Frage an Alexander Ulrich bezüglich Finanzen

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Alexander Ulrich
BSW
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Frage von Rudolf K. •

Frage an Alexander Ulrich von Rudolf K. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Ulrich,

ich habe zwei Fragen an Sie:

a) Sie schlagen zur Finanzierung der von Ihnen vorgeschlagenen Erhöhung
öffentlichen Ausgaben eine Erhöhung der Besteuerung auf höhere Einkommen
vor. Ist dies in Anbetracht der Tatsache (Bundesfinanzministerium 2006), dass auf das oberste Zehntel der Einkommensbezieher 57% des Steueraufkommens der Einkommenssteuer fällt, während die untere Hälfte der Einkommensbezieher nur 6% Steuern zahlt, noch für gerecht?

b) Die Bundesrepublik Deutschland ist lt. Bund der Steuerzahler mit 1.500 Milliarden Euro verschuldet, d.h. jeder Bundesbürger trägt einen Schuldenberg von knapp 20.000 Euro mit sich. Was sind Ihre Konzepte, was sind die Konzepte Ihrer
Partei, um diese Verschuldung abzubauen?

Vielen Dank für Ihre Antwort

Rudolf Kohler

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Antwort von
BSW

Sehr geehrter Herr Kohler,

herzlichen Dank für Ihre Fragen auf abgeordnetenwatch:

Zu a)

Die Steuer- (und Abgaben)belastung der oberen Einkommensgruppen lässt sich nur diskutieren, wenn man sie ins Verhältnis zum erzielten Einkommen setzt. Das obere Zehntel der Einkommensbezieher trägt natürlich einen höheren Anteil zum Steueraufkommen bei als Bezieher geringer und mittlerer Einkommen. Dies ist auch Ausdruck der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit sowie der zunehmenden Einkommensungleichheit. Das eine bestimmte Einkommensgruppe mehr zum Steueraufkommen beiträgt, sagt ja noch nichts darüber aus wie stark sie relativ belastet ist. Um es in einem einfachen Bild auszudrücken: Nehmen wir an sowohl ein Bettler als auch ein Millionär würden jährlich 1000 Euro Steuern zahlen müssen. Sie würden also den gleichen Beitrag zum Steueraufkommen leisten. Wäre dies gerecht? Mit Sicherheit nicht. Auch ein gleicher Prozentsatz des Einkommens (flat tax) wäre wenig hilfreich, denn Menschen mit höherem Einkommen haben in der Regel auch größere Chancen zusätzliche Einkommenszuwächse (bspw. aus Finanzanlagen, Vermögen, Investitionen etc.) zu erzielen.

Weiterhin praktiziert Deutschland ein Steuern und Abgabensystem. Es müssen also auch die Abgaben berücksichtigt werden, die durch die Beitragsbemessungsgrenzen bei sehr hohen Einkommen entfallen. Selbstverständlich existieren bedeutende Unterschiede zwischen Steuern und Abgaben. Aus letzteren resultieren Leistungsansprüche, aus Steuern nicht.

Ein paar weitere Argumente und Zahlen zur relativen Belastung von Spitzenverdienern:

Schaut man sich erstens Studien über die tatsächliche Zahlung von Einkommensteuern an (etwa Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung/Berlin), so ist unübersehbar, dass die einkommensstärksten Gruppen weit weniger Steuern zahlen als aufgrund der Steuertabellen eigentlich zu erwarten wäre. Bei Einkommensmillionären liegt die reale Steuerlast rund zehn Prozentpunkte unter dem, was nominal fällig wäre (rund 32-34 Prozent statt 40-45 Prozent). Diese Differenz erklärt sich aus legalen und illegalen Steuertricks, die unter anderem deswegen von den Spitzenverdienern stärker genutzt werden können, weil bei ihnen der Anteil von (gestaltungsfähigen) Kapitalerträgen besonders groß ist. Bei Normalverdienern ist der Unterschied zwischen „nominaler“ Steuerlast und realer Steuerzahlung wesentlich geringer.

Zweitens sind Gering- und Durchschnittsverdiener prozentual bekanntlich stärker von Verbrauchssteuern betroffen, weil sie nicht oder nur in geringem Umfang sparen und entsprechend einen hohen Konsumanteil aufweisen.

Die Beiträge zur Sozialversicherung und dabei insbesondere die Wirkung der Beitragsbemessungsgrenzen sind wie bereits oben angesprochen zu berücksichtigen. Wie Sie wissen, werden in der Renten- und Arbeitslosenversicherung oberhalb eines monatlichen Arbeitnehmer-Brutto von 5.300 Euro (West) und 4.500 Euro (Ost) die Beiträge eingefroren. Bei der Krankenversicherung ist das schon ab 3.600 Euro der Fall und erlaubt ab 4.012,50 Euro den Abgang aus der Solidarität in die private Absicherung. Jenseits dieser Grenzen sinkt mit steigendem Einkommen der Anteil der SV-Beiträge beziehungsweise des an private Krankenkassen entrichteten Pendants – im Extremfall auf nur noch marginale Größen.

In einer Gesamtschau aller Steuern und Abgaben, die auf verschiedene Einkommensgruppen entfallen, sind diese unterschiedlichen Effekte (Progression bei der Einkommensteuer, Degression bei den Verbrauchssteuern und – jenseits der Beitragsbemessungsgrenzen – Degression bei den SV-Beiträgen) zu beachten, wenn man sich ein realistisches Bild verschaffen will. Es zeigt sich dann, dass die prozentuale Gesamtbelastung der unteren Einkommensgruppen kaum geringer ist als die prozentuale Gesamtbelastung des obersten Einkommenszehntels – ganz zu schweigen von den Spitzeneinkommen mit ihren fragwürdigen Praktiken der Steuervermeidung.

Ein Monatseinkommen von 1.800-Euro etwa wird mit 47 Prozent (Netto 1.055) Steuern und Abgaben belastet, ein Einkommen von 3.600-Euro- 55 Prozent (Netto 1.706), um bei denjenigen, die aufs Jahr gerechnet Einkommensmillionäre sind, auf ein Niveau von nur noch 41 Prozent herabzusinken.

Dass beim Einkommensteuertarif Veränderungen notwendig sind, ist unstrittig. Die LINKE plädiert für einen linear verlaufenden Tarif mit einem deutlich höheren Spitzensteuersatz. In diesem Zusammenhang ist es besonders unerfreulich, dass die Bundesregierung die Beseitigung des sogenannten Mittelstandsbauches im Steuertarif (hohe Grenzsteuersätze für mittlere Einkommen) verhindert.

Falsch aber wäre es, die aktuelle Steuerdebatte auf die Einkommensteuer zu verkürzen. Auch bei den Sozialversicherungen sollte das Solidaritätsprinzip für alle gelten. Warum muss dieses Prinzip bei den heutigen Beitragsbemessungsgrenzen enden? Dafür gibt es keinen triftigen Grund. Deshalb plädieren wir unter anderem für eine Bürgerversicherung und für ein solidarisches Rentensystem bei Kappung der Leistungsansprüche. Denn die Rentenversicherung braucht den Millionär und nicht umgekehrt

Die Weisheit „starke Schultern tragen mehr als schwache Schultern“ ist nicht nur eine Gerechtigkeitsfrage. Sie macht auch ökonomisch Sinn, da Bezieher höherer Einkommen einen geringeren Anteil ihrer Einkünfte konsumieren und damit die Investitionsbereitschaft von Unternehmen bremsen.

Natürlich sollten wir auch generell diskutieren, ob es sinnvoll ist, dass ein immer größerer Teil des Steueraufkommens auf natürliche Personen entfällt und im Gegenzug Kapitalgesellschaften sowie Vermögen und Erbschaften immer stärker entlastet wurden.

Und nicht zu vergessen: Deutschlands Steuer- und Abgabenquote liegt mittlerweile sechs Prozent unter dem europäischen Durchschnitt. Den öffentlichen Haushalten entgehen so jährlich rund 120 Mrd. € Einnahmen, die für Zukunftsinvestitionen in Bildung, Forschung und für die Energiewende dringend benötigt werden.

Zu b)
Die Staatsverschuldung lässt sich nur begrenzen, wenn wir wieder zu einer vernünftigen Steuer- und Abgabenquote zurück finden (siehe Antwort auf Frage a) sowie die Haushalte über Wachstum sanieren.

Die langfristige Haushaltssanierung erfordert also auch in einem gewissen Umfang kurzfristige Kreditfinanzierung zur Belebung von Investitionen und Wachstum (wie dies selbst bei hochprofitablen Unternehmen üblich ist). Der Versuch etwa des früheren Bundesfinanzministers Hans Eichel, ohne Rücksicht auf die konjunkturelle Situation zu sparen, hat dem Abbau der Staatsverschuldung geschadet. Seit dem moderaten Aufschwung und der zaghaften Kurskorrektur unter Peer Steinbrück gibt es wieder sehr viel höhere Steuereinnahmen und sinkende Ausgaben etwa für die Unterstützung von Arbeitslosen. Dies entspricht auch den internationalen Erfahrungen, etwa Schwedens bzw. der USA unter der Clinton-Administration, die erst investierten und dann sanierten.

Die Neuverschuldung wird erst dann zum langfristigen Problem, wenn die Zinsen (maßgeblich durch die EZB beeinflusst) dauerhaft über dem Wachstum liegen. Die Hochzinspolitik der EZB und der wachstumsfeindliche Kurs der Bundesregierung haben dieses Problem verschärft und im Übrigen auch den ökologischen Strukturwandel erschwert.

Die Schuldenlast der Bundesbürger suggeriert manchmal, Staatsverschuldung
sei eine Belastung zukünftiger Generationen. Dies ist mitnichten der Fall.
Denn jