Frage an Helge Lindh bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Helge Lindh
SPD
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Frage von Amir M. •

Frage an Helge Lindh von Amir M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Setzen Sie sich gegen die Privatisierung von Wasser ein? Und warum ist es Ihrer Meinung nach überhaupt so weit gekommen, dass Wasser kein Bestandteil eines Menschenrechts in Deutschland ist?

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SPD

Sehr geehrter Herr M.,

haben Sie herzlichen Dank für Ihre Frage auf abgeordnetenwatch.de. Ich bitte vielmals um Entschuldigung für die verspätete Rückmeldung. Der Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern liegt mir sehr am Herzen. Dafür nehme ich mir in Sprechstunden im Wahlkreis viel Zeit. Wenn Sie möchten, können wir Ihre Frage gerne bei einem persönlichen Treffen besprechen. Für die Terminvereinbarung stehen Ihnen meine Büros in Wuppertal und Berlin zur Verfügung. Sie sind über die Nummern 0202-25323060 oder 030-22777452 zu erreichen. Zudem bin ich über meine im Internet veröffentlichte private Mobilfunknummer für die Wuppertalerinnen und Wuppertaler schnell ansprechbar.

Wasser ist Bedingung allen Lebens und wichtig für die Entwicklung des Menschen. Weltweit haben über 800 Millionen Menschen keinen ausreichenden Zugang zu sauberem Wasser und mehr als 2,6 Milliarden Menschen mangelt es an einfachen sanitären Anlagen. Etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung verfügen mindestens einen Monat im Jahr nicht über genügend Wasser. 1,8 bis 2,9 Milliarden Menschen leiden gar 4 bis 6 Monate im Jahr unter schwerer Wasserknappheit, ca. 500 Millionen Menschen ganzjährig. In Deutschland beträgt der tägliche Wasserverbrauch dagegen über 5.000 Liter Wasser pro Tag und pro Person. Laut Prognosen droht bis 2025 fast der Hälfte der dann geschätzten rund 8,5 Milliarden Menschen zählenden Weltbevölkerung eine Existenz unter schwerer Wasserknappheit. 83% davon sind in Entwicklungsländern – überwiegend in ländlichen Regionen – zu Hause, wo schon heute teilweise nur 20% der Bevölkerung einen Zugang zu ausreichender Trinkwasserversorgung haben.
Angesichts dieser Problematik und der Bedeutung von Wasser für das menschliche Leben ist das Recht eines Zugangs zu sauberem Wasser am 28. Juli 2010 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen als Menschenrecht anerkannt worden. Auch Deutschland hat die Resolution befürwortet. Sie ist zwar rechtlich nicht bindend, jedoch ein wichtiges politisches Signal.

Ich zähle mich zu einem entschiedenen Verfechter des Menschenrechts auf Wasser. Denn erst dieses Menschenrecht schafft überhaupt die Voraussetzung für das Bestehen anderer Rechte, wie das Menschenrecht auf Leben, angemessene Ernährung und ausreichende medizinische Versorgung.

