Frage an Helmut Scholz bezüglich Europapolitik und Europäische Union

Helmut Scholz
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DIE LINKE
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Frage von Carla K. •

Frage an Helmut Scholz von Carla K. bezüglich Europapolitik und Europäische Union

Lieber Helmut Scholz,

meine Frage besteht aus zwei Teilfragen: von französischen Freunden höre ich immer wieder, Europa sei so richtig neoliberal erst nach dem Fall der Mauer und noch mehr seit der Osterweiterung 2004 geworden. Wir Ostdeutschen und Osteuropäer seien ganz besonders scharfe Marktwirtschaftler, auch gerade, weil wir eher mit dem Gegenteil Erfahrung hätten. Was sagst Du ihnen? Und die zweite Frage: neulich hast Du Dich mit der polnischen SLD getroffen. Meine polnischen Freunde sagen mir angewidert, das seien keine Linken und auch keine richtigen Sozialdemokraten, die seien in mancher Hinsicht neoliberaler als PO und PiS, z.B. in ihrer Krankenhaus- und Eisenbahnpolitik. Stimmt das, oder habt Ihr eine gemeinsame Basis finden können. Wenn ja, welche?
Mit herzlichen Grüßen
Carla Krüger aus Berlin

Helmut Scholz
Antwort von
DIE LINKE

Liebe Frau Krüger,

Danke für Ihre Anfrage. Sie fragen nach meiner persönlichen Meinung und deshalb will ich dies so auch beantworten. Ich möchte nur zuvor feststellen, dass meine grundsätzlichen Positionen zur EU-Politik und zur deutschen Europapolitik mit denen meiner Partei übereinstimmen.

Zur 1. Frage:
Eine ausführliche Darstellung der Partei finden Sie in der Erklärung des Parteivorstands zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge vom März 2005. Für uns manifestiert sich der Beginn der neoliberalen EU-Politik mit der Einheitlichen Europäischen Akte, die den EU-Binnenmarkt zum Ziel hatte. Zeitlich gesehen war das in der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Ihr zugrunde lag die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, an den Hochschulen und Unis längst theoretisch gelehrt (besser ideologisch gepredigt), die in der Bundesrepublik in der praktischen Wirtschaftspolitik mit der Kanzlerschaft von Helmut Kohl verbunden wird. Ihr Einzug in Europa wurde durch Frau Thatcher Ende der 70er Jahre besiegelt.

Mit dem Maastrichter Vertrag zur Gründung der EU wurde dann der Wettbewerb - und damit Marktradikalismus unter den bedingungen der eachsenden Durchsezuung neolliberaler Wirtschaftspolitik in allen Ländern der EU - auch den dann neu zur EU beitretenden Staaten zum bestimmenden Prinzip der EU-Politik und damit natürlich auch wiederum rückwirkend der nationalen Politiken. Ich halte die Durchsetzung neoliberaler Wirtschaftspolitik als die Reaktion der Politik im Interesse des Großkapitals auf die voranschreitende Globalisierung und Anpassung an den enormen Sprung in der Entwicklung der Produktivkräfte.

In diese Zeit fällt auch der Zusammenbruch der realsozialistischen Staatengemeinschaft. Die Zuspitzung der inneren Widersprüche in diesen Staaten ist sicherlich gerade auch auf dem Gebiet der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in Zusammenhang mit den internationalen Entwicklungsbedingungen der Produktivkraftentwickllung, der wachsenden internationalsierungstendenzen und damit der Globalisierung zu sehen. Ihnen ist eine sozialistischer Politik entsprechende Anpassung an die neuen Bedingungen der Globalisierung nicht gelungen; die kapitalistische in Form des Neoliberalismus war selbstverständlich nicht gewollt.

Der Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten erfolgte also in einer Zeit, in der sich der Kapitalismus ebenfalls in einer neuen Entwicklungsstufe befand. Der profitierte dadurch in hohem Maße vom Zusammenbruch des Sozialismus, so dass nicht nur die Auswirkungen auf die nicht konkurrenzfähigen Unternehmen, sondern auch die Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen für die Bürgerinnen und Bürger abgefangen wurden. Zumindest in Deutschland war es durch den Beitritt so, dass der Neoliberalismus zunächst auf die ostdeutschen Unternehmen und die Bevölkerung durchschlug. Jeder Betrieb, der seine Existenz aufrecht erhalten wollte, musste praktisch neoliberaler sein mit verheerenden Auswirkungen auf die Beschäftigten.

In den Mittel- und osteuropäischen Staaten, die 2004 der EU beitraten, vollzog sich dieser Prozess über einen längeren Zeitraum, kam aber durch die notwendige Übernahme des EU-Besitzstandes und nur wenigen Übergangsregelungen 2004 voll zur Geltung.

Also, ich sehe schon einen Zusammenhang zwischen neoliberaler Wirtschaftsweise und Zusammenbruch des Realsozialismus, so wie ich es oben ausgeführt habe. Ich bin aber nicht der Meinung, dass diese Staaten besonders scharfe Marktwirtschaftler sind, sondern sehe ihre Handlungsweise eher als zwangsläufige Anpassung an die veränderten Existenzbedingungen und die waren eben 2004 schon anders als 1990 und sie sind heute in der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise noch schlechter mit den entsprechenden Konsequenzen vor allem für wirtschaftlich schwache Staaten, weshalb auch weiteres Interesse an einem EU-Beitritt besteht.

Zur 2. Frage
Im Rahmen einer Konferenz der LINKEN des Landes Brandenburg und der SDL wurde sehr konkret über Fragen und Herausforderungen an die grenzüberschreitende Kooperation zwischen Polen und Deutschland, Fragen der Oder-Partnerschaft als einem wichtigen Instrument für Euro-regionale Zusammenarbeit gesprochen. Und ich finde es gut, wenn sich an einer solchen Konferenz verschiedene Kräfte aus den politischen Spektren beider Länder zusammenfinden um darüber zu beraten, wie denn nun ein soziales Europa - anfassbar und erlebbar durch die BürgerInnen der Regionen - hier der länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und den angrenzenden Wojewodschaften in Westpolen - konkret auszugestalten ist. Und dort wurde auch von den polnischen Gästen - u.a. aus der Sozialdemokratie der Republik Polen sehr deutlich darauf hingewiesen, dass die seit Jahren bestehende Zusammenarbeit mit den parlamentarischen Strukturen der LINKEN in den Landtagen wesentlich mit dazu beigetragen habe, auch bildungspolitische und wirtschaftliche Probleme zu lösen bzw. eine Lösung anzuschieben. Beispielhaft sei hier auf das permanente Drängen der LINKen- Fraktion im LT Brandenburg hinsichtlich einer Lösung zum Erhalt der Spree-Neiße-Bober-Euroregion verwiesen - dem sich die landesregierung über Monate hinweg aus der verantwortung entzogen hatte.

Und natürlich braucht auch eine SDL Druck von links - und mit den Jungen Sozialisten, die gegenwärtig mit der PPS in Polen links von der Sozialdemokratie zu den EP-Wahlen auf einer gemeinsamen Liste kandidieren, haben wir auch ein sehr frische, jugendliche und in vielen Fragen mit uns übereinstimmende politische Formation in Polen an unserer Seite, die den gemeinsamen Wahlaufruf der EL mit unterzeichnet und zur Grundlage oihres Wirkens gemacht hat.

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