Frage an Agnieszka Brugger bezüglich Wirtschaft

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Agnieszka Brugger
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Jim B. •

Frage an Agnieszka Brugger von Jim B. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Agnieszka Brugger,

ich möchte gerne wissen warum Sie bei den Finanzhilfen für Griechenland zugestimmt haben, ohne auf die Mehrheit des Volkes zu hören, das genug davon hat das Deutsche Steuergelder an andere Länder verschleudert werden?
Wir leben doch in einer Demokratie, oder?
Warum hören Sie als Volksvertreterin dann nicht auf den Willen des Volkes?
Warum gab es keine Volksabstimmung, ob wir Bürger überhaupt noch mehr Geld geben wollen?
Warum gab es keine Volksabstimmung, ob wir Bürger den Euro überhaupt wollen?
Warum gab es keine Volksabstimmung, ob wir Bürger überhaupt in der EU sein wollen?
Uns hat nie jemand gefragt!

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Becker,

vielen Dank für Ihre Nachricht vom 07. Februar.

Bündnis90/Die Grünen setzt sich seit Jahren für den Ausbau direktdemokratischer Elemente auf allen Ebenen von der Kommune bis Europa ein. So fordern wir beispielsweise Regelungen zu Volksbegehren, Volksinitiativen und Volksentscheid im Grundgesetz zu verankern. Doch bisher stieß dieses Ansinnen auf wenig Unterstützung bei der Bundesregierung.

Die Maßnahmen, die zur Bewältigung der Eurokrise beschlossen wurden, sind schwerwiegende und schwierige Entscheidungen. Als Abgeordnete informiere ich mich über solche Fragen umfassend und natürlich spielen auch Meinungsumfragen bei meiner Entscheidungsfindung eine Rolle, aber eben nicht die einzige. Ich will Ihnen im Folgenden die Fakten und Argumente darstellen, die meiner Entscheidung zugrunde liegen.

In der Einrichtung des dauerhaften Rettungsschirms ESM sehen wir Grüne einen zentralen Baustein für die dauerhafte Stabilisierung der Euro-Zone. Wir halten es für unbedingt notwendig, ein stabiles und glaubwürdiges Instrument zu schaffen, mit dem Euro-Staaten geholfen werden kann, die sich in einer Notlage befinden und am Markt keine bezahlbaren Kredite mehr bekommen. Ohne ein solches Instrument kann die Schieflage eines einzelnen Mitgliedstaates schnell zu einem Problem der gesamten Euro-Zone werden. Zudem ist ein handlungsfähiger ESM auch ein wichtiges Zeichen gegenüber den Finanzmärkten.

Doch ist uns wichtig, dass es auch bei diesem Instrument nicht ohne demokratische Kontrolle geht. Deswegen haben wir Grüne vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten, dass es weitgehende Mitsprache- und Kontrollrechte für den Deutschen Bundestag gibt und somit auch die demokratische Kontrolle gewahrt bleibt. Hier fügt sich auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von September 2012 zum ESM an, in welchem das Beteiligungsrecht des Bundestages sowie die Begrenzung der Haftung Deutschlands nochmals verdeutlicht worden sind.

Eine massive Einschränkung des parlamentarischen Haushaltsrechts und eine Verselbständigung des ESM kann ich daher nicht erkennen. Die Parlamentsbeteiligungsrechte werden in dem ESM-Finanzierungsgesetz (ESMFinG) geregelt. Eine Zustimmung des Plenums ist jeweils vorgesehen bei einer Veränderung des Stammkapitals, einer Veränderung des maximalen Darlehnsvolumens und einer Änderung der Finanzhilfeinstrumente. Außerdem ist eine zweimalige Zustimmung des Plenums vorgesehen, bevor ein Land unter den Rettungsschirm kommt. Die erste Abstimmung ist erforderlich, um einem Mitgliedsstaat grundsätzlich Hilfe zu gewähren. Erst nach einem zustimmenden Votum des Bundestages darf der deutsche Vertreter im Gouverneursrat zustimmen, dem Mitgliedsstaat grundsätzlich Stabilitätshilfe zu gewähren. Die zweite Abstimmung ist erforderlich, um dem Land tatsächlich Hilfen zu gewähren. Dafür muss eine Einigung der Troika mit dem Mitgliedsstaat vorliegen.
Zusätzlich ist die Zustimmung des Haushaltsausschuss erforderlich bei Änderungen an den Instrumenten innerhalb eines bestehendes Programms, bei Kapitalabrufen (von genehmigtem aber noch nicht einbezahlten Summen) und bei Annahme und Änderung von Durchführungsbestimmungen bei Finanzhilfeinstrumenten.

