Frage an Stefan Ruppert bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Portrait von Stefan Ruppert
Stefan Ruppert
FDP
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Stefan Ruppert zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Frank N. •

Frage an Stefan Ruppert von Frank N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Werter Herr Dr. Stefan Ruppert

In Ihrer Antwort vom 21.10.2011 zum Thema Wahlrecht haben Sie festgestellt, das zu einen Ungleichgewicht kommen könnte, diese aber gering seiein.
Ich habe zu den neuen Wahlrecht jedoch generell eine Frage, warum werden Kanditaten zu 50% durch die Landeslisten der Parteien in die Parlamente geschickt. Die Wähler haben auf diese Politiker so gut wie keinen Wahleinfluss, es sei denn das die partei unter die 5% Hürde fällt.
Sind Sie nicht auch der Meinung das die Ageordneten zu 100% durch das Volk gewählt werden soll und auch das recht haben sollte Spitzenpolitiker der Parteien nicht wählen zu können.
Spitzenpolitiker der Parteien werden also immer in die Parlamente gelangen, obwohl sie nicht durch das Volk gewählt werden möchten.
Meine Frage an Sie sollten nicht alle Abgeordneten durch die Wähler direkt gewählt werden?
es gibt meines erachtens 299 Wahlkreise für die Bundestagswahl, also könnten doch pro Wahlkreis 2 Abgeordnete direkt gewählt werden und somit würde auch das Dilema der Überhangsmandate sofort wegfallen, diese Form des Wahlrechts wäre die demokratischte die es überhaupt gibt.
Was spricht Ihrer Meinung nach gegen die Form des Wahlrechts.

Vielen dank
Frank Neumann

Portrait von Stefan Ruppert
Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Neumann,

vielen Dank für Ihre Anfrage über die Internetplattform www.abgeordnetenwatch.de vom 10. Februar 2012.

Sie werfen die Frage der demokratischen Legitimation der Zweitstimme in unserem Wahlsystem auf und fragen berechtigterweise, ob es überhaupt zulässig ist, dass ausschließlich die Parteien die Kandidatenlisten aufstellen und der Bürger eigentlich keine Einflussmöglichkeiten auf die Zusammensetzung haben.

Um die Existenz der Zweitstimme zu bewerten, muss man sich die Stellung der politischen Parteien in unserer Demokratie beleuchten. Deutschland ist eine parlamentarische Demokratie, in der Parteien eine überragende Rolle spielen, als Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft. Dieser Anspruch ergibt sich aus Artikel 21 Grundgesetz. In dem heißt es, dass die Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Somit kanalisieren und institutionalisieren sie die Meinung des Volkes in ihren verschiedenen Ausprägung und versuchen dann, diese im staatlichen Findungsprozess umzusetzen. Auch in der parlamentarischen Arbeit spielen Parteien eine große Rolle. Häufig ist es schwer, um nicht zu sagen unmöglich, sich als einzelner Abgeordneter Gehör zu verschaffen oder gar eine Gesetzesinitiative einzureichen. Deshalb schließen sich Abgeordnete der gleichen politischen Richtung in Fraktionen zusammen, die meistens auch mit der Parteizugehörigkeit zusammenfallen und diese Zusammenschlüsse somit vereinfachen. Erst in diesen Zusammenschlüssen ergibt sich eine Erweiterung der Kompetenzen, so zum Beispiel das Vorlegen einer Gesetzesinitiative durch eine Fraktion. Es vereinfacht die politische Arbeit und sorgt für ein funktionierendes Staatssystem.

Nun könnte man einwenden, dass es trotz der hervorgehobenen Stellung der Parteien zu einem Demokratiedefizit der Zweitstimme kommen könnte und dieses sich allein durch die Position der politischen Parteien in Deutschland rechtfertigen lassen würde.
Aus dem Grundgesetz, genauer dem Artikel 21, ergibt sich auch, dass Parteien dazu verpflichtet sind, ihren inneren Aufbau nach demokratischen Grundsätzen zu richten. Darin liegt für mich der Schlüssel zur Legitimation der Zweitstimme. Um das besser zu verstehen, muss man den Prozess, der zur Aufstellung der Landeslisten führt, näher beleuchten. Dieser Willensbildungsprozess geht, nicht wie häufig fälschlicherweise angenommen, von „oben nach unten“, sondern umgekehrt. Für eine Zusammenstellung zählen verschiedene Kriterien: Gerade bei den größeren Parteien wird viel Wert darauf gelegt, dass verschiedene Gruppen und Schichten der Bevölkerung im jeweiligen Bundesland repräsentiert werden. Auch wird auf regionale Unterorganisationen und Besonderheiten Rücksicht genommen. Dieser Vorschlag für eine Landesliste wird dann, wie es im Bundeswahlgesetz auch niedergeschrieben steht, durch eine Delegiertenversammlung, die stellvertretend für alle Parteimitglieder agiert, nach den Grundsätzen der demokratischen Wahl, so wie sie auch für die eigentliche Bundestagswahl gelten, angenommen. Somit liegt hier ein gutes Beispiel für repräsentative Demokratie vor.

Hinter diesem System steht die Idee, dass der politisch interessierte Bürger sich zur Umsetzung seiner politischen Ideen und Ideale in einer politischen Partei engagiert und somit die Möglichkeit hat, an den Diskussionen und Abstimmungen über die einzelnen Landeslisten teilzunehmen und den Parteien ihre Legitimation zu geben.

Aus diesen Gründen halte ich das Modell der personalisierten Verhältniswahl für sehr überzeugend und erfolgreich, wie es die politische Stabilität und demokratische Entwicklung der Bundesrepublik aus einem historischen Blickwinkel zeigen.

Die Einführung der Wahl eines zweiten Abgeordneten in den 299 Wahlkreisen, wie Sie es vorschlagen, würde letztendlich auf ein Mehrheitswahlrecht hinauslaufen. Das führt in der Konsequenz dann dazu, dass sich das etablierte und den Bürgern vertraute Mehrparteiensystem in ein Zwei- bzw. Drei-Parteiensystem wandeln würde. Kleine Parteien wären so strukturell benachteiligt. Auch aufgrund der positiven Entwicklung und der hohen Akzeptanz der personalisierten Verhältniswahl in Deutschland halte ich eine solche Reform für nicht wünschenswert.

Ich danke Ihnen recht herzlich für Ihre Frage und hoffe, dass ich Sie durch den von mir aufgezeichneten Argumentationsfaden zugunsten der Zweiteilung der Stimme meinen Standpunkt näher bringen konnte.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Stefan Ruppert, MdB