Frage an Kerstin Andreae bezüglich Wirtschaft

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Kerstin Andreae
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Simon B. •

Frage an Kerstin Andreae von Simon B. bezüglich Wirtschaft

Seit den 80ern überschreitet die Menschheit die ökologischen Grenzen der Erde. Wenn alle Menschen den gleichen materiellen Wohlstand hätten wie in Deutschland, bräuchten wir sogar drei Erden. Wir betreiben also ein Wirtschaftswachstum auf Pump. Die Folgen dieser Grenzüberschreitung werden die meisten von uns noch erleben und wir können dieses Problem nicht mit Effizienzsteigerungen lösen. Trotzdem fordern Sie in Ihrem Wahlprogramm: "Wachstum muss weltweit vom Umweltverbrauch entkoppelt werden" (S. 44).
Laut Rechnungen des britischen Regierungsberaters und Ökonomen Tim Jackson ist das aber nicht möglich. Er sagt: "Das Problem besteht schon darin, dass wir bei weiterem Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum unsere Ressourcenproduktivität um den Faktor 140 steigern müssten, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen: 14.000 Prozent bis 2050."
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftswissen/wachstumskritiker-tim-jackson-wohlstand-besteht-nicht-nur-aus-einkommen-1628402.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

Warum ist das große Ziel eigentlich weiterhin Wirtschaftswachstum, obwohl uns mehr Konsum doch gar nicht glücklicher macht?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr B.,

vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Wachstum. Es wird immer deutlicher sichtbar, dass die industrielle Wirtschaftsweise zwar Wohlstand schafft, aber auch systematisch unsere Lebensgrundlagen zerstört. Materielles Wachstum steigert nicht in jedem Fall die Lebensqualität, da geben wir Ihnen völlig recht. Wachstum ist u.a. deshalb nicht das Ziel grüner Wirtschaftspolitik. Uns geht es um eine steigende Lebensqualität für alle. Diese soll Hand in Hand gehen mit deutlich weniger Ressourcenverbrauch und deutlich weniger Emissionen. Wir dürfen unsere Umwelt nicht weiter zerstören und müssen die Tragfähigkeitsgrenzen unseres Planeten einhalten. Fakt ist aber, dass es z.B. in den Schwellenländern weiter Wachstum geben wird, denn diese stehen erst am Anfang einer Entwicklung zu breitem Wohlstand. Dafür steht der von Ihnen zitierte Satz, dass Wachstum weltweit vom Umweltverbrauch entkoppelt werden muss. Genauso muss aber auch Wohlstand wie Lebensqualität vom Wachstum entkoppelt werden.

Wir wollen eine Wirtschaft, die nicht blind immer weiter wachsen muss und in der langfristige Nachhaltigkeit mehr zählt als kurzfristige Renditeziele. Um dies zu erreichen macht grüne Wirtschaftspolitik ehrgeizige Vorgaben in Form von Grenzwerten, CO2-Reduktionszielen und Produktstandards, die in realistischen Zeiträumen erreicht werden können. Auch durch die Digitalisierung können wir vieles in der Wirtschaft ökologischer machen und zu einer ökologischen Mobilitäts- und Energiewende beitragen, darum wollen wir die Digitalisierung voranbringen. Wir werden ökologisch schädliche Subventionen abbauen und so dafür sorgen, dass Preise die ökologische Wahrheit sagen, denn die VerursacherInnen von Umweltzerstörung dürfen die Kosten nicht länger auf die Allgemeinheit abwälzen. So setzen wir auch die richtigen Anreize dafür, dass andere – umweltfreundlichere – Techniken entwickelt und schnell marktfähig werden. Ein Wettstreit um die beste ökologische Lösung kommt in Gang.

Trotz des Pariser Klimaabkommens stecken Investoren – vom großen Versicherer bis zur kleinen Kommune – weiter viel Geld in Klimakiller. Deshalb fordern wir: divest now! – Zieht das Geld aus klimaschädlichen Geschäftsmodellen ab! Unternehmen sollen dafür in ihren Jahresberichten die Klimarisiken von Gütern oder Produkten offenlegen. In den Zahlen des Bruttoinlandsproduktes (BIP) bilden sich Wohlstand und Lebensqualität nicht gut ab. Wir wollen darum einen neuen Wohlstandsbericht einführen. Er misst neben ökonomischen auch ökologische, soziale, gleichstellungpolitische und gesellschaftliche Entwicklungen. Denn Kriterien wie unser ökologischer Fußabdruck, Artenvielfalt, Einkommensverteilung oder ein Bildungs- und Gesundheitsindex bilden unseren Wohlstand besser und umfassender ab. Diese neue, ganzheitlichere Form des Jahresberichts macht Fehlentwicklungen und politische Handlungserfordernisse deutlicher sichtbar.

Wir stellen unsere ausführlichen Überlegungen im Abschlussbericht der Unterarbeitsgruppe „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ der Arbeitsgruppe Transformation dar. Sie finden den Bericht unter: www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/wirtschaft/PDF/Abschlussbericht-Wachstum-Wohlstand-Lebensqualitaet.pdf

Mit freundlichen Grüßen

Kerstin Andreae