Warum wird der verfassungsgemäß verankerte Gleichbehandlungsgrundsatz bei Lohn- und Gehalt nicht eingehalten?

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Frage von Friedrich G. •

Warum wird der verfassungsgemäß verankerte Gleichbehandlungsgrundsatz bei Lohn- und Gehalt nicht eingehalten?

Bei den alljährlich wiederkehrenden Tarifrunden ist vorprogrammiert, dass jede kleine Gewerkschaft einen Streik anzetteln kann. z.B. wegen Arbeitsbedingungen, Sonn- u. Feiertags- und Mehrarbeitszuschlägen oder Weihnachts- und Urlaubsgeld.
Um dieses Risiko zu vermindern sollten diese Punkte gesetzlich geregelt sein, damit alle Arbeitnehmer die gleichen Mindestansprüche haben. Tarifautonomie hin oder her.

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Sehr geehrter Herr G.,

vielen Dank für Ihre Nachricht.

Der Grundsatz der Entgeltgleichheit für gleiche oder gleichwertige Arbeit wird insbesondere durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (§ 2 Abs. 1 Nr. 2) und das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) gewährleistet und kann individualrechtlich durchgesetzt werden. Im Juni 2023 ist auf europäischer Ebene die sogenannte Entgelttransparenz-Richtlinie in Kraft getreten, die – im Vergleich zum geltenden EntgTranspG – umfassende und eine Vielzahl von deutlich weitergehenden Regelungen zur Förderung von Entgelttransparenz (z.B. Berichts- und Entgeltbewertungspflichten für die Arbeitgeber) und zur Stärkung der Rechtsdurchsetzung des Entgeltgleichheitsgrundsatzes enthält. Die Umsetzung der Entgelttransparenz-Richtlinie im EntgTranspG wird die Wirksamkeit des Gesetzes stärken und einen erheblichen Fortschritt bei der Beseitigung von Entgeltbenachteiligungen mit sich bringen.

Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen ist im Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland zu weiten Teilen den Tarifvertragsparteien überantwortet. Grundlage hierfür ist Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes, der das Recht der Koalitionen schützt, Arbeitsbedingungen frei von staatlicher Einflussnahme zu regeln. Gewerkschaften und Arbeitgeber(-verbände) verfügen über die erforderliche Sachnähe und Kenntnis ihrer Branche, um Entgelte und übrige Arbeitsbedingungen gemeinsam in Form von Tarifverträgen praxisnah und sachgerecht festzusetzen. Daneben bleibt der Gesetzgeber nach Artikel 74 Absatz 1 Nummer 12 Grundgesetz zur Regelung der Arbeitsbedingungen berechtigt, wobei er sich allerdings im Kernbereich der Arbeitsbedingungen (insb. Entgelt, Urlaub) aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien und der allgemeinen Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich auf Maßnahmen zur Sicherung von Mindeststandards (z.B. Mindestlohn) beschränkt. Arbeitsbedingungen weitergehend gesetzlich zu regeln, würde im Widerspruch hierzu stehen.

Der Arbeitskampf ist als Teil der Tarifautonomie ebenfalls verfassungsrechtlich geschützt. Die Rechtsprechung hat das Streikrecht in jahrzehntelanger Rechtsprechung ausgeformt und konturiert, sodass z.B. über die Erfordernisse der Verhältnismäßigkeit und des Gebots der fairen Kampfführung gewährleistet ist, dass Streiks nur insoweit zulässig sind, wie sie zur Durchsetzung von Tarifforderungen notwendig und verhältnismäßig sind. Deutschland zeichnet sich darüber hinaus durch eine im internationalen Vergleich eher geringe Bedeutung von Streiks aus.

Mit freundlichen Grüßen
Hubertus Heil, MdB

 

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