Sollte nicht das getan werden, was jetzt dazu beiträgt, den Krieg in der Ukraine zu deeskalieren? Wie denken Sie über die Waffenlieferungen?

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Luiza Licina-Bode
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Frage von Reinhard G. •

Sollte nicht das getan werden, was jetzt dazu beiträgt, den Krieg in der Ukraine zu deeskalieren? Wie denken Sie über die Waffenlieferungen?

Sehr geehrte Frau Licina-Bode,

sollten nicht, um das Leben der Menschen zu schützen, schnelle Verhandlungslösungen angestrebt werden? Würde eine Lieferung von schweren Waffen nicht zu schwereren Kriegsverläufen führen?

Würden Sie mir aber auch Ihre Einschätzung zu meinen bisherigen Fragen zur Rüstungspolitik mitteilen? Ich konnte mich nicht dazu entschließen, meine Fragen beim Profil von Olaf Scholz zu stellen.

Mit freundlichen Grüßen

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SPD

Sehr geehrter Herr G.,

der seit dem 24. Februar 2022 andauernde völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verursacht nach wie vor unfassbares Leid. Die willkürliche Bombardierung von Wohngebieten, Schulen und Krankenhäusern durch die russische Armee hat bereits Tausende von Menschenleben gefordert.

Putins Umgang mit der Ukraine und anderen Ländern in Ostmitteleuropa trägt neokoloniale Züge. Sein Ziel ist die Errichtung eines neuen Imperiums nach dem Modell der Sowjetunion bzw. des russischen Zarenreichs. Dazu möchte er unseren Kontinent in Einflusszonen aufteilen, so wie dies bis ins 20. Jahrhundert der Fall war, als das Schicksal der europäischen Völker von den Interessen der großen Mächte bestimmt wurde. Eine dauerhafte stabile Ordnung in Europa ist jedoch nur dann möglich, wenn große und kleinere Staaten sich in ihrem Verhalten an denselben völkerrechtlichen Normen orientieren und ihre Grenzen wechselseitig respektieren. In der Charta von Paris haben sich 1990 alle europäischen Staaten sowie die USA und die damals noch existierende Sowjetunion zu diesen gemeinsamen Normen einer europäischen Friedensordnung bekannt.

Nach dem Ende des Kalten Krieges haben wir uns zu lange in falscher Sicherheit gewiegt. Die Hoffnung, dass enge wirtschaftliche Verflechtung und gegenseitige Abhängigkeiten zugleich für Stabilität und Sicherheit sorgen würden, hat Präsident Putin mit seinem Krieg gegen die Ukraine für alle sichtbar zerstört. Die russischen Raketen haben nicht nur in Charkiw, Mariupol und Cherson massive Zerstörung verursacht, sondern auch die europäische und internationale Friedensordnung der vergangenen Jahrzehnte in Schutt und Asche gelegt.

Die Autokraten der Welt beobachten sehr genau, ob er damit Erfolg hat. Gilt im 21. Jahrhundert das Recht des Stärkeren oder die Stärke des Rechts? Tritt in unserer multipolaren Welt Regellosigkeit an die Stelle einer multilateralen Weltordnung? Diesen Fragen müssen wir uns ganz konkret stellen. Nach der Zeitenwende, die Putins Angriff bedeutet, ist nichts mehr so, wie es war. Daraus folgt ein Handlungsauftrag - für unser Land, für Europa, für die internationale Gemeinschaft. Wir müssen Deutschland sicherer und resilienter machen, die Europäische Union souveräner und die internationale Ordnung zukunftsfester.

Deshalb statten wir unsere Soldatinnen und Soldaten mit dem Material und den Fähigkeiten aus, die sie benötigen, um unser Land und unsere Bündnispartner in dieser neuen Zeit wirksam verteidigen zu können. Wir unterstützen die Ukraine - und zwar solange sie diese Unterstützung braucht: wirtschaftlich, humanitär, finanziell und durch die Lieferung von Waffen. Zugleich sorgen wir dafür, dass die NATO nicht zur Kriegspartei wird. Und schließlich beenden wir unsere energiepolitische Abhängigkeit von Russland. Bei der Kohle haben wir das schon erreicht. Russische Ölimporte wollen wir bis Jahresende stoppen. Beim Gas ist der Anteil der Einfuhren aus Russland bereits von 55 auf 30 Prozent gesunken.

Dieser Weg ist nicht einfach, auch nicht für ein so starkes und wohlhabendes Land wie Deutschland. Schon jetzt leiden viele Bürgerinnen und Bürger unter den Auswirkungen des Krieges, vor allem unter den hohen Preisen für Energie und Lebensmittel. Finanzielle Hilfen von weit mehr als 30 Milliarden Euro hat die Bundesregierung daher bislang zur Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger auf den Weg gebracht.

Doch zur Wahrheit gehört auch: Die Weltwirtschaft steht vor einer seit Jahrzehnten ungekannten Herausforderung. Unterbrochene Lieferketten, knappe Rohstoffe, die kriegsbedingte Unsicherheit an den Energiemärkten - all das treibt weltweit die Preise. Kein Land der Welt kann sich allein gegen eine solche Entwicklung stemmen. Doch wir gehen diesen Weg nicht allein, sondern gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Union und darüber hinaus.

Dabei handeln wir aus festen Überzeugungen: aus Solidarität mit der existenzbedrohten Ukraine, aber auch zum Schutz unserer eigenen Sicherheit. Wenn wir Putins Aggression jetzt nichts entgegensetzen, wird er so weitermachen. Wir haben das bereits 2008 in Georgien erlebt, anschließend mit der Annexion der Krim 2014 sowie den Angriff auf die Ostukraine und schließlich, im Februar dieses Jahres, auf das gesamte Land. Putin damit durchkommen zu lassen hieße, dass Gewalt das Recht praktisch folgenlos brechen darf. Dann wären letztlich auch unsere eigene Freiheit und Sicherheit in Gefahr.

