Frage an Stefan Ruppert bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Stefan Ruppert
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Frage von Hartmut Frank M. •

Frage an Stefan Ruppert von Hartmut Frank M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Ruppert,

mich würde interessieren, warum Sie für die Beschneidung von Jungen gestimmt haben?
Die öffentliche Meinung der FDP kam bei mir früher anders herüber. Nun musste ich aber feststellen, dass viele FDPler für den Gesetzesentwurf gestimmt haben, manche sogar Druck machten, damit es zu einer gesetzlichen Regelung kam.

Ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht höher zu werten?
Religionsfreiheit besteht m.E. nicht, wenn er Staat die christl. Kirchen mitfinanziert bzw. pensionierten Kirchenleuten ihre Pensionen bezahlt, Religionsfreiheit besteht m.E. nicht, wenn man ungefragt Kinder tauft und sie in den Schulen mit Religionsunterricht zwangsunterrichtet.
Können Sie verstehen, dass ich unter Religionsfreiheit etwas anderes verstehe- nämlich wirkliche Unabhängigkeit? Wie ist eine solche gegeben, wenn man z.B. in kirchlichen Einrichtungen, die der Staat mitfinanziert, nur mit einer Mitgliedschaft in der Kirche einen Job bekommt und bei Scheidungen den Job ggf. verliert?
Zumindest las ich desöfteren, dass sich die FDP gegen sogenannte Staatsleistungen für die Kirche einsetzt. Was ist diesbezüglich in der bisherigen Wahlperiode geschehen? Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, wo sich die FDP diesbezüglich auch nur ansatzweise durchgesetzt hat.

Warum setzen Sie sich nicht für eine wirkliche Religionsfreiheit ein?

Mit freundlichen Grüßen

Hartmut Frank Mueller

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Müller,

vielen Dank für Ihre Fragen und das damit verbundenen Interesse an der religionspolitischen Arbeit der FDP-Bundestagsfraktion.

Bezüglich der sog. Staatsleistungen an die Kirchen sind wir Liberale offen für konsensuale Gespräche mit den Kirchen, um eine einvernehmliche Lösung zu finden. Eine einseitige Ablösung käme einer Enteignung gleich und ist nach herrschender Meinung rechtswidrig. Die beiden großen Kirchen verschließen sich einer Auseinandersetzung mit dem Thema nicht. Es gibt gute Beispiele in den Ländern, etwa in Hessen, wo 2006 eine christlich-liberale Landesregierung eine Ablösung der kirchlichen Baulasten auf kommunaler Ebene erreicht hat.

Sie sprechen das sog. kirchliche Arbeitsrecht an. Auch dies ist Folge des verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrechts der Kirchen, das ein Ausdruck der Religionsfreiheit, die Art. 4 des Grundgesetzes garantiert. In diesem Bereich sind die Kirchen aufgefordert, ihren eigenen hohen moralischen Ansprüchen gerecht zu werden und sich auf ihren Kernauftrag konzentrieren.

Im Thema Beschneidung sind uns zum einen grundsätzliche Argumente wichtig. Dem Recht auf körperliche Integrität des Kindes steht das Recht der Eltern als Erziehungsberechtigte, eine religiöse und weltanschauliche Beheimatung des Jungen in ihre Kultur und Religion zu ermöglichen. Beides und nicht die körperliche Unversehrtheit allein machen den Kindeswohl aus. Die Knabenzirkumzision ist für Juden und Muslime ein Akt der Aufnahme in ihre Religionsgemeinschaft. Eine Strafbarkeit der Beschneidung in Deutschland könnte zu einer familiären Ausgrenzung des Kindes führen, da es bis zu einem gewissen Alter außerhalb der elterlichen Religionsgemeinschaft aufwachsen würde. Aufgrund der fehlenden religiösen Mitwirkungsmöglichkeiten ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass das Kind seelische Schäden davon trägt. Zudem setzt man das Kind einer viel größeren gesundheitlichen Gefahr aus, wenn Eltern und Ärzte hier eine strafrechtliche Verfolgung befürchten. Denn dadurch wird die Beschneidung nicht unterlassen. Viele Eltern sähen sich gezwungen, ihre Kinder von nicht medizinisch ausgebildeten Personen im Ausland beschneiden zu lassen. Die damit für das Kind verbundenen gesundheitlichen Risiken können nicht im Sinne des Kindes sein.
Auch erscheint es vor dem Hintergrund unserer Geschichte nicht angemessen, dass Deutschland das einzige Land weltweit wäre, das Juden und Muslime durch ein Verbot der Beschneidung in ihrem Recht auf Religionsausübung derart gravierend einschränkt.
Für viele Menschen ist die Religionszugehörigkeit und freie Religionsausübung eine wesentliche Komponente ihrer Identität. Diese hat neben dem Recht auf körperliche Unversehrtheit einen eigenen Stellenwert.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Stefan Ruppert MdB