Frage an Konstantin von Notz bezüglich Wirtschaft

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Konstantin von Notz
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Sebastian B. •

Frage an Konstantin von Notz von Sebastian B. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Dr. von Notz,

Sie stehen, wenn ich das richtig sehe, zum grünen Parteitag vor einer Gewissensfrage: Ihre Parteispitze will dem Merkelschen sog. "Atomausstieg" zustimmen und damit die konsequente Energiewende zu 100% Erneuerbarer Energie verzögern, erschweren und deckeln, während Ihre grüne Basis (und über 80% aller Menschen in Deutschland!) die schnellstmögliche Energiewende will und das Stillegen ALLER Atomkraftwerke in Deutschland innerhalb der nächsten Legislaturperiode (was realistisch möglich ist laut Umweltbundesamt, Greenpeace, SolarFörderVerein Aachen und vielen anderen ernstzunehmenden Konzepten).

Werden Sie Ihrem Gewissen und dem Mehrheitswillen Ihres Volkes folgend auf dem Parteitag die grünen Kernwerte hochhalten und den faulen Kompromiß Ihrer Parteispitze bekämpfen? Werden Sie für die Stillegung aller deutschen AKWs bis spätestens 2017 eintreten?

Bitte teilen Sie mir Ihre Entscheidung und die wesentlichen Beweggründe mit, damit ich Sie, falls nötig, mit guten Argumenten für eine wirklich grüne Politik gewinnen kann.

Mit herzlichen Grüßen,
Sebastian Büttner (50), Dipl.-Ing. mit drei Kindern

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Büttner,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 22.06.2011.

Als Atomkraftgegner streite ich seit Jahren auf der Straße, vor dem AKW Krümmel und im Wendland, bei vielen Diskussionen und seit knapp zwei Jahren auch im Bundestag für das Ende der Nutzung der Hochrisikotechnologie Atomkraft. Dieser Kampf hatte vor zehn Jahren einen großen Erfolg, als es rot-grün gelang, die damals unbefristeten Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke zu begrenzen. Aus dem Gesetz zur Förderung der Atomenergie wurde eines zu ihrer geordneten Beendigung. Der Ausstieg führte zur Stilllegung von drei Atomkraftwerken sowie in Verbindung mit dem Erneuerbaren Energien Gesetz zu einem weltweit beispiellosen Ausbau Erneuerbarer Energien in Deutschland.

Das war auch damals nicht unumstritten -- bei den Grünen nicht und in der Umweltbewegung nicht. Sowohl in der Bewegung als auch bei uns Grünen gab es Befürworter und Gegner des damaligen Kompromisses. Dennoch sprach sich niemand gegenseitig das ernsthafte Anliegen ab, aussteigen zu wollen. Damals entschieden sich die Grünen auf zwei Parteitagen mit übergroßer Mehrheit für den Weg des schrittweisen Ausstiegs.

Dieser Ausstieg erlitt einen Rückschlag, als Schwarz-Gelb mit der Ankündigung einer Laufzeitverlängerung die Atomkraftwerksbetreiber dazu anstiftete, ihre -- oftmals nicht mehr aktuellen Sicherheitsanforderungen gerecht werdenden - Anlagen weiter zu betreiben und so deren Stilllegung um Jahre zu verzögern.

Hätte die schwarz-gelbe Bundesregierung nicht auf fahrlässige Weise im "Herbst der Entscheidungen" (Angela Merkel) den ausgehandelten gesellschaftlichen Konsens gebrochen und entschieden, die deutschen Atomkraftwerke nicht bis 2021, sondern über 2040 hinaus laufen, würden wir derzeit nicht über eventuell zu zahlende Entschädigungen an die großen Energiekonzerne debattieren müssen.

Gegen die damalige Entscheidung der Bundesregierung haben wir gemeinsam demonstriert, vor dem AKW Krümmel, in Gorleben, in Berlin und vielen anderen Städten der Republik. Als das Gesetz trotz unseres Widerstands beschlossen wurde, hat die Grüne Bundestagsfraktion dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt, weil diese Entscheidung elementare Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger verletzt.

