Frage an Sylvia Kotting-Uhl bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Portrait von Sylvia Kotting-Uhl
Sylvia Kotting-Uhl
Bündnis 90/Die Grünen
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Sylvia Kotting-Uhl zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Almut H. •

Frage an Sylvia Kotting-Uhl von Almut H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Kotting-Uhl,

1. Bleiberecht: Wie konsequent verhalten Sie sich als Grüne in der Frage, Flüchtlinge und Asylsuchende aus Gebieten, wo die MENSCHENRECHTE verletzt und mit Füßen getreten werden, weiterhin bei uns ein Bleiberecht zu gewähren?

2. Abschiebungen: Sind Sie bereit, den Verletzungen der Menschenwürde bei Abschiebungen, die in unserem Land und in unser aller Namen geschehen, Einhalt zu gebieten? (z.B. Familientrennung, Abschiebung von Menschen, die gut integriert sind, Abschiebungen von Kindern und Jugendlichen etc.)

3. Arbeit an den Grundwerten unserer Gesellschaft: Was schlagen Sie vor, um dieses heikle Thema (Terrorangst, Angst vor Überfremdung etc.) in unserer Gesellschaft so zu bearbeiten, dass wir eine OFFENE Gesellschaft bleiben?

4. Weltpolitik: Was tun die Grünen aktuell, um die Ursachen für die Flüchtlingsströme in den Ausgangsländern zu verbessern?

Nachbemerkung: Ich bin Tochter eines Ostflüchtlings aus dem zweiten Weltkrieg. Ich kann nicht verstehen, weshalb jemand Menschen aus Kriegsgebieten und extremsten Notgebieten nicht helfen will. Ich wünsche mir eine viel konsequentere menschenwürdige Politik.

WIE KOMMEN WIR (WIEDER) ZU EINER MENSCHENWÜRDIGEN FLÜCHTLINGSPOLITIK?

Portrait von Sylvia Kotting-Uhl
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

1. Bleiberecht: Wie konsequent verhalten Sie sich als Grüne in der Frage, Flüchtlinge und Asylsuchende aus Gebieten, wo die MENSCHENRECHTE verletzt und mit Füßen getreten werden, weiterhin bei uns ein Bleiberecht zu gewähren?

Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete und in Gebiete in denen Flüchtlingen unmenschliche Behandlung droht, lehne ich ab. Für mich gilt das Grundrecht auf Asyl und eine Flüchtlingspolitik, die auf den Menschenrechten gründet. Jeder Einzelfall zählt.

2. Abschiebungen: Sind Sie bereit, den Verletzungen der Menschenwürde bei Abschiebungen, die in unserem Land und in unser aller Namen geschehen, Einhalt zu gebieten? (z.B. Familientrennung, Abschiebung von Menschen, die gut integriert sind, Abschiebungen von Kindern und Jugendlichen etc.)

In Deutschland gibt es viele Menschen, die jahrelang auf eine Entscheidung über ihren Asylantrag warten. Das ist inhuman. Ich setze mich dafür ein, dass durch Aufstockung von Personal die Voraussetzung dafür geschaffen wird, dass Asylanträge innerhalb von drei Monaten beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bearbeitet werden. Asylbewerber sollten sofort nach ihrer Ankunft darüber aufklärt werden, welche Chancen sie haben, hier zu bleiben. Für Menschen ohne Bleibeperspektive sollte es Beratungsangebote geben, wie sie sich in ihrer Heimat eine Zukunft aufbauen können.

Unsäglich ist es, wie Abschiebungen vonstattengehen. Kinder und Jugendliche aus Klassenräume zu holen, gut integrierte Menschen aus ihrer neuen Heimat zu vertreiben und Familien zu trennen ist ein Trauma für die Betroffenen und für ihr Umfeld – und unseres Rechtsstaats unwürdig.

3. Arbeit an den Grundwerten unserer Gesellschaft: Was schlagen Sie vor, um dieses heikle Thema (Terrorangst, Angst vor Überfremdung etc.) in unserer Gesellschaft so zu bearbeiten, dass wir eine OFFENE Gesellschaft bleiben?

Es ist ein gefährlicher Irrweg, auf Gefährdungen der inneren Sicherheit mit immer weitergehenden Einschränkungen unserer Bürgerrechte zu reagieren. Und es ist Augenwischerei, Mängel in der Kommunikation zwischen Sicherheitsbehörden auf den Datenschutz zu schieben. Nur ein starker Rechtsstaat gewährleistet Sicherheit.

Dazu brauchen wir eine moderne personell, technisch und konzeptionell gut ausgestattete Polizei, die europäisch und international gut vernetzt ist und die Menschenrechte achtet. Massenüberwachung muss ersetzt werden durch klar beschränkte, verhältnismäßige Eingriffe seitens des BND, die unter parlamentarischer Kontrolle stehen.

Beim Rechtsextremismus hat sich längst gezeigt, dass Wissenschaft und engagierte Zivilgesellschaft besser über die Entwicklungen informiert sind als das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Deshalb sollten die gegenüber der Polizeiarbeit klar begrenzten Aufgaben des BfV in ein neues Bundesamt zur Gefahren- und Spionageabwehr überführt werden.

Dem menschenverachtenden islamistischen Terror muss auf allen staatlichen Ebenen und mit allen rechtsstaatlichen und zielgenauen Mitteln entschieden und effektiv begegnet werden.

Aber es braucht mehr Präventions- und Deradikalisierungsarbeit als zentrale Bausteine einer effektiven Strategie für Innere Sicherheit. Dabei müssen Sicherheitsbehörden endlich mit allen relevanten staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren aus Bund, Ländern und Kommunen, wozu auch in Deutschland lebende Musliminnen und Muslimen gehören, auf Augenhöhe zusammenarbeiten.

Schon in Kitas und Schulen können Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen verringert werden, indem die Identifikation und das Zugehörigkeitsgefühl von allen Kindern und Jugendlichen zu unserer freien, toleranten und vielfältigen Gesellschaft gestärkt und Ausgrenzungen klar und entschieden entgegengetreten wird.

4. Weltpolitik: Was tun die Grünen aktuell, um die Ursachen für die Flüchtlingsströme in den Ausgangsländern zu verbessern?

Nachbemerkung: Ich bin Tochter eines Ostflüchtlings aus dem zweiten Weltkrieg. Ich kann nicht verstehen, weshalb jemand Menschen aus Kriegsgebieten und extremsten Notgebieten nicht helfen will. Ich wünsche mir eine viel konsequentere menschenwürdige Politik.

WIE KOMMEN WIR (WIEDER) ZU EINER MENSCHENWÜRDIGEN FLÜCHTLINGSPOLITIK?

Meine Bundestagsfraktion und ich setzen uns für eine menschenrechtsbasierte Flüchtlingspolitik und ein europäisches, menschenrechtsbasiertes Grenzregime ein. Wir wollen eine faire und gerechte Verantwortungsteilung in der EU und eine europäische Außen- und Entwicklungspolitik, die ihre Schwerpunkte darauf setzt, Armut zu reduzieren, Krisen vorzubeugen und nachhaltige Entwicklung zu fördern um damit Fluchtursachen zu bekämpfen. Flankiert werden muss das von einem Handels-, Steuer- und Finanzsystem, das Entwicklungsländern eine faire Chance gibt und einer europäische Agrar- und Fischereipolitik, die die Lebensgrundlagen der Menschen vor Ort bewahrt, anstatt sie zu zerstören.

Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Kotting-Uhl