Taiwan ganz China vertrat, kann er nicht plötzlich behaupten, dass Taiwan immer schon ein unabhängiger Staat getrennt von der Volksrepublik China gewesen sei. Deshalb vertreten ja auch die USA und andere die so genannte „Ein-China“-These. 

Was Sie allerdings berechtigt fordern, ist, dass die Volksrepublik China nicht die Verhältnisse in Taiwan mittels militärischer Gewalt ändert. Dafür trete selbstverständlich auch ich ein.

Von den übrigen völkerrechtlichen Gegebenheiten komme ich aber nicht weg. Wenn ich uns zubillige, das Völkerrecht zu verletzen, dann dürfen es auch andere.

Mit freundlichen Grüßen

Gregor Gysi

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