Frage an Jürgen Trittin bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Jürgen Trittin
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Frage an Jürgen Trittin von Martin H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehe gehrter Herr Trittin,

Sie haben die Zwei-Staaten-Lösung für Israel-Palästina als "alternativlos" bezeichnet. Diese Aussage findet man oft, aber ohne Begründung.

Die offensichtliche Alternative ist die Ein-Staaten-Lösung, bei der ein einheitlicher säkularer Staat gegründet wird, in dem alle Bürger dieselben Rechte haben, unabhängig von ihrer Religion oder Ethnizität. Schon Martin Buber, Hannah Arendt und Albert Einstein haben einen solchen binationalen Staat befürwortet, weil sie die Herrschaft der Juden über die Araber abgelehnt haben.

Auch in Südafrika hat nach der Überwindung der Apartheid die Idee eines Einheitsstaates trotz starker separatistischer Bestrebungen auf Seiten der Weißen funktioniert, und auch im Kosovo setzen Sie sich für einen Einheitsstaat ein, statt für eine ethnisch basierte Abspaltung des Nordens. Als Grüner müssten Sie doch eigentlich grundsätzlich skeptisch gegenüber religiös-ethnisch basierten Staaten sein, die eher ins 19. Jahrhundert passen und in keiner Weise zukunftsweisend sind.

Vielleicht meinen Sie, dass die Ein-Staaten-Lösung gegenwärtig unrealistisch ist, aber ist nach Jahrzehnten von ungebremsten jüdischen Siedlungen eine für beide Seiten akzeptable Zwei-Staaten-Lösung realistischer? Sicher setzt die Ein-Staaten-Lösung voraus, dass die Stimmung auch in den USA kippt, aber für weite Teile Europas (vor allem Großbritannien und Skandinavien) kann man schon jetzt sagen, dass die Stimmung kippt und es eine breite Bereitschaft, für eine Anti-Apartheid-Kampagne gibt, nach dem Vorbild der Kampagne in den 1980er Jahren, die schließlich zum Erfolg geführt hat.

Über eine Stellungnahme dazu würde ich mich freuen.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr
Prof. Dr. Martin Haspelmath (Leipzig)

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Prof. Haspelmath,

herzlichen Dank für Ihr Schreiben.

Sie haben Recht, dass lange Zeit auch andere Lösungen für den Palästina-Konflikt verhandelt wurden, der ja schließlich eine lange Vorgeschichte hat. Mit dem israelisch-arabischen Krieg von 1948 und der Gründung des Staates Israels wurden Fakten geschaffen. Für die jüdische Gemeinschaft war nach dem Trauma des Holocausts der Traum von der Existenz im eigenen, endlichen sicheren Staat verwirklicht. Für die Palästinenser war das Jahr 1948 dagegen die „Nakba“, die Katastrophe des Verlusts der eigenen Ansprüche auf ihre Heimat. Durch Vertreibung und Besatzung – nicht nur durch Israel, sondern auch die arabischen Nachbarländer – wurde diese Katastrophe der Palästinenser in den folgenden Jahrzehnten verlängert.

Es hat lange gedauert, bis die zwei Zweistaatenlösung überhaupt von beiden Seiten akzeptiert wurde und im Friedensprozess der 90er Jahre zum akzeptierten Kompromiss zweier nationaler Bewegungen, die dasselbe Land beanspruchen, wurde: Israel erkannte das Recht auf einen palästinensischen Staat an, die Palästinenser bzw. die PLO war bereit Israel anzuerkennen – in den Grenzen von 1967. Bis heute ist ein Kompromiss auf den diesen bekannten Linien – 2 Staaten in den Grenzen von 1967, Jerusalems als geteilte Hauptstadt, Regelung für die Flüchtlinge – die einzige Lösung, die eine Mehrheit sowohl der Israelis als auch der Palästinenser grundsätzlich bereit sind zu akzeptieren.

Sie haben Recht, dass diese Lösung zunehmend in Bedrängnis gerät. Und die neue israelische Rechtsregierung ist derzeit nicht bereit, einen solchen Kompromiss zu akzeptieren, ähnlich wie die Hamas, die z.B. die Rückkehr aller palästinensischen Flüchtlinge fordert. Auch die fortschreitende Siedlungspolitik gefährdet die Zweistaatenlösung.

Gerade deshalb bin ich der Meinung, dass jetzt alles dafür getan werden muss, diese Lösung zu retten. Sie ist realpolitisch die einzige gangbare Option, denn eine „Einstaatenlösung“ wurde zwar von Martin Buber und den Bi-Nationalisten in den 1920er Jahren diskutiert – Anhänger unter den Akteuren in der Region hat sie heute aber nicht. Vielmehr wären wohl unter den derzeitigen Vorzeichen enorme ethnische Konflikte gerade in so einem gemeinsamen Staat vorgezeichnet – auch angesichts der eingangs beschriebenen Traumata und der leider zugenommenen Entfremdung zwischen Juden und Arabern Israel bzw. Israelis und Palästinensern.

Zwei demokratische und sichere Staaten scheinen mir die einzige gangbare Lösung im Nahostkonflikt, die zumindest mittelfristig umsetzbar ist. Wenn endlich der Konflikt gelöst sein wird, bleibt die Idee eines gemeinsamen demokratischen Staates Israel-Palästina allemal eine schöne und erstrebenswerte Zukunftsvision.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Trittin