Das Netzwerkdurchsuchungsgesetz wurde zum oft zitierten Vorbild in Ländern wie Russland etc. Nun gibt es auch einen Staatstrojaner made in Germany. Wie soll es nach Ihren Dafürhalten weitergehen?

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Katja Keul
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Frage von Felix H. •

Das Netzwerkdurchsuchungsgesetz wurde zum oft zitierten Vorbild in Ländern wie Russland etc. Nun gibt es auch einen Staatstrojaner made in Germany. Wie soll es nach Ihren Dafürhalten weitergehen?

Das Netzwerkdurchsuchungsgesetz wurde zum oft zitierten Vorbild in Ländern wie Russland etc. Nun gibt es auch einen Staatstrojaner made in Germany. Wie soll es nach Ihren Dafürhalten weitergehen? Was würden Sie sonst in den Bereichen vorschlagen, ggf. mittragen? Sind diese Anliegen datenschutz-, unionsrechtskonform und werden Sie bei Regierungsbeteiligung die Initiativen auch weiter in Richtung der mehrfach verfassungsgerichtlich gekippten Vorratsdatenspeicherung etc. ausbauen wollen? Wie stehen Sie dazu, dass das Netzwerkdurchsuchungsgesetz made in Germany in Russland etc. als Vorbild zitiert und nachgeahmt wird? https://rsf.org/en/news/russian-bill-copy-and-paste-germanys-hate-speech-law

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr H.,

Hass und Verschwörungsmythen, welche sich im Internet verbreiten, sind eine große Gefahr für unsere Demokratie. Gerade die jüngsten Geschehnisse, wie der schreckliche Mord an einem 20-jährigen Studenten in Idar-Oberstein zeigen, dass Hass aus dem digitalen Raum auch offline eine sehr reale Gefahr darstellt. Die Vernetzung rechtsextremer Akteure und derer Radikalisierung müssen wir uns klar entgegenstellen. Die Bundesregierung hat hier unserer Meinung nach nicht die nötige Entschlossenheit gezeigt, um diesem Problem ganzheitlich entgegenzutreten.

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) war ein Schritt, um Hetze und Hass im digitalen Raum entgegenzutreten, doch das Gesetz war handwerklich extrem schlecht gemacht und von uns und zahlreichen Expertinnen und Experten immer wieder angemahnte Nachbesserungen kamen über Jahre nicht. Erst nach dem rechtsterroristischen Anschlag in Halle kam es zu notwendigen Nachjustierungen, von denen wir einige in mehreren Initiativen, die wir zur rechtsstaatlichen Weiterentwicklung im Bundestag vorgelegt haben, vorgeschlagen hatten. Lassen Sie mich beispielsweise exemplarisch auf ein sogenanntes „put-back-Verfahren“ verweisen, also die Möglichkeit von Betroffenen, sich gegen widerrechtliche Sperrungen und Löschungen zur Wehr zu setzen. Und hier kommen wir zu einem ganz wesentlichen Unterschied bezüglich des Vorgehens in Deutschland und in Russland. Wir leben in einem Rechtsstaat, in dem es selbstverständlich nicht nur klare rechtliche Vorgaben zum Umgang von Plattformen wie sozialen Netzwerken mit strafbaren Meinungsäußerungen, Beleidigungen und Verhetzungen braucht, sondern Betroffenen selbstverständlich auch jederzeit die Möglichkeit offensteht, diese Entscheidungen von unabhängigen Gerichten überprüfen zu lassen.   

Lassen Sie mich noch einmal ausdrücklich festhalten: Wir halten es weiterhin für rechtsstaatlich geboten, dass Firmen wie Facebook nicht allein darüber entscheiden, welche Inhalte sie online lassen und welche nicht – gerade, weil wir uns für die Meinungsfreiheit einsetzen!

