Frage an Julika Sandt bezüglich Wirtschaft

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Julika Sandt
FDP
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Frage von Bernhard H. •

Frage an Julika Sandt von Bernhard H. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Sandt,

211 Millionen Kinder unter 15 Jahren arbeiten. Fast 90 % davon unter ausbeuterischen Bedingungen. 73 Millionen sind jünger als 10 Jahre. Dass ausbeuterische Kinderarbeit in vielen Ländern der Erde noch immer an der Tagesordnung ist, behindert nicht nur jede nachhaltige Entwicklung, sondern ist insbesondere für die direkt betroffenen Kinder und Familien eine menschliche Tragödie.

Aufgrund der EU-Richtlinie 2004/18/EG ist die Bundesregierung verpflichtet, bis zum 31. Januar 2006 eine neue Vergabeverordnung für öffentliche Aufträge zu erlassen. Diese EU-Richtlinie sieht unter anderem vor, dass soziale Aspekte Teil der Eignungs- und Zuschlagskriterien werden können. Auf dieser Grundlage kann es öffentlichen Auftraggebern erleichtert werden, den Kauf von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit zu vermeiden.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit hat bereits einen Entwurf zur Vergabeverordnung erarbeitet. Aus unserer Sicht bietet dieser Entwurf den öffentlichen Auftraggebern noch nicht in ausreichendem Maße die Möglichkeit, Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit bei der Vergabe auszuschließen. Ich halte es für wichtig, dass in den Entwurf der Vergabeverordnung eine hierfür geeignete Regelung aufgenommen wird.

Wie stehen Sie zu der Aufnahme eines entsprechenden Zusatzes in die Vergabeverordnung?

Mit freundlichen Grüßen,

Bernhard Henselmann

Weitere Informationen finden Sie unter:
http://www.aktiv-gegen-kinderarbeit.de

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Hensemann,

Hut ab vor Ihrem Engagement gegen Kinderarbeit. Wenn ich sehe, unter welchen Bedingungen Kinder in der dritten Welt arbeiten müssen – 2004 war ich beispielsweise in Burma, wo sehr viele Kinder auch unterernährt sind – kommt unweigerlich der Wunsch auf, dass endlich Schluss sein sollte mit Kinderarbeit. Aber ich bezweifle, dass wir Kinderarbeit verhindern, indem wir die Vergabeverordnung so ändern, dass die öffentliche Hand Produkte boykottiert, die mit Kinderarbeit hergestellt wurden.

Weltweit ist nur ein kleiner Teil der arbeitenden Kinder in der Exportindustrie beschäftigt. Die meisten Kinder arbeiten in Familienwerkstätten, in der Landwirtschaft, auf der Strasse oder als Dienstboten, oft ohne Bezahlung. So hart es klingen mag: Die Arbeit in exportorientierten Branchen ist für viele Kinder ein weitaus kleineres Übel.

Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen: Mitte der 90er Jahre haben die USA gedroht, die Einfuhr von Produkten aus Firmen, in denen Kinder arbeiten, zu verbieten. 1995 hat sich der Verband der Textilindustrie Bangladeshs gemeinsam mit dem Kinderhilfswerk UNICEF und der internationalen Arbeitsorganisation ILO darauf geeinigt, dass Kinder unter 14 nicht mehr in der Textilindustrie arbeiten dürfen. Dieses Verbot der Kinderarbeit wurde streng kontrolliert. Es hat bewirkt, dass sich mehrere tausend Kinder einen anderen Job suchen mussten, um zu überleben – unter härteren Bedingungen und für weniger Geld. Das gut gemeinte Verbot hat die Lage der arbeitenden Kinder verschlimmert. Fazit: Wer Produkte, die mit Kinderarbeit hergestellt wurden, boykottiert, ohne zuvor Alternativen für die betroffenen Kinder geschaffen zu haben, tut ihnen keinen Gefallen – im Gegenteil.

Zurück nach Bangladesh: Internationale Hilfsorganisationen haben von der Situation und dem Zorn der gefeuerten Kinder erfahren. Zusammen mit der Textilindustrie Bangladeshs gründeten die Organisationen daraufhin über 300 Schulen für Kinder, die zuvor in Bekleidungsfabriken gearbeitet hatten. Dort werden die Kinder unterrichtet. Sie erhalten eine Entschädigung, die halb so hoch ist wie der Kinderlohn in einer Textilfabrik. Nachmittags arbeiten viele von ihnen als Haushilfen, Schuhputzer oder Plantagenarbeiter.

Kein seriöser Politiker wird Ihnen versprechen, Kinderarbeit abzuschaffen. Wir können aber gemeinsam mit anderen Industriestaaten gegen Armut als Ursache von Kinderarbeit ansteuern. Einen wichtigen Hebel setzen wir in Bewegung, wenn wir den Protektionismus abbauen, sprich: die Außenzölle senken. Der Zuckerpreis in der EU ist etwa dreimal so hoch wie auf dem Weltmarkt. Eine weitere Maßnahme ist aus meiner Sicht, dass wir bei der Koordination von Entwicklungshilfe Anreize für die Empfängerländer schaffen sollten, damit diese politische Prozesse gegen ausbeuterische Kinderarbeit einleiten, etwa Reformen der Arbeitsgesetzgebung, Arbeitsinspektionen, Gesundheitsförderung oder Verbesserung der Bildungschancen.

Priorität hat die Abschaffung menschenrechtsverletzender Formen der Ausbeutung von Kindern, wie Sklaverei, Schuldknechtschaft und Prostitution. Gemäß internationaler UN-Kinderrechtskonvention hat jedes Kind das Recht, vor wirtschaftlicher Ausbeutung geschützt und nicht zu Arbeiten herangezogen zu werden, „die Gefahren mit sich bringen, die Erziehung des Kindes behindern oder seine körperliche, geistige, seelische, sittliche oder soziale Entwicklung schädigen können“. Dazu sollen in den betroffenen Staaten Mindestalter, Arbeitszeiten und -bedingungen sowie angemessene Strafen bei Nichtbefolgung festgelegt werden.

Mit freundlichen Grüßen

Julika Sandt