Frage an Jürgen Trittin bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Jürgen Trittin
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Frage von Martin H. •

Frage an Jürgen Trittin von Martin H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Trittin,

In Ihrer "Bewerbungsrede" zur Außenpolitik (Kontinuität und "Change", unter http://www.gruene.de/themen/frieden-globalisierung.html) loben Sie Präsident Obamas Afghanistan-Politik (die vor allem aus einer massiven Eskalation der militärischen Stärke der USA bestehen soll) und sprechen von "Stabilisierung" und davon, dass wir "den Menschen in Afghanistan eine Perspektive bieten" müssen.

Meine Fragen:

(1) Wie begegnen Sie dem offensichtlichen Einwand, dass hier gewaltsame Kolonialpolitik wie im 19. Jahrhundert betrieben wird, und dass "Stabilisierung" einfach ein Euphemismus für "Zivilisierung" ist (wir machen die Afghanen so, wie wir sie haben wollen, zur Not mit Gewalt), und "eine Perspektive bieten" eine neue Form der Mission? Auch damals haben die imperialistischen Mächte ja mit ihrer gewaltsamen Einmischung in die Angelegenheiten anderer Völker durchaus gute Absichten verfolgt.

(2) Warum soll die NATO die Rolle des Weltpolizisten spielen, statt z.B. die UNO mit Blauhelm-Soldaten aus muslimischen Ländern, die bei den Afghanen weit weniger verhasst wären?

(3) Nach Abzug der Sowjetarmee und dem Ende der ausländischen Einmischung im Jahre 1989 war der Bürgerkrieg innerhalb von sechs Jahren beendet, aber die NATO beteiligt sich jetzt bereits seit acht Jahren an dem von ihr angezettelten neuen Bürgerkrieg, und wird (etwa nach Peter Strucks Worten) noch mindestens zehn Jahre bleiben müssen. Warum sollte sich also ein schneller Abzug der NATO-Truppen auf den Frieden im Lande negativ auswirken (außer dass dann unsere jetzigen Verbündeten möglicherweise das Nachsehen hätten)?

Mit freundlichen Grüßen und bestem Dank,
Ihr
Prof. Dr. Martin Haspelmath

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Haspelmath,

zu Ihren Fragen folgende Antworten:

1. Die Internationale Gemeinschaft führt dort keinen Kolonialkrieg.
Deshalb sind Vergleiche mit der Besatzung durch die Sowjetunion abwegig. Der Einsatz beruht auf einem Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, es wird jährlich verlängert. Im Sicherheitsrat gab es darüber keine Kampfabstimmung. Die jeweilige Mandatsverlängerung erfolgt mit Zustimmung aller Vetomächte, also USA, Russland, China, UK, Frankreich. Der Auftrag von ISAF lautet, die gewählte afghanische Regierung zu unterstützen.

2. Es sind bei ISAF auch Soldaten aus muslimischen Ländern beteiligt, darunter die Türkei.

3. Ihre Betrachtung verkennt dreierlei: a) war die von Ihnen genannte Beendigung des Bürgerkriegs durch die Taliban die Friedhofsruhe durch ein Terrorregime, b) geschah dies um den Preis der Destabilisierung der Nachbarstaaten durch Hunderttausende von Flüchtlingen und c) wurden in diesem menschenrechtsfreien Raum jene Terroranschläge vorbreitet, die dann von den Vereinten Nationen als kriegerischer Akt bewertet wurden. Ein sofortige Abzug der internationalen Gemeinschaft würde nicht nur den sofortigen Stopp aller Aufbaubemühungen und zivilen Hilfe zur Folge haben, sondern erneut Hunderttausende, die gerade zurückgekehrt sind, ins Exil in die Nachbarstaaten vertreiben.

Mit freundlichem Gruß
Ihr
Jürgen Trittin