Zur neuen Wirklichkeit gehört auch, dass die Europäische Union in den vergangenen Monaten enger zusammengerückt ist. In großem Einvernehmen hat sie auf Russlands Aggression reagiert und beispiellos harte Sanktionen verhängt. Inzwischen gibt es ein siebtes Sanktionspaket. Und sie wirken, jeden Tag ein Stück mehr. Dass wir unsere Sanktionen wahrscheinlich lange Zeit aufrechterhalten müssen, war uns von Beginn an bewusst. Aber genauso klar ist für uns auch: Bei einem russischen Diktatfrieden wird keine einzige dieser Sanktionen aufgehoben. Für Russland führt kein Weg vorbei an einer Vereinbarung mit der Ukraine, die von den Ukrainerinnen und Ukrainern akzeptiert werden kann.

Ende Juni hat die EU der Ukraine und der Republik Moldau den Status von Beitrittskandidaten verliehen und die europäische Zukunft Georgiens bekräftigt. Und wir haben deutlich gemacht, dass die Beitrittsperspektive aller sechs Länder des Westlichen Balkans endlich Realität werden muss. Diese Länder sind Teil unserer europäischen Familie. Wir wollen sie in der Europäischen Union. Natürlich ist der Weg dorthin an viele Voraussetzungen geknüpft. Aber der Weg steht offen, und das Ziel ist klar!

Mit den historischen Entscheidungen der letzten Monate hat die Europäische Union einen großen Entwicklungsschritt unternommen. Die Europäische Union ist das Gegenteil zu Imperialismus und Autokratie. Deshalb ist sie Machthabern wie Putin auch ein Dorn im Auge. Permanente Uneinigkeit, ständiger Dissens zwischen den Mitgliedstaaten schwächt uns. Deshalb lautet die wichtigste Antwort Europas auf die neuen Herausforderungen: Geschlossenheit.

Auch global wirkt sich der Krieg in der Ukraine verheerend aus. Bestehende Probleme wie Armut, Hunger, abgerissene Lieferketten und Energieknappheit verschärfen sich. Viele Länder des Globalen Südens sehen zwar das Risiko des Ukraine-Kriegs. Und dennoch ist der Krieg in Europa für viele einerseits weit weg, anderseits bekommen sie seine Folgen ganz unmittelbar zu spüren. Mit vielen Ländern des Globalen Südens verbindet uns das Bekenntnis zu Demokratie, so unterschiedlich sie auch ausgeprägt sein mag, die Charta der Vereinten Nationen, die Herrschaft des Rechts, Grundwerte von Freiheit, Gleichheit, Solidarität, die Würde eines jeden Menschen. Diese Werte sind nicht an den Westen als geographischen Ort gebunden. Wir teilen sie mit Bürgerinnen und Bürgern überall auf der Welt. Um diese Werte gegen Autokratie und Autoritarismus zu verteidigen, brauchen wir eine neue globale Kooperation der Demokratien - und zwar über den klassischen Westen hinaus.

Damit das gelingt, müssen wir die Anliegen des Globalen Südens zu unseren Anliegen machen, Doppelstandards vermeiden und unsere Zusagen gegenüber diesen Ländern einlösen. Die immer wieder beschworene "Augenhöhe" muss auch wirklich hergestellt werden. Viele Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika bewegen sich - gemessen an ihrer Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft - längst auf Augenhöhe mit uns. Nicht zuletzt deshalb hatte Bundeskanzler Olaf Scholz seine Amtskollegen aus Indien, Südafrika, Indonesien, Senegal und Argentinien zum G7-Gipfel nach Elmau Ende Juni eingeladen. Wir sind mit ihnen und vielen anderen demokratischen Ländern dabei, Lösungen zu entwickeln für die Probleme unserer Zeit - die Nahrungsmittelkrise, den Klimawandel oder die Pandemie.

Die Europäische Union ist so attraktiv wie nie, sie öffnet sich für neue Mitglieder und wird sich zugleich reformieren. Die NATO wächst mit Schweden und Finnland um zwei starke Freunde. Weltweit rücken demokratische Länder zusammen, neue Bündnisse entstehen. Wir müssen zusammen mit anderen Lösungen erarbeiten und auf Alleingänge verzichten. Deutschland als Land in der Mitte Europas hat dabei die Aufgabe, Ost und West, Nord und Süd in Europa zusammenführen und damit Putins Propaganda zu widerlegen, Europa sei unfähig, seine Werte gegen Widerstände zu verteidigen.

Unser Ziel bleibt die Herstellung einer europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung, die für alle Staaten gleichermaßen Gültigkeit hat und die Unverletzbarkeit ihrer Grenzen garantiert. Wir werden uns Gesprächen mit Russland nicht verweigern. Auch in dieser extremen Lage ist es die Aufgabe der Diplomatie, Gesprächskanäle offenzuhalten. Wir stehen ein für den Frieden in Europa. Wir werden uns niemals abfinden mit Gewalt als Mittel der Politik. Wir werden uns immer stark machen für die friedliche Lösung von Konflikten. Und wir werden nicht ruhen, bis der Frieden in Europa gesichert ist. Dabei stehen wir nicht allein, sondern zusammen mit unseren Freunden und Partnern in Europa und weltweit.

Mit freundlichen Grüßen

Luiza Licina-Bode

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