Frage an Sven-Christian Kindler bezüglich Arbeit und Beschäftigung

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Sven-Christian Kindler
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Hansjörg W. •

Frage an Sven-Christian Kindler von Hansjörg W. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Kindler,

in meiner Eigenschaft als Betriebsratmitglied bei der Firma Power Logistics in Bad Fallingbostel, werde ich mit dem Problem der dauerhaften Beschäftigung von Zeitarbeitern konfrontiert. In unserer Firma werden bei 120 gewerblichen Stamm-Mitarbeitern im Durchschnitt 75 Zeitarbeiter eingesetzt. Neueinstellungen, wie der Betriebsrat sie fordert, werden von unserer Geschäftsleitung nicht vorgenommen. Die Übernahme der zwei Azubis wird nur geschehen, wenn der Betriebsrat auf die Wiederbesetzung von Arbeitsplätzen, in einer Betriebsvereinbarung festgeschrieben, verzichtet.
Nun meine Frage an Sie, Herr Kindler, sind Sie für einen Mindestlohn von 8,50 €/Std. in der Zeitarbeitbranche?

Mit freundlichen Grüßen
Hansjörg Wittschieber
Betriebsrat Power Logistics

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Wittschieber,

herzlichen Dank für ihre Anfrage zu Mindestlöhnen für die Zeitarbeitbranche. Ich entschuldige mich zudem für die verspätete Antwort.

Lassen Sie mich kurz die grüne Position zur Zeitarbeit darlegen.

Die Zeitarbeit wurde in den vergangenen Jahren zunehmend für Lohnabsenkung und den Abbau von Stammpersonal missbraucht.
Mit dem ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt wurde im Jahr 2002 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung das Prinzip der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern und Stammbelegschaft eingeführt. Die Intention des Gesetzgebers bei der Reform war damals, dass ein Abweichen vom Gleichbehandlungsgrundsatz nur in Ausnahmefällen und auf Grundlage eines Tarifvertrages möglich sein sollte. Leider wurde aus der Ausnahme die Regel. Der Tarifvorbehalt und die dazugehörige Bezugnahmeklausel wurden vor allem dazu missbraucht, schlechtere Arbeitsbedingungen durchzusetzen und Lohndumping mit Gefälligkeitstarifverträgen zu betreiben.

Die Auswüchse des Missbrauchs der Zeitarbeit sind nicht mehr länger hinnehmbar. Wir wollen Zeitarbeit nicht unmöglich machen. Sie bietet Flexibilitätsvorteile, die insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen unverzichtbar sind. Zeitarbeit muss aber wieder zu einem verträglichen Instrument für die Wirtschaft und die Beschäftigten gemacht werden. Mit unseren Forderungen wollen wir die jetzt schon verantwortlich agierenden Unternehmen der Branche stärken und denen Einhalt gebieten, die den Ruf der Zeitarbeitsbrache beschädigt haben.

Wir fordern deshalb, dass Anreize zum Lohndumping und zur Substitution von Stammbelegschaften durch Zeitarbeitskräfte abgeschafft werden und die Zeitarbeit in Zukunft nur noch als Abfederungsinstrument für Auftragsspitzen und zur kurzzeitigen Vertretung eingesetzt wird. Leiharbeitnehmerinnen und –arbeitnehmer müssen die gleichen Arbeitsbedingungen zugesichert werden wie Stammbelegschaften. Das erhöhte Risiko und die besonderen Flexibilitätsanforderungen von Zeitarbeitskräften müssen durch eine Risikoprämie, die zusätzlich zum Entgelt gezahlt wird, ausgeglichen werden.

Wir sind der Auffassung, dass ein Mindestlohn und Weiterbildungsangebote in den verleihfreien Zeiten notwendig sind. So wird das Einkommen der Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer über einzelne Einsätze hinweg stabilisiert und Möglichkeiten zu beruflicher Qualifizierung und Aufstieg geschaffen. Das Synchronisationsverbot verhindert dabei, dass Beschäftigte nur für die Dauer eines akquirierten Einsatzes in einem Verleihbetrieb eingestellt werden.

Wir Grüne befürworten einen gesetzlichen Mindestlohn, der für alle Branchen gilt. Wiederholt haben wir seit 2005 parlamentarische Initiativen dazu gestartet. Tarifverträge und die Regelungskraft der Sozialpartner bieten keinen hinreichenden Schutz gegen Fehlentwicklungen mehr. Konkret schlagen wir vor, eine Lohnuntergrenze festzuschreiben, die mindestens 7,50€/h beträgt und von einer Mindestlohn-Kommission festgelegt und jährlich angepasst wird. Die festgelegte Grenze ist für alle verbindlich und darf von keinem Betrieb und in keinem Beschäftigungsverhältnis unterschritten werden. Mit dieser Untergrenze wird zukünftig Lohndumping zu Lasten der Beschäftigten und Steuerzahler wirksam verhindert.

Damit der Betriebsrat besser über die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer wachen kann, halten wir es für notwendig, dass er ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht für den Einsatz von Zeitarbeit im Unternehmen erhält. Zeitarbeitsbeschäftigte müssen auch ab dem ersten Tag ein aktives Wahlrecht bei den Betriebsratswahlen im Einsatzbetrieb erhalten und bei der Berechnung der Größe des Betriebsrats im Einsatzbetrieb berücksichtigt werden.

Ich hoffe, wir konnten Ihnen hiermit einen ersten Überblick über unsere Position verschaffen. Wir sind der Auffassung, dass diese Reformen dazu führen werden, dass reguläre Beschäftigungsverhältnisse in Zukunft gestärkt werden und im kommenden Aufschwung anstelle der Zeitarbeit die am stärksten wachsende Beschäftigungsform sein werden.

Mit freundlichen Grüßen
Sven-Christian Kindler, MdB

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