Frage an Jan Korte bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Jan Korte
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Frage von René S. •

Frage an Jan Korte von René S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Korte,

ab dem kommenden Montag, den 22.10.07, sollen wieder Flüchtlinge, denen inzwischen der Flüchtlingsstatus entzogen wurde, aus Deutschland in den Irak abgeschoben werden.

Dies geschieht zu einer Zeit, in der die Flüchtlingskrise im Irak bedrückende Ausmaße angenommen hat. Die kurdischen Provinzen sollen derzeit 700.000 Flüchtlinge aus anderen Landesteilen beherbergen. Dass das reiche Deutschland damit beginnt, diese Flüchtlingskrise dadurch zu verschärfen, dass Menschen, die schon vor vielen Jahren in ihrer Heimat alles aufgegeben haben, nun abgeschoben werden, ist ein grober Bruch der Solidarität zwischen den Völkern. Dabei missachtet Deutschland sogar die Empfehlungen des UNHCR. Diese Empfehlungen besagen, dass eine Rückkehr in die kurdischen Provinzen nur für diejenigen möglich ist, die dort noch familiäre Bindungen haben. Demgegenüber sollen aus Bayern alle abgeschoben werden, die in einer der Provinzen oder in Kirkuk geboren wurden – selbst wenn sie dort nicht gelebt haben oder kein Familienangehöriger mehr dort heute noch lebt.

Soweit mir bekannt ist verfügen ein Teil der Personen, die abgeschoben werden, nicht einmal über gültige irakische Reisedokumente. Sie sollen mit sogenannten EU-Laissez-passer in den Irak einreisen. Diese Praxis wird von kaum einer Regierung geduldet und kommt daher nur bei Abschiebungen in den Kosovo, der unter Verwaltung der UNO steht, zur Anwendung.

Herr Korte, ich würde mich sehr freuen, wenn Sie hier zu diesem Sachverhalt Ihre Meinung äußern würden.

Vielen Dank für Ihre Antwort im Voraus.

Mit freundlichen Grüßen
René Schultens

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Sehr geehrter Herr Schultens,

entschuldigen Sie bitte die extrem späte Beantwortung Ihrer Frage, aber irgendwie ist sie untergegangen und erst jetzt wieder aus den Untiefen meines Schreibtisches wieder aufgetaucht...

Auch wenn die Beantwortung Ihrer Frage Ewigkeiten dauerte, so war meine Fraktion in dem von Ihnen angesprochenen Thema alles andere als untätig.

Ich möchte darauf verweisen, dass wir als Fraktion DIE LINKE. bereits im Mai 2007 als erste eine parlamentarische Initiative zur Aufnahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge aus dem Irak gestartet hatten (BT-Drs. 16/5248). Mit diesem Antrag forderten wir unter anderem, dass sich die Bundesregierung im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft für eine Aufnahmeregelung besonders schutzbedürftiger irakischer Flüchtlinge einsetzen möge. Konkret benannten wir dabei Angehörige der besonders bedrohten religiösen und ethnischen Minderheiten, aber auch staatenlose Palästinenserinnen und Palästinenser, die sich aufgrund ihrer Passlosigkeit besonderen Problemen gegenübersehen. Auch für ein regelmäßiges Aufnahmeprogramm zur Entlastung überforderter Erstaufnahmeländer ("resettlement"), wie es vom UNHCR seit langem gefordert wird, und einen konkreten deutschen Beitrag hierzu hatten wir uns eingesetzt.

Zu unserem Bedauern sind die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen unserem Antrag im letzten Jahr nicht gefolgt, ebenso wenig einem ähnlichen Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN. Im Dezember 2007 wurden diese Anträge im Plenum des Deutschen Bundestages mehrheitlich abgelehnt (vgl. Plenarprotokoll 16/133, S. 14045 ff), mit dem Argument, die Betroffenen sollten in der Region verbleiben. Ihnen solle "vor Ort" geholfen werden, "etwa in den Flüchtlingslagern in Grenzregionen" (Reinhard Grindel, CDU), hieß es in zynischer Leugnung der bereits damals bekannten völligen Überforderung der Nachbarländer des Irak in der Region.

Umso mehr freue ich mich, dass sich die Bundesregierung und insbesondere die CDU/CSU seit Anfang des Jahres in Abkehr von ihrer bisherigen Haltung nunmehr offen zeigen für eine humanitär begründete Aufnahme irakischer Flüchtlinge. Diese Entscheidung war überfällig. Allerdings will ich nicht verhehlen: Die von Bundesinnenminister Schäuble ins Spiel gebrachte exklusive Aufnahme christlicher Flüchtlinge stößt bei der LINKEN - aber nicht nur bei uns - auf Kritik. Es kann nicht sein, dass der Menschenrechtsschutz und humanitäre Entscheidungen von Fragen der Religionszugehörigkeit der Betroffenen abhängig gemacht werden.

Statt Flüchtlingen langfristig und verlässlich Schutz und eine neue Lebensperspektive zu bieten, wird ihr Status permanent in Frage gestellt und sie mit der Abschiebung in ihre Herkunftsländer, in denen meist immer noch Krieg und Verfolgung herrschen, bedroht.

Besonders kritikwürdig ist hierbei das Mittel des Asylwiderrufsverfahrens, zu dem meine Fraktion etliche parlamentarische Initiativen unternommen hat (z.B. BT-Drs. 16/9252). Ein Asylwiderrufverfahren kann jederzeit eingeleitet werden und zum Verlust des Aufenthaltstitels führen. In den vergangenen Jahren wurden Widerrufsverfahren vor allem gegen serbische, afghanische und irakische Staatsangehörige eingeleitet. Große Wellen von Widerrufsverfahren folgten dabei in auffälliger zeitlicher Nähe zu, zum Teil völkerrechtswidrigen, militärischen Angriffen auf die Herkunftsländer. Tausende Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen von Irakern (ab 2004) und Afghanen (ab 2002) wurden widerrufen, obwohl der Schutz der Menschenrechte in ihren Herkunftsländern keineswegs sichergestellt war und ist. Dieses Vorgehen ist innerhalb der EU einmalig und aus meiner Sicht ein menschenrechtlicher Skandal erster Güte!

Mit freundlichen Grüßen

Jan Korte

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