Unsere Kritik und sehr konkreten Verbesserungsvorschläge haben wir in zahlreichen Initiativen immer wieder in den Deutschen Bundestag eingebracht. Sie alle aufzuführen, würde den Umfang dieser Antwort bei Weitem sprengen. Auf gruene-bundestag.de finden Sie unter dem entsprechenden Suchwort zahlreiche Hintergrundtexte zum NetzDG, in denen wir sämtliche Initiativen verlinkt haben!

Zur Vorratsdatenspeicherung und dem sogenannten “Staatstrojaner“ haben wir in den vergangenen Jahren ebenfalls sehr intensiv gearbeitet. Grüne Bundestagsabgeordnete haben gegen den Staatstrojaner vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt und wir haben die Ausweitung des schon im Polizeibereich hochumstrittenen Instruments auf den Geheimdienstbereich – ebenfalls mit mehreren Initiativen – glasklar abgelehnt. Gegen die Vorratsdatenspeicherung arbeiten wir ebenfalls seit es die deutsche Regelung gibt. Auch Grüne Abgeordnete haben gegen die Erstauflage erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt und nach den Entscheidungen des EuGH wiederholt und vehement darauf hingewiesen, dass die anlasslose Massendatenspeicherung weder mit der deutschen Verfassung noch mit geltenden EU-Grundrecht vereinbar ist. Doch statt das einzig Richtige zu tun und die - weiterhin bestehende – deutsche gesetzliche Regelung zurückzunehmen, hat die Große Koalition sie einfach „ausgesetzt“ – ein auch aus rechtspolitischer Perspektive höchst fragwürdiges Vorgehen.

In dem Wahlprogramm, das Bündnis 90/Die Grünen zur Bundestagswahl 2021 vorgelegt haben, heißt es unter der Überschrift „Zielgerichtete Abwehr konkreter Gefahren“:

„Ein funktionierender, demokratischer Rechtsstaat muss Sicherheit gewährleisten und die ihn konstituierenden Freiheitsrechte wahren. Wir stehen für eine rationale Sicherheits- und Kriminalpolitik, die Rechtsgüter vor realen Beeinträchtigungen schützt, konkrete Gefahren anlassbezogen und zielgerichtet abwehrt sowie eine verhältnismäßige Strafverfolgung gewährleistet, statt die Bevölkerung mit pauschaler Massenüberwachung unter Generalverdacht zu stellen. Sicherheitsgesetze müssen auf den Prüfstand, zukünftig auf valider Empirie beruhen und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit regelmäßig unabhängig evaluiert werden. Wir stellen dazu eine Überwachungsgesamtrechnung auf, die laufend fortgeführt wird. Den Einsatz biometrischer Identifizierung im öffentlichen Raum, wie beispielsweise Gesichtserkennung, lehnen wir ebenso wie die undifferenzierte Ausweitung der Videoüberwachung, die anlasslose Vorratsdatenspeicherung, generelle Hintertüren in digitalen Geräten und Anwendungen oder das Infiltrieren von technischen Geräten (Online-Durchsuchung bzw. Quellen-TKÜ) ab. Zudem soll eine Verpflichtung eingeführt werden, Sicherheitslücken zu melden und aktiv auf ihre Behebung hinzuwirken. Unternehmen dürfen nicht dazu verpflichtet werden, die IT-Sicherheit und Netzintegrität auf Kosten der Allgemeinheit zu gefährden. Wir streiten für eine technisch und personell gut ausgestattete und zielgerichtete Polizeiarbeit auf klaren Rechtsgrundlagen. Damit stärken wir auch die Rechtssicherheit für die Arbeit der Behörden und schaffen Vertrauen. Die digitale Kompetenz in den Sicherheitsbehörden wollen wir stärken, damit bestehende Möglichkeiten zur Verbrechensverhütung und -aufklärung effektiv angewendet werden.“

Selbstverständlich werden wir diese rechtsstaatlich und bürgerrechtlich extrem klare Position auch nach der Bundestagswahl in etwaigen Sondierungs- und Koalitionsgespräche einbringen.

Mit herzlichen Grüßen

 

Katja Keul 

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