Frage an Matthias W. Birkwald bezüglich Finanzen

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Matthias W. Birkwald
DIE LINKE
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Frage von Heinrich H. •

Frage an Matthias W. Birkwald von Heinrich H. bezüglich Finanzen

Betreff: Kredit für Griechenland

Sehr geehrter Herr Birkwald,

in Titel VIII, Artikel 125 (1) der AEUV ist zu lesen: "Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedsstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens."
Wie kommt es nun, dass in dieser Woche trotzdem im Bundestag über den deutschen Beitrag zu den Milliardenkrediten für Griechenland abgestimmt wird? Das ist nach geltendem, kürzlich verabschiedeten Recht illegal! Wie stehen Sie dazu?

Griechenland hat jahrelang über die eigenen Verhältnisse gelebt. Die griechische Regierung hat die zuständigen EU-Institutionen mit vielfachen Tricksereien hintergangen. Die Bundesregierung erklärt nun, dass kein Steuergeld nach Griechenland fließt und Deutschland nur für Kredite bürgt, die pünktlich zurückgezahlt würden. Für den deutschen Steuerzahler gebe es deshalb kein nennenswertes Ausfallrisiko.
Wenn dem so ist (hier möchte ich Sie als Steuerzahler zu mir ins Boot holen): Sind Sie bereit, für diese Bürgschaft an die Griechen auch persönlich zu bürgen? Und zwar in Höhe Ihrer Abgeordneten-Diäten für ein Jahr? Denn wenn dieses Engagement schief geht, habe ich nicht die geringste Möglichkeit, vom beschliessenden Deutschen Bundestag Regress zu beanspruchen.

Ihrer Antwort sehe ich mit großem Interesse entgegen.

Mit freundlichen Grüßen
Heinrich Hofauer

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Hofauer,

vielen Dank für Ihre Nachfrage. Ihre Befürchtungen sind berechtigt, jedoch meines Erachtens aus anderen Gründen, als den von Ihnen benannten.

DIE LINKE hat das Griechenland-Rettungspaket abgelehnt, weil es keine Maßnahmen zur Entwaffnung der Spekulantinnen und Spekulanten sowie einer verbesserten Koordination der Eurozone enthielt. Die Sparprogramme halten wir sogar für kontraproduktiv. Sie werden Griechenland und weitere Euro-Staaten in die Rezession drücken und somit den Schuldenstand erhöhen. Wir werden daher auch das Euro-Rettungspaket ablehnen.

DIE LINKE im Bundestag befürwortet Hilfen für notleidende Währungspartner, nicht jedoch auf Kosten der Bevölkerungsmehrheit in Deutschland und unseren europäischen Partnerländern. Spekulationen treiben die Zinsen auf Staatsanleihen und somit die Staatsverschuldung in die Höhe. Banken leihen sich billiges Geld bei der Europäischen Zentralbank (EZB) und verleihen es zu Wucherzinsen an Euro-Staaten. Die Banken und Spekulanten verdienen somit an der Staatsverschuldung, die Bevölkerung soll die Rechnung bezahlen. Das lehnt DIE LINKE ab.

Die Bundesregierung argumentiert, dass das Beistandsverbot gemäß Art. 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU die Haftung der Mitgliedstaaten ausschließt, nicht jedoch die freiwillige Unterstützung durch bilaterale Kredite. Die Aussetzung des Beistandsverbots war geboten, um die Zahlungsunfähigkeit von Euro-Staaten abzuwenden und die europäische Währungsunion zu schützen. Wir haben die europäische Vertragsarchitektur sowie den Verzicht auf eine koordinierte Wirtschafts-, Lohn- und Steuerpolitik ohnehin immer kritisiert, da sie in einer Währungsunion realitätsfern ist. Entweder man verabredet eine koordinierte europäische Wirtschaftspolitik, um Schuldenkrisen zu verhindern oder man muss - wie jetzt geschehen - bedrohten Euro-Staaten beistehen.

Die Ursachen der Probleme in den Mitgliedstaaten sind vielfältig.

Erstens: Die Bankenrettung und die notwendigen Konjunkturprogramme wurden auf Pump finanziert, statt die Verursacher und die Profiteure der Krise in die Pflicht zu nehmen. Hinzu kommt das Steuerdumping in der Euro-Zone sowie die deutschen Billiglöhne, die sich mittelbar auch auf die Staatsfinanzen unserer EU-Partner auswirken (siehe unter Drittens).

