In Portugal gibt es eine hohe Impfquote, eine hohe, schnell ansteigende 7-Tage-Inzidenz und viele Kontakt-Beschränkungen. Könnte uns das auch passieren?

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Petra Sitte
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Frage von Reinhard G. •

In Portugal gibt es eine hohe Impfquote, eine hohe, schnell ansteigende 7-Tage-Inzidenz und viele Kontakt-Beschränkungen. Könnte uns das auch passieren?

https://www.corona-in-zahlen.de/weltweit/portugal/ (Am 30.12. eine 7-Tage-Inzidenz von 861,7)
https://www.berliner-zeitung.de/news/trotz-hoher-impfquote-corona-massnahmen-in-portugal-werden-verschaerft-li.198083
https://www.stern.de/gesundheit/98-prozent-impfquote--diesen-weg-geht-portugal-gegen-das-coronavirus-30910886.html

Sehr geehrter Frau Sitte,

was sagen Sie zu Studien, die aussagen, das die Wirksamkeit von Impfungen mit der Zeit nicht nur nachlassen, sondern sich dann auch ins Gegenteil wenden kann?
https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1032671/Vaccine_surveillance_report_-_week_44.pdf
https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.12.20.21267966v3

Rechnen Sie mit einer steigenden Zahl von Auffrischungsimpfungen? Was würde bei einem möglichen Impfstoff-Lieferengpass geschehen? Wie denken Sie über die Situation von ärmerer Ländern, in denen es weniger Impfstoff gibt?

Mit freundlichen Grüßen

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Sehr geehrter Herr G.,

vielen Dank für Ihre Frage. 

Die Zahlen in Portugal und Spanien sind tatsächlich alarmierend. Der Autor der corona-in-zahlen-Webseite, die Sie verlinken, weist zwar in seinem Impressum ausdrücklich darauf hin, dass er „keinerlei Gewähr für die Aktualität, Korrektheit, Vollständigkeit oder Qualität der bereitgestellten Informationen“ übernimmt. Aber auch seriöse Quellen bestätigen die enorm hohen Inzidenzzahlen in beiden Ländern. Allerdings sorgt dort die hohe Impfquote dafür, dass die meisten Infizierten keine oder nur leichte Krankheitssymptome aufweisen. Die Reaktionen der Regierungen gründen auf der Einsicht, dass Impfungen kein Allheilmittel sind, sondern die Eindämmung der Pandemie immer mit mehreren Mitteln geschehen muss, zu denen auch Abstandsregeln, Kontaktbeschränkungen etc. zählen.

In den beiden Veröffentlichungen zur Impfeffektivität, die Sie zitieren, findet sich an keiner Stelle der Befund, dass die Wirkung der Impfungen sich in ihr Gegenteil verkehrt. Sowohl die Untersuchung der britischen UKHSA als auch diejenige der dänischen Forschergruppe (die noch keinem Peer Review unterzogen wurde und bis dahin ausdrücklich nicht verwendet werden soll, „um die klinische Praxis zu leiten“/„to guide clinical practice“) stellen fest, dass die Wirksamkeit der Impfungen nach einigen Monaten nachlässt. Das ist eine bedauerliche, aber keine neue Erkenntnis. Genau weil dies schon bekannt war, sind die Auffrischungsimpfungen eingeführt worden.  

Die bisherige Erfahrung stimmt mich hoffnungsvoll, dass mehr und mehr Menschen sich eine Auffrischungsimpfung geben lassen werden. Bis Weihnachten 2021 hatten 28 Millionen Menschen in Deutschland von diesem Angebot Gebrauch gemacht, wie Herr Breuer, der Leiter des Corona-Krisenstabs, am 22. Dezember bekannt gab. Weitere werden folgen. Im Falle eines Lieferengpasses könnten entsprechend weniger Impfungen verabreicht und neuer Impfstoff müsste bestellt und hergestellt werden. Sämtliche Hersteller haben ihre Produktionskapazitäten in den vergangenen Monaten maximal ausgebaut, nicht zuletzt weil Regierungen umfangreiche Bestellungen aufgegeben und die Unternehmen finanziell unterstützt haben. Lieferengpässe ergeben sich, wo sie auftreten, daher in der Regel aus organisatorischen Gründen, die schnell zu beheben sind, und nicht weil materiell kein Impfstoff vorhanden oder rasch zu produzieren wäre. Das Bundesgesundheitsministerium hat erst dieser Tage weitere 55 Millionen Dosen Impfstoff eingekauft.

Die Situation der ärmeren Länder, in denen außerhalb der industriellen Zentren die Mehrheit der Menschheit lebt, ist erheblich kritischer als unsere hier. Als LINKE treten wir deshalb für eine sofortige Freigabe der Patente auf die – oft mit staatlicher Finanzhilfe entwickelten – Impfstoffe ein, damit preiswerte Generika produziert werden können und rasch möglichst alle Länder umfassenden Zugriff auf Impfstoffe bekommen. Die bisherigen internationalen Initiativen zur Versorgung finanzschwacher Länder und Regierungen haben, wie vorhersehbar war, bei Weitem  nicht ausgereicht, um weltweit Impfungen zu ermöglichen und die Impfquoten flächendeckend zu erhöhen. Die Politik der Regierungen der Industriestaaten, den Pharmakonzernen nach laxen Verhandlungen Milliarden zu zahlen, um jeweils nur ihre eigene Bevölkerung zu schützen, ist extrem kurzsichtig. Denn das Virus grassiert und mutiert weltweit. Deshalb muss auch die Pandemiebekämpfung weltweit ansetzen, sonst löschen wir immer nur einzelne Brandherde, bekommen den Flächenbrand aber nicht in den Griff.

Auch mit Blick auf die globale Pandemielage gilt daher: Wir sitzen alle in einem Boot und müssen einander schützen, um uns selbst zu schützen. Ein zentrales Element einer solchen Strategie sind Impfungen. Aber sie allein werden das Problem nicht lösen.

mit freundlichen Grüßen,

 

Dr. Petra Sitte

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