In der Praxis trifft der Gouverneursrat des ESM alle wesentlichen Entscheidungen. Dessen Mitglieder sind als Finanzminister der jeweiligen Regierungen der Euro-Staaten auch demokratisch legitimiert. Wichtiger ist aber, dass der deutsche Finanzminister ohne vorherige Zustimmung der Abgeordneten des Bundestages keiner wesentlichen Änderung des ESM zustimmen darf. Doch nicht nur bei dieser Entscheidung ist der deutsche Finanzminister auf das Votum von gewählten Bundestagsabgeordneten angewiesen. Grundsätzlich gilt: keine wesentliche Entscheidung ohne Parlamentsbeteiligung!

Weiterhin müssen die Staaten, die Hilfe beantragen, bestimmte Bedingungen erfüllen: Der ESM greift nur ein, wenn die hilfebedürftigen Mitgliedsstaaten vorab getroffene Vereinbarungen auch sicher einhalten und dies transparent machen. Ein Fass ohne Boden ist der ESM auch deswegen nicht, weil die Summe der deutschen Gewährleistungen klar begrenzt ist. Über diese Summe entscheidet der Deutsche Bundestag und sie kann nicht überschritten werden. Aus diesen Gründen habe ich der Einrichtung des ESM zugestimmt.

Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, Ihnen mit meiner Antwort nachvollziehbar zu machen, weshalb ich die Einrichtung des ESM mit den demokratischen Prinzipien und den parlamentarischen Rechten des Bundestages für vereinbar halte. Dennoch bin ich ebenfalls der Meinung, dass die Demokratie in Europa mit der zunehmenden Integration dringend gestärkt werden muss. Hierbei muss das Europäische Parlament in Zukunft eine zentrale Rolle spielen und auch die Bürgerinnen und Bürger müssen stärker direkt beteiligt werden.

Die jetzigen Entscheidungen zu einer vertieften fiskalpolitischen Union sind das Ergebnis mangelender Integration in der Vergangenheit. Der Euro ist nicht nur ökonomisch in einer zunehmend globalisierten Weltwirtschaft von zentraler Bedeutung. Er ist auch ein täglich sichtbares Zeichen der erfolgreichen europäischen Integration und der Einbindung Deutschlands darin. Um die Erfolge der Integration zu bewahren, brauchen wir eine gemeinsame Währung. Die politischen und wirtschaftlichen Kosten eines Scheiterns des Euro wären gerade für Deutschland enorm. Deutschland profitiert wie kein anderes Land vom Binnenmarkt und braucht die Europäische Union. Schon allein die Einsparungen von Unternehmen, die sich vor der Errichtung der Eurozone gegen Wechselkursschwankungen absichern mussten, betragen mehrere Milliarden Euro. Der Weg aus der Eurokrise kostet Geld und Mut. Aber die Kosten des Nichthandelns wären größer. Viel zu eng ist inzwischen die wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Mitgliedstaaten, als dass ein Herausbrechen mehrerer Staaten ohne massiven Schaden für alle Beteiligten möglich wäre.

Der Erhalt unserer gemeinsamen Währung ist nicht nur für den Wohlstand unserer Gesellschaft, sondern auch für den Zusammenhalt der Europäischen Union, die Frieden und Kooperation auf unserem Kontinent sichert, von großer Bedeutung. Ich bin der festen Überzeugung, dass Europa in Zukunft noch mehr zusammenwachsen muss. Es liegt jedoch an uns, wie diese verstärkte Integration ausgestaltet wird. Dabei setze ich mich für eine soziale, gerechte und demokratische Lösung ein.

Mit freundlichen Grüßen

Agnieszka Brugger

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