Frage an Johannes Kahrs von Tim Y. bezüglich Umwelt
Hallo Herr Kahrs,
Sie haben kürzlich gegen das Verbot der betäubungslosen Ferkel-Kastration gestimmt. Damit widerspricht Ihr Abstimmungsverhalten dem in der Verfassung verankerten Staatsziel "Tierschutz".
Meine Frage an Sie lautet: Wie soll dieses Ziel erreicht werden, wenn Abgeordnete wie Sie die Staatsziele der Bundesrepublik ökonomischen Interessen bestimmter Branchen unterordnen?
Sehr geehrter Herr Y.,
gerne erläutere ich Ihnen, weshalb ich letzten Donnerstag für die Novellierung des Tierschutzgesetzes gestimmt habe.
Der ehemalige Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Christian Schmidt hat es in den (bereits als Übergangsfrist vorgesehenen) letzten fünf Jahren (wie immer) versäumt, die Voraussetzungen für die im Tierschutzgesetz 2013 vorgegebene schmerzfreie Ferkelkastration zu schaffen.
Nun musste der Bundestag die Initiative ergreifen, um eine Lösung in letzter Minute herbeizuführen!
Als Abgeordneter der SPD-Bundestagsfraktion setzte ich mich dafür ein, dass die Lebensbedingungen von Nutz-, Heim- und Wildtieren nachhaltig verbessert werden.
Deshalb habe ich mir die Entscheidung nicht leicht gemacht, diese Gesetzesänderung mitzutragen.
Die Fachpolitiker machten jedoch deutlich, dass es derzeit keine Alternative gibt, die die gegenwärtige Praxis flächendeckend in Deutschland ablösen könnte.
Würde es jetzt nicht zu einer Fristverlängerung kommen, würden mehrere Millionen Ferkel über mehr als tausend Kilometer aus Ost- und Nordeuropa importiert werden. Diese würden auch auf Dauer nicht nach deutschen Tierschutzstandards kastriert werden und noch dazu weite Transportwege zurücklegen. Das ist aufgrund des europäischen Binnenmarktes zulässig und wäre unter Tierschutzaspekten mehr als bedenklich.
Nur wenn die Ferkelerzeugung in Deutschland bleibt, kann souverän über Tierschutzstandards entschieden werden. Vor diesem Hintergrund haben sich nahezu alle Sachverständigen in der Anhörung des Landwirtschaftsausschusses am 26. November 2018 für die Fristverlängerung ausgesprochen, dies übrigens nebenbei gemerkt.
Der von der Fraktion Die Linke benannte Sachverständige Dr. Palzer vom Bundesverband Praktizierender Tierärzte e.V. (bpt) schreibt in seiner Stellungnahme:
„Aus all diesen Gründen hält der bpt eine Verschiebung des Termins schon seit längerem für unabdingbar.“
Eine bloße Fristverlängerung war für uns als SPD jedoch keinesfalls ausreichend.
Anders als es CDU/CSU und FDP im Jahr 2012 getan haben, haben wir nun im Gesetz Sicherungen eingebaut, die garantieren, dass nach zwei Jahren nun wirklich die Alternativen flächendeckend zur Verfügung stehen.
Das Bundeslandwirtschaftsministerium wird verpflichtet, die bisherige Verweigerungshaltung aufzugeben und unter anderem im Rahmen einer Rechtsverordnung die Voraussetzungen für die Alternativmethoden flächendeckend zu schaffen. Dafür haben wir uns als SPD eingesetzt!
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), eine Organisation, die vor allem kleinere bäuerliche Betriebe vertritt und die jedes Jahr in Berlin mit vielen anderen Organisationen zu einem Paradigmenwechsel in der Agrarwirtschaft aufruft, begrüßt ausdrücklich den vorliegenden Gesetzesinhalt:
„Jetzt gilt es, die für Betriebe möglichen Alternativen rechtlich so schnell wie möglich abzusichern, die entsprechenden Arzneimittel und Narkosegeräte in der Fläche verfügbar zu machen und die Praktikerinnen und Praktiker im tier- und sachgerechten Umgang zu schulen … Der Gesetzentwurf, den die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD heute beschließen wollen, legt nun fest, dass das Bundesministerium BMEL endlich zu handeln hat. Das ist ein riesiger Fortschritt.“
Das bedeutet also:
1. Die nun vom Bundestag beschlossene Gesetzesänderung sorgt vielmehr dafür, dass die nächsten zwei Jahre nicht erneut ungenutzt verstreichen können. Ein klar gesteckter Zeitplan mit einem entsprechenden Maßnahmenpaket schafft die Voraussetzungen dafür, dass Landwirt bei der Anwendung von Isofluran entsprechend geschult sind.
2. Zudem begleiten Informationskampagnen die Einführung der Ebermast und Immunokastration am Markt. So können die derzeit vorliegenden Alternativen eine realistische Chance am Markt bekommen und die Ferkelaufzucht in Deutschland kann auf Dauer dem Tierschutzgesetz gerecht werden.
3. Die Diskussion um die Versäumnisse des Bundeslandwirtschaftsministeriums im Zusammenhang mit der Ferkelkastration haben wir zudem dazu genutzt, generell einen Paradigmenwechsel in der Nutztierhaltung einzufordern und klare Verabredungen unter den Koalitionsfraktionen zu treffen. So fordern wir in einem Entschließungsantrag unter anderem das BMEL darüber hinaus dazu auf, bis Mitte der Legislatur die Nutztierstrategie weiterzuentwickeln und dabei Lösungen für nicht-kurative Eingriffe, wie das Kürzen von Ringelschwänzen und das Enthornen von Rindern, vorzulegen und das Töten von Eintagsküken so schnell wie möglich zu beenden.
4. Ende 2019 gilt dann die Revisionsklausel, die die Umsetzung der Vorhaben dieser Koalition insgesamt beurteilen soll. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird jeder beurteilen können und müssen, ob den Forderungen des Entschließungsantrags Rechnung getragen worden ist.
Mit freundlichem Gruß
Ihr
Johannes Kahrs