Direkt nach der Katastrophe von Fukushima hat die Grüne Bundestagsfraktion drei Gesetzentwürfe eingebracht:

1. Rücknahme der Laufzeitverlängerung

2. Sofortige und endgültige Stilllegung der 7 ältesten Atomkraftwerke und Krümmel

3. Begrenzung der Laufzeiten auf 28 Kalenderjahre samt Ende der Zockerei mit den Strommengen, samt schrittweiser Stilllegung der Anlagen

Die Katastrophe von Fukushima, die Niederlage bei den letzten Wahlen, insbesondere in Baden-Württemberg, und der anhaltende Protest der Anti-AKW-Bewegung und der Grünen haben Frau Merkel dann letztendlich zu einer 180-Grad-Wende ihrer Atompolitik gezwungen. Dies ist ein historischer Sieg all jener, die seit Jahrzehnten für den Ausstieg streiten.

Im Bundestag wurde dann die Kapitulationsurkunde von Schwarz-Gelb unterschrieben -- und ich war gerne bei der Beglaubigung dabei, denn:

1. Die Laufzeitverlängerung über 2040 hinaus wurde zurückgenommen

2. die 7 ältesten Atomkraftwerke und das Pannen-AKW Krümmel wurden sofort und endgültig stillgelegt

3. die Zockerei mit den Reststrommengen durch feste Abschaltdaten für jedes Atomkraftwerk und Begrenzung des Betriebs auf das Jahr 2022 beendet.

Wenn von drei Grünen Gesetzentwürfen zwei fast vollständig von der Regierung übernommen werden und von einem der Kern übernommen, aber ein 5 Jahre späterer Zeitraum gewählt wurde, sehe ich darin einen großen Erfolg für eine kleine Oppositionspartei und für eine starke Bewegung.

Als also am 30. Juni 2011 darüber abgestimmt wurde,

- ob Atomkraftwerke bis über 2040 hinaus oder nur bis 2022 laufen dürfen, habe ich für 2022 und gegen 2040 gestimmt

- ob die Hälfte der deutschen Atomkraftwerke, nämlich diejenigen, die keinen Schutz gegen einen Flugzeugabsturz haben, sofort und endgültig vom Netz gehen, dann habe ich für deren Stilllegung und gegen ihren Weiterbetriebstimmen gestimmt

- ob der in meinem Wahlkreis liegende Pannenreaktor Krümmel oder der Störfallkönig Brunsbüttel, ob das hochwassergefährdete AKW Unterweser vom Netz kommen, dann habe ich für ihre endgültige Abschaltung gestimmt

- ob weiter mit Reststrommengen gezockt werden darf oder es ein definiertes Ende für jedes Kraftwerk gibt, dann habe ich für letzteres gestimmt.

Ich habe dies getan, weil ich es mir persönlich als Atomkraftgegner schuldig bin, weil ich dafür immer wieder in meinem Wahlkreis und seit 2009 auch im Bundestag gestritten habe und weil ich zusammen mit Hunderttausenden dafür demonstriert habe -- und weil man im Parlament nichts anderes tun sollte, als man außerhalb fordert. Dass auch der grüne Parteitag mit großer Mehrheit uns hierfür das Votum erteilte, hat mich in diesem Urteil bestätigt.

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Der Kampf um die Energiewende ist noch längst nicht beendet! Wir müssen die Absenkung der Sicherheitsstandards rückgängig machen, das von uns Grünen auf den Weg gebrachte /Kerntechnische Regelwerk /muss endlich in Kraft gesetzt werden. Es muss endlich ein bundesweites Suchverfahren für ein Atommülllager auf gesetzlicher Grundlage geben. Der Schwarzbau in Gorleben muss gestoppt werden. Vor allem aber darf es zu keiner Ersetzung von Atom durch Kohle kommen, wie es die Bundesregierung und auch Teile der SPD das augenblicklich planen. Stattdessen bedarf es eines klugen, massiv forcierten Ausbaus der Erneuerbaren Energien. Wir müssen Milliarden mobilisieren für Energieeinsparung und mehr Energieeffizienz.

Solange das alles nicht gegeben ist, werden wir Grünen in der Energie- und Atompolitik keine Ruhe geben. Deshalb konnten wir auch dem weitaus größeren Teil des Gesetzespakets von Frau Merkel nicht zustimmen. Da aber, wo Frau Merkel gezwungen war, das zu tun, was wir alle von ihr seit langem gefordert haben, haben wir beherzt "Ja" gesagt. Die Menschen in Japan und auf der ganzen Welt schauen derzeit auf Deutschland, weil sie wissen wollen, ob und wie eines der größten Industrieländer der Welt den Ausstieg aus der Hochrisikotechnologie Kernkraft realisiert. Und auch dazu, für dass internationale Zeichen gegen Atomkraft, habe ich ja gesagt.

Herzliche Grüße
Ihr Konstantin v. Notz

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