Dass das Recht auf Zugang zu sauberem Wasser in der Öffentlichkeit auf großes Interesse stößt, verdeutlicht die 2013 und 2014 initiierte Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Wasser ist ein Menschenrecht!“. Im Verlaufe der Gespräche um das Handelsabkommen TTIP kam es europaweit zu Befürchtungen, dass u.a. der kommunalen Wasserversorgung eine Privatisierungswelle drohe. Zahlreiche Gegenbewegungen in ganz Europa verschafften dieser Besorgnis ihren öffentlichen Ausdruck. Zu ihnen zählte auch die Europäische Bürgerinitiative. Sie sammelte über den Zeitraum von eineinhalb Jahren fast 1,7 Millionen anerkannte Unterschriften. Die Petentinnen und Petenten unterstützten allesamt das Ziel der Initiative, dass auch die EU das Menschenrecht auf Wasser unmissverständlich anerkennen solle und dass eine weitgehende Liberalisierung der Wasserwirtschaft unterbleibe. Trotz des überwältigenden Erfolgs blieb die Initiative aufgrund der konservativen Mehrheit im Europäischen Parlament ohne Konsequenzen. Diesen Ausdruck mangelnden Respekts vor dem erklärten Willen von fast zwei Millionen europäischer Bürgerinnen und Bürgern hat mich damals entsetzt. Die EU-Kommission kündigte als kompensatorische Maßnahme – und eher schwachen Trost – zumindest an, sich auf internationaler Ebene künftig dafür einzusetzen, Menschen weltweit einen Zugang zu Wasser zu sichern. Auch wenn ihr Anliegen eines Menschenrechts auf sauberes Wasser auf europäischer Ebene nicht verankert wurde, zeitigten die Proteste insofern einige Erfolge. Ehemals privatisierte Wasserversorgungsunternehmen oder ausgelagerter Dienstleistungen wurden wieder rekommunalisiert, wie das Beispiel der Berliner Wasserversorgung zeigt.

In Bezug auf die Liberalisierung der Wasserwirtschaft möchte die SPD die Daseinsvorsorge der Kommunen in Deutschland erhalten und gerade keine schrankenlose Privatisierung und Liberalisierung von Dienstleistungen. Denn es ist klar, dass viele kommunale Dienstleistungen nicht nach Marktprinzipien erbracht werden können. Erforderlich ist eine Versorgung für alle Menschen zu erschwinglichen Preisen. In der 17. Wahlperiode verhinderte die schwarz-gelbe Regierung eine Forderung der SPD-Bundestagsfraktion, dass die öffentlichen Träger der Wasserversorgung keiner Wettbewerbslogik unterworfen werden und Kommunen die Entscheidungsfreiheit überlassen bleibe, wie und in welchen Organisationsformen sie die Erfüllung der Daseinsvorsorge durchführen. (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/125/1712519.pdf).

Das ist nun der Punkt: Im Zuge einer Wirtschaftsideologie, die seit Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre als sogenannter Neoliberalismus bekannt ist, gerieten Dienstleistungen, die zur öffentlichen Daseinsvorsorge zählen wie beispielsweise Stromversorgung, öffentliche Sicherheit, der städtische Wohnungsbau und auch die Wasserversorgung in das Blickfeld von privaten Wirtschaftsunternehmen. Man muss leider eingestehen, dass die Politik, sei es in den Kommunen, in den Ländern oder im Bund jener fatalen Marktlogik meist blindlings gefolgt ist. Die damit verbundene Hoffnung war eine finanzielle Entlastung der verschuldeten öffentlichen Haushalte. Die Liberalisierungs- und Privatisierungsagenda lockte mit dem Versprechen, dass die privaten Unternehmen die kommunalen und (scheinbar) ineffizienten Dienstleistungen billiger betreiben und so auch zu billigeren Preisen anbieten können. Dieses Dogma entpuppte sich als Chimäre, wie wir heute wissen.

Im Koalitionsvertrag haben wir bekräftigt, dass sauberes Wasser zur wichtigsten Lebensgrundlage aller Menschen zählt. Das spielt nicht zuletzt bei der Krisenprävention und Bekämpfung der Fluchtursachen eine entscheidende Rolle. In Afrika wird im Zuge von entwicklungspolitischen Maßnahmen die Versorgung mit Wasser auf lokaler Ebene verbessert. Eine Wasserpolitik sollte allerdings berücksichtigen, dass sie nicht zulasten der Zukunft oder anderer Menschenrechte, wie das Recht auf Nahrung, erfolgt. Eine menschenrechtliche Wasserpolitik muss nachhaltig sein, damit auch die noch zahlenreichere Weltbevölkerung von morgen ihr Recht auf trinkbares Wasser wahrnehmen kann.

Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen weitergeholfen zu haben und freue mich auf ein persönliches Gespräch.

Mit freundlichen Grüßen
Helge Lindh

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