Griechenlands Staat ist nicht zu fett, sondern zu schwach: Während Griechenlands Staatsquote seit dem Jahr 2000 bis zum Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise selbst unter der deutschen Staatsquote lag, entspricht die Besteuerung von Einkommen aus Gewinnen und Vermögen mit 15,9 Prozent nur der Hälfte des Durchschnitts der Eurozone. Der schwache griechische Staat ist auch die wesentliche Ursache für Selbstbedienung und Korruption, etwa des Militärs und hoher Beamtinnen und Beamter. Die Mehrheit der griechischen Bevölkerung hat aber keinesfalls über ihre Verhältnisse gelebt, die Durchschnittslöhne liegen bei etwa 800 Euro, die Durchschnittsrenten bei 600 Euro. Hinzu kommen hohe Militärausgaben von 4,3 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung. Die Bundesregierung hat ihre Hilfszusagen nach Aussagen des griechischen Ministerpräsidenten sogar an die Bestätigung von Rüstungsverträgen mit Deutschland geknüpft.

Die Linksfraktion fordert einen Stopp der Rüstungsexporte nach Griechenland, eine Millionärssteuer in Deutschland sowie eine Mindestbesteuerung von Gewinnen, hohen Einkommen und Vermögen in der EU. Darüber hinaus fordert DIE LINKE ein Schuldenmoratorium sowie einen Forderungsverzicht der Gläubiger (sog. hair cut). Da ein großer Teil der Staatsanleihen notleidender Währungspartner bei öffentlichen Banken lagert und ein hair cut womöglich von den Kapitalmärkten mit höheren Zinsen sanktioniert wurde, diskutiert DIE LINKE zudem eine niedrig verzinste Zwangsanleihe. Damit könnten auch jene Institute belangt werden, die - wie die Deutsche Bank - über Kreditausfallversicherungen an der Euro-Krise verdienen. Dann haftet auch Herr Ackermann, nicht Lieschen Müller. Die politische Willensbildung ist hier aber noch nicht abgeschlossen.

Zweitens: Spekulantinnen und Spekulanten heizen die Staatsverschuldung an. Dabei treiben sie etwa über den Handel mit Credit Default Swaps (Kreditausfallversicherungen) die Risikoprämien und Zinsen auf Staatsanleihen in die Höhe, auch wenn sie gar keine Staatsanleihen der betreffenden Mitgliedstaaten besitzen. Das ist ungefähr so als würde ein Brandstifter eine Feuerversicherung auf das Haus des Nachbarn abschließen. Wenn es brennt, macht er Kasse. Die Banken leihen sich zudem billiges Geld bei der Europäischen Zentralbank (EZB) und verleihen es zu Wucherzinsen an EU-Mitgliedstaaten.

DIE LINKE fordert daher seit Jahren u.a. eine Finanzmarkttransaktionsteuer, das Verbot von Credit Default Swaps sowie von Leerverkäufen. Darüber hinaus fordert DIE LINKE die Auflage von gemeinsamen Euro-Bonds (statt der nationalen Staatsanleihen) und Zentralbankkredite im Rahmen der allgemeinen haushaltspolitischen Grundsätze, um die Wucherzinsen der Banken zu drücken.

Drittens: Die internationale Kritik an den deutschen Billiglöhnen (vgl. US-Wirtschaftsnobelpreisträger Krugman & Stiglitz, US-Präsident Obama sowie franz.Wirtschafts- und Finanzministerin Lagarde) ist berechtigt. Der Euro kann nur funktionieren, wenn die Löhne in der Eurozone nicht völlig auseinander laufen. Die Lohnstückkosten, d.h. die Löhne im Verhältnis zur Produktivität der Beschäftigten, stiegen im Rest der Eurozone seit 2000 um 27 Prozent, in Griechenland um 28 Prozent aber in Deutschland nur um 7 Prozent. Schuld sind unter anderem die Agenda 2010, Leiharbeit, befristete Beschäftigungsverhältnisse und Hartz IV. Deutschland hat wegen seiner Billiglöhne mehr Waren und Dienstleistungen an das Ausland verkauft als umgekehrt. Unsere EU-Partner mussten sich daher immer stärker bei uns verschulden. Für diese Schulden von privaten Haushalten und Unternehmen haftet in der Krise der Staat. Dies hat mehrere Gründe: Das Wachstum der Euro-Partner und die Steuereinahmen brechen ein, der Staat muss mehr für die Konjunktur tun, da Unternehmen und privaten Haushalten das Wasser bis zum Hals steht und Kredite im Bankensystem werden faul. Lohndumping schadet aber auch Deutschland: Die deutsche Wirtschaft wuchs seit 1999 durchschnittlich um 0,8 Prozent gegenüber 1,4 Prozent Wachstum in der Eurozone oder 1,5 Prozent in Frankreich.

Wir LINKEN fordern daher einen Abbau der Ungleichgewichte im europäischen Handel. Deutschland muss mehr für die Binnennachfrage tun, etwa durch einen Mindestlohn sowie mehr öffentliche Investitionen. DIE LINKE hat zudem einen außenwirtschaftlichen Stabilitätspakt vorgeschlagen, der alle EU-Mitgliedstaaten auf einen ausgeglichenen Außenhandel verpflichtet.

Ich hoffe, ich konnte Sie mit dieser Antwort zufriedenstellen und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Matthias W. Birkwald, MdB

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