Frage an Konstantin von Notz bezüglich Innere Angelegenheiten

Portrait von Konstantin von Notz
Konstantin von Notz
Bündnis 90/Die Grünen
90 %
120 / 134 Fragen beantwortet
Frage von Peter K. •

Frage an Konstantin von Notz von Peter K. bezüglich Innere Angelegenheiten

Sehr geehrter Herr Notz,
angesichts des hervorragend recherchierten Beitrags des Qualitätssenders ARTE über die kaum zu glaubende Macht der Pharmaindustrie über die Politik

https://www.arte.tv/de/videos/085428-000-A/big-pharma/

und der Erkenntnisse der seriösen Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft,
die korrespondierend dazu in der Ausgabe 10/20 auf Seite 41 feststellt, dass über fünfzig Prozent der Studien im Bereich Biomedizin vermutlich vorsätzlich manipuliert und nicht reproduzierbar sind,

wäre es nicht Ihre Aufgabe und staatsbürgerliche Pflicht,

dem staatsgefährdenden, undemokratischen Treiben einflussreicher Konzerne und der damit verbundenen Korruption in Politik und Wirtschaft sofort ein Ende zu setzen?
Was wollen Sie persönlich, angesichts der Fakten, dagegen tun?

Vielen Dank im Voraus für Ihre Antwort

Portrait von Konstantin von Notz
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Lieber Herr Krawitz,

haben Sie besten Dank für Ihre Frage und Ihr Interesse an meiner Arbeit als grüner Bundestagsabgeordneter. Über beides habe ich mich sehr gefreut. Wie Sie vielleicht wissen, liegen meine eigenen Arbeitsschwerpunkte eher im Bereich der Innen- und Digitalpolitik, wo ich mich seit Jahren für eine stärkere Transparenz politischer Entscheidungsprozesse einsetze, für Karenzzeiten, für verpflichtende Lobbyregister, für den legislativen Fußabdruck und vieles mehr.

Gerne habe ich mich aber auch noch einmal mit meinen FachkollegInnen zu dem von Ihnen angesprochenen Thema, die intransparente Einflussnahme auf politische Willensbildungsprozesse, Gesetzgebung und Wissenschaft durch finanzstarke Unternehmen, ausgetauscht. Haben Sie auch besten Dank für den Hinweis auf die wirklich sehenswerte ARTE-Dokumentation und den Beitrag in der „Spektrum der Wissenschaft“.

Als Grüne Bundestagsfraktion setzen wir uns nicht nur, wie bereits skizziert, für mehr Transparenz bezüglich des Einflusses von Lobbyisten auf politische Willensbildungsprozesse und Gesetzgebungsverfahren ein und haben hierzu in den vergangenen Jahren immer wieder sehr konkrete Initiativen in den Deutschen Bundestag eingebracht, auch thematisieren und kritisieren wir derartige Einflussnahmen auf Wissenschaft und Medizin seit vielen Jahren in deutlichen Worten.

Hier beispielsweise ein Antrag der Grünen Bundestagsfraktion aus dem Jahr 2013. Schon damals machten wir auf das Problem der Korruption im Gesundheitswesen aufmerksam: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/126/1712693.pdf. Hier finden Sie beispielsweise eine
aktuellere Kleine Anfrage zum Thema Korruption bzw. Zuwendungen pharmazeutischer Unternehmen an Ärztinnen und Ärzte: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/218/1921827.pdf.

Gerade dieser Tage ist die Wissenschaftsfreiheit als ein extrem kostbares Gut, das wir unbedingt schützen müssen, in Gefahr. Hierauf machen die grünen Fachabgeordneten immer wieder aufmerksam. Transparenz, das Offenlegen von Daten und Methoden und die Replizierbarkeit sind für uns wichtige Voraussetzungen für ein funktionierendes und erfolgreiches Wissenschaftssystem, dessen Ergebnissen tatsächlich vertraut werden kann.

Das Thema „Qualitätssicherung in der Wissenschaft“ haben wir ebenfalls wiederholt auf die politische Agenda gehoben. In den Antworten auf unsere Kleinen Anfragen dokumentierte die Bundesregierung jedoch einmal mehr, dass sie nicht sich, sondern die Länder, die Hochschulen sowie deren Fakultäten und Wissenschaftseinrichtungen als Hüterinnen wissenschaftlicher Redlichkeit und Qualität in Promotionen sieht. Hier wünschten wir uns ein stärkeres Engagement der Bundesebene.

Die Wissenschaft muss sich heute zweifellos vielen Herausforderungen stellen. Viele Menschen erwarten, dass neue Erkenntnisse aus der Forschung dazu beitragen, die großen gesellschaftlichen Aufgaben zu lösen – von der Abwendung der Klimakrise über das Aufhalten des Artensterbens bis zum nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen unseres Planeten oder der Suche nach einem Impfstoff gegen Covid19. Neben diesen hohen Erwartungen an die Problemlösungsfähigkeit der Wissenschaft auch vollkommen zu Recht hohe Ansprüche von Transparenz und Unabhängigkeit gestellt. Um diese Erwartungen zu erfüllen, braucht Wissenschaft Freiheit und eine auskömmliche Finanzierung – auch, um möglichst unabhängig von Partikularinteressen zu werden. Und sie muss in der Mitte unserer Gesellschaft verankert sein.

Was die Biomedizinische Forschung betrifft, hat das Wissenschaftssystem auch teilweise schon auf die Kritik reagiert. Die renommierte Fachzeitschrift Nature z. B. veröffentlicht seit dem Artikel 2015 mehr Replikationsstudien (und nicht mehr nur solche, die "neue" Hypothesen aufstellen). Darüber hinaus ist die Einschätzung in der Wissenschaft selbst, dass Fälschungen oder Schlampigkeit in der Regel nicht das Problem sind, sondern strukturelle methodische Probleme existieren: Häufig sind die Fallzahlen (in Medizin häufig sehr gering), das Studiendesign, in dem es keine Randomisierung gibt, selektive Datenauswahl betrieben wird etc. ein Problem.

Es gibt zum Teil falsche Anreizsysteme in der Wissenschaft. Die Community hat das teilweise selber erkannt, man kann dem aber auch forschungspolitisch durchaus Etwas entgegen setzen. Was wir in dem Zusammenhang begrüßen, ist beispielsweise die Richtlinie zur Förderung von konfirmatorischen präklinischen Studien des BMBF (https://www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-2202.html) von Dez 2018. Hier werden genau diese Replikationsstudien finanziert. Davon sollte es mehr geben.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen aufzeigen, dass wir die von Ihnen angeführte Thematik sehr ernst nehmen und uns auch weiterhin für mehr Transparenz in Wissenschaft und Politik einsetzen werden.

Mit besten Grüßen nach Berlin!
Konstantin v. Notz

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Konstantin von Notz
Konstantin von Notz
Bündnis 90/Die Grünen