Frage an Sina Imhof von Dirk B. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen
Unerwartet und nicht angekündigt übt die Stadt plötzlich ihr Vorkaufsrechts auf alle Gebäude im Deichgrund der Binnendeiche in den Vier und Marschlanden aus. Die LSBG plant den Abriss dieser teilweise über 100 Jahre alten Gebäude, die die Kulturlandschaft prägen. Andererseits werden Baugenehmigung für Häuser im Deichgrund erteilt und Verkäufe noch vor 3 Jahren durchgewunken.
Es ergeben sich folgende dringende Fragen:
1. Auf Basis welcher Rechtsverordnung, Dienstanweisung oder Gesetzes (bitte jeweils mit Datum) wird das Vorkaufsrecht zur Anwendung gebracht?
2. Wie kann es sein, dass aktuell am Ochsenwerder Norderdeich Häuser im Deichgrund in Bau befindlich sind, vor 3 Jahren Allermöher Deich 94 verkauft wurde und Allermöher Deich 88 im Deichgrund errichtet werden durfte?
3. BGB und HWaG verlangen rechtlich haltbare Begründungen für die Anwendung des Vorkaufsrechts. Wie lautet diese?
4. Die BUE bezieht sich für den aktuellen Bedarf auf die Studie: BINNENHOCHWASSERSCHUTZ UNTER BERÜCKSICHTIGUNG VON ÖKOLOGIE UND ÖKONOMIE, sie ist von einer Mitarbeiterin der LSBG erstellt und sich auf Oberflächenwasserableitung, modellhaft für die Kolau und Dove Elbe bezieht. Neben dem fehlenden Bezug zum Deichschutz wird lediglich die Schaffung von Stauräumen im Vorland empfohlen. Das Haus Allermöher Deich 95, welches betroffen ist, steht im Hinterland, also der wasser- abgewandten Seite. Wie ist das mit dem Bezug auf diese Studie und der Anwendung des Vorkaufsrechts zu vereinbaren?
5. Die RICHTLINIE 2007/60/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 23. Oktober 2007 über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken fordert in Artikel 1
„Ziel dieser Richtlinie ist es, einen Rahmen für die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken zur Verringerung der hochwasserbedingten nachteiligen Folgen auf die menschliche Gesundheit, die Umwelt, das Kulturerbe und wirtschaftliche Tätigkeiten in der Gemeinschaft zu schaffen.”
Wie wurde die Bewertung für das Kulturerbe vorgenommen und mit welchem Ergebnis?
6. Die interaktive Flutrisikokarte zeigt ein Flutrisiko an der Dove Elbe erst bei einem extremen Flutereignis und der Annahme, dass der Deichschutz versagt hat.
Wie lässt sich daraus ein Risiko für die Binnendeiche und damit der Bedarf ableiten?
7. Das BUE sagt, dass man in den nächsten 100 Jahren vom gesetzlichen Vorkaufsrecht konsequent Gebrauch machen wird und dass es zu keinen Enteignungen kommen wird. Von gleicher Stelle heißt es, dass die Öffnung der Dove Elbe zu Tide Elbe eine Erhöhung der Deiche fordern wird.
Abgesehen davon, dass es nicht einmal eine abschließende Studie zu diesem Thema gibt und eine vollständige Öffnung vom Forum Tide-Elbe gar nicht in Erwägung gezogen wird, heißt dies verbindlich, dass es erst zu Maßnahmen kommt wenn der Letzte freiwillig verkauft hat?
Welche Garantien erhalten aktuelle Eigentümer?
8. Die LIG teilte in Abstimmung mit der LSBG mit, dass Häuser im Deichgrund lediglich geduldet sein.
Wann und in welcher Form hat man dies den Eigentümern mitgeteilt?
9. Was bietet man den betroffenen Eigentümern jetzt an, die ab sofort ihren Grund und Boden nicht mehr verkaufen können und daher im besten Fall einen Verkehrswert erhalten, der sich an Bodenrichtwerten orientiert, die ins Bodenlose fallen werden?
10. Wie ist der genaue zeitliche Ablauf der Maßnahme?
11. Welche Häuser sind betroffen?
12. Was im einzelnen genau geplant?
13. Wann wird mit uns endlich gesprochen?
14. Was ist im Oktober oder November in der Hamburger-Bürgerschaft genau geplant. Worüber soll da entschieden werden?
15. Warum ist in den letzten Jahren die Deichpflege so extrem vernachlässigt worden?
16. Aus FORUM TIDEELBE, Titelthema DOVE-ELBE, Durch Wiederanbindung könnte zusätzliches Tidevolumen in relevantem Umfang geschaffen werden. Dazu aus DHI 7.1.1 Wirkung der Dove Elbe Anbindung in Höhe Brunsbüttel bis zu 3 cm.
Frage: Wird die Zerstörung dieses einmaligen Ökoparadieses ca. 10 Minuten von der Stadtmitte entfernt für 1-2 fingerbreite Wasserhöhe in Kauf genommen?
17. Aus FORUM TIDEELBE, Titelthema DOVE-ELBE, Aus ökologischer Sicht wurde das Aufwertungspotiental der Fläche gegenüber wertvollem Bestand als gering eingeschätzt.
Frage: Die Tide wurde 1952 sinnvollerweise von der Dove Elbe abgesperrt. Sind die Baumaßnahmen es wert, dass in 70 Jahren gewachsene Ökosystem, das größte Wassersportfreizeitgebiet, das Olympia-Trainingsgebiet schwer zu beschädigen?
