Frage an Mahmut Özdemir bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Mahmut Özdemir
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Frage von Norbert Isa L. •

Frage an Mahmut Özdemir von Norbert Isa L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Özdemir,

unser Bundesaußenminister, ihr Parteikollege Frank-Walter Steinmeier hat sich vor einigen Tagen mit dem Französischen Amtskollegen getroffen, um eine „Europäischen-Superstaat“ zu planen.

Ist das die Antwort der Bundesregierung auf den „Brexit“? Für mich klingt das nach Schaffung einer Diktatur ( siehe veröffentlichtes Dokument http://www.godmode-trader.de/artikel/geheimdokument-europaeischer-superstaat-nimmt-form-an,4750665 )

Die Bürger der EU-Mitgliedstaaten wurden seiner Zeit mit dem Argument, das es ein „Europa der Vaterländer“ geben wird, besänftigt, doch jede vermeidliche Krise wurde mit mehr Zentralismus beantwortet und es würde bisher für den Großteil der EU-Bevölkerung immer schwieriger.

Ein Blick in die Vergangenheit reicht, um zu erkennen, dass zu große Gebilde immer zum scheitern verurteilt sind, solange sie nicht auf wirkliche Kooperation und Freiräume der Partner beruhen. Durch freien und fairen Handel lassen sich viele der geschaffenen Probleme vermeiden.

Ähnliche Gebilde wie die Heutige EU, z. B. Die Sovietunion, ist auch an seinem aufgeblähten Beamtenapparat gescheitert.

Ich würde ihre Meinung zu dem Thema gerne wissen?

Norbert Isa Leonhardt

PS. noch ein Satz von Albert Einstein: Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Leonhardt,

zunächst vielen Dank für Ihr Schreiben.

Derzeit befinden wir uns in schwierigen politischen Zeiten!

Was auf den ersten Blick wie eine abgedroschene Phrase klingen mag, ist auf den zweiten Blick allerdings leider eine nicht zu leugnende Beschreibung der aktuellen Lage. Einige Konflikte und Probleme fallen einem sofort ein: Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, die Bewältigung des Flüchtlingsstroms, die immer noch nicht ausgestandene Währungs- und Schuldenkrise oder die Spannungen in der Ost-Ukraine.

All diese Herausforderungen haben aber eine Gemeinsamkeit: sie sind auf nationalstaatlicher Ebene alleine kaum zu lösen. Die Globalisierung ist schon lange kein ausschließlich ökonomisches Phänomen mehr, sie tangiert auch immer mehr andere Teilbereiche des gesellschaftlichen Lebens. Dabei ruft sie neben einer Vielzahl von positiven Effekten auch – und das soll gar nicht in Abrede gestellt werden – Problemstellungen hervor, die es zu meistern gilt – gemeinsam von Politik und Zivilgesellschaft.

Allerding gibt es in den seltensten Fällen das wünschenswerte „one-size-fits-all“-Modell. Wir in der SPD-Bundestagsfraktion und somit auch ich persönlich sind aber der tiefen Überzeugung, dass es vernünftige und nachhaltige Lösungen nur gemeinsam auf europäischer Ebene geben kann.

Europa, und das hat die Vergangenheit gezeigt, ist nur vereint stark und in Summe ein Gewinn für alle Bürgerinnen und Bürger – auch gerade in Deutschland! Die Entscheidung Großbritanniens, die EU zu verlassen, bedaure ich sehr. Gleichwohl ist der Wunsch des britischen Volkes zu respektieren. Und dennoch: Der Brexit ist eine Zäsur in der Geschichte Europas. Ein „Weiter-so“ kann es so einfach nicht geben. Insbesondere treibt mich um, wie stark die Stimme derjenigen jungen Briten ist, welche diese schwerwiegende Entscheidung zurück zu holen wünschen, bevor sie sozusagen "vollstreckt" wird.

Es gilt daher nun, den Ursachen für den Brexit im Speziellen und der steigenden EU-Skepsis im Allgemeinen auf den Grund zu gehen. Warum genießt die EU unter manchen Bürgerinnen und Bürgern länderübergreifend einen schlechten Ruf? Warum ist sie gerne Gegenstand von Häme, Spott und Überheblichkeit? Warum werden offensichtliche und überragende Erfolge und Errungenschaften der Europäischen Union im öffentlichen Diskurs gerne unterschlagen? Ist es doch die EU, die die Basis für den Wohlstand in den Mitgliedsstaaten schafft, die den enormen Binnenmarkt für Konsumenten und Unternehmen öffnet und die ihren Bürgern die Freiheit garantiert, dort zu arbeiten, zu leben oder ihren Ruhestand verbringen zu können, wo sie wollen. Überdies ist die EU ein Jahrhunderts-Friedensprojekt, dies darf niemals in Vergessenheit geraten.

Neben all den positiven Errungenschaften müssen aber auch die Defizite der EU offen angesprochen werden. Beispielhaft seien an dieser Stelle die mitunter sehr langen Legitimationsketten aus den Mitgliedsstaaten hinein in die europäischen Institutionen genannt sowie der Umstand, dass es sicherlich auch manche europäische Regelung gibt, die auf nationalstaatlicher Ebene besser aufgehoben wäre. Die Europäische Union ist letztlich immer nur so stark, wie das normative Fundament, auf das sie sich stützt. An der Stabilität und Tragfähigkeit müssen wir alle gemeinsam arbeiten. Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger die europäische Idee verinnerlichen und für sich die Vorteile erkennen, können wir die Zukunft Europas gestalten und die eingangs beschriebenen Herausforderungen gemeinsam bewältigen. Dazu ist es aber auch nötig, dass die Politik einerseits für die EU weiterhin wirbt, aber auch Vorgänge und Abläufe erklärt und an die jeweiligen nationalstaatlichen Zivilgesellschaften rückkoppelt. An dieser Stelle sei Ihnen auch versichert: es gibt keinerlei Bestrebungen, einen europäischen „Superstaat“ zu kreieren. Die europäische Integration ist kein Selbstzweck. Es hat sich aber in der Vergangenheit gezeigt, dass mit ihr überaus positive und wünschenswerte Effekte einhergehen und sie das Leben der europäischen Bürgerinnen und Bürger schlicht besser macht.

Ich bin überzeugter Europäer, weil es meiner Meinung nach immer die Mühe wert ist, große Fragen im europäischen und internationalen Kontext zu diskutieren, statt vorschnell Fakten zu schaffen.

Herzlichst

Ihr Mahmut Özdemir

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