Vielen Dank für die interessierten Nachfragen zu den möglichen Entwicklungen im Bereich der Dove-Elbe
Zunächst ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Stadt am Allermöher Deich in keinem Zusammenhang mit der Machbarkeitsstudie zur Dove-Elbe im Rahmen des Forums Tideelbe steht.
Im Tideelbe-Forum geht es darum, Strombau-Maßnahmen zu identifizieren, die eine nachhaltige Entwicklung der Tideelbe fördern. Im Vordergrund steht die positive Beeinflussung des Tidegeschehens und der Sedimentation, wobei für alle untersuchten Maßnahmen auch ihre Verträglichkeit mit ökologischen Anforderungen und bestehenden Nutzungen bewertet wird. Die Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Stadt an der sogenannten zweiten Deichlinie steht dagegen im Zusammenhang mit den durch die Klimakatastrophe sich verändernden Hochwasserszenarien. Die Deichsicherheit muss auf viele Jahre gesehen den sich ändernden Verhältnisse angepasst bleiben, um die Stadt bei Extremwetterereignissen und Flutsituationen angemessen schützen zu können.
Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudien des Tide-Elbe-Forums werden für den Herbst erwartet. Da das Forum neben Behörden, auch Vertretende aus dem Naturschutz, der Landwirtschaft und den Anliegenden und Sportnutzenden umfasst und länderübergreifend agiert, ist es nicht Aufgabe der Politik, den Ergebnissen der wissenschaftlichen Arbeit, die hier in Auftrag gegeben worden ist, vorzugreifen. Der Lenkungskreis des Forums wird diese Bewertung im Herbst vornehmen.
Ihre Fragen bezogen sich aber überwiegend auf die fachlichen Hintergründe zum städtischen Vorkaufsrecht am Allermöher Deich.
In Hamburg besteht in drei Bereichen eine zweite Deichlinie: an der Dove Elbe, an der Billwerder Bucht und an der Este. Zur zweiten Deichlinie gehören alle Deiche hinter Sperrwerken oder an tidefreien Gewässern; deren Gesamtlänge beträgt 38 km.
Der Landesbetrieb Straßen, Brücken, Gewässer (LSBG) hat im Auftrag der Umweltbehörde (BUKEA) die Funktion dieser zweiten Deichlinie für den Hochwasserschutz zunächst an der Dove Elbe und der Billwerder Bucht betrachtet, u.a. mit Hilfe der computergestützten Simulation von Hochwasserereignissen. In Folge dieser Untersuchungen ist die Behörde zu einer Neubewertung der Bedeutung der zweiten Linie gekommen.
Die wesentlichen Gründe dafür sind:
- Die erste Deichlinie ist nach 1962 mit hoher Priorität kontinuierlich ausgebaut und instandgehalten worden und galt als nach menschlichem Ermessen vollständig sicher. Am Fall des Este-Sperrwerks, das vorübergehend durch Schlick blockiert war, ist jedoch in jüngster Zeit deutlich geworden, dass eine solche vollständige Sicherheit nicht unterstellt werden sollte.
- In den letzten Jahren haben Extremwetterereignisse zugenommen. Es ist zu erwarten, dass sich dieser Trend klimawandelbedingt fortsetzen wird. Mit den extremen Niederschlägen steigt auch die Gefahr von Binnenhochwassern.
- Mit dem Meeresspiegelanstieg und erhöhter Sturmflutgefahr wächst das Risiko von Sperrtiden, d.h. solcher Wasserstände, bei denen die Sperrwerke schließen müssen, wodurch die dahinter liegenden Gewässer gestaut werden .
Die Untersuchung durch den LSBG hat gezeigt, dass die zweite Deichlinie in diesen genannten Fällen für die binnendeichs gelegenen Gebiete den Hochwasserschutz gewährleisten können, sowohl bei einem Versagen der Sperrwerke als auch bei extremen Wasserständen infolge von Sperrtiden oder Binnenhochwasser. Wegen dieser Bedeutung für den Hochwasserschutz, sollen auch die Deiche der zweiten Linie erhalten und – wo nötig – ertüchtigt werden. Das gilt umso mehr, wenn in Zukunft die Siedlungsdichte in den betroffenen Gebieten weiter zunehmen wird.
Der Verwaltungsausschuss Hochwasserschutz (HWS) wollte sich damit auf der dann Corona-bedingt ausgefallenen Sitzung im März befassen.
Um vor dem Hintergrund dieses Befundes die Funktionsfähigkeit der zweiten Deichlinie sicherstellen zu können, nutzt die Stadt das ihr aufgrund von Wassergesetz und Deichordnung zustehende Vorkaufsrecht, an der Dove Elbe bisher (2020) in fünf Fällen. Die Käufe werden über den Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) abgewickelt, der eine gutachterliche Bewertung der Immobilie vornehmen lässt. Als Kaufpreis wird in aller Regel der vertraglich mit dem Erstkäufer vereinbarte Preis bezahlt. Der Verkehrswert ist der Marktwert, Bodenrichtwerte sind hier nicht einschlägig. Außerhalb von Deichgrund und Schutzstreifen können auch zukünftig Grundstücke gehandelt und genutzt und Gebäude errichtet werden. Es gibt daher keinerlei Anlass, ein Einbrechen des Marktes oder eine Entwertung der Immobilien am Deich zu erwarten. Die BUKEA ist dabei, eine langfristige Strategie für die Deiche der zweiten Linie zu erarbeiten. Angesichts der Folgen des Klimawandels ist der Hochwasserschutz eine existentiell wichtige Aufgabe, die in den nächsten Jahrzehnten große Anstrengungen von uns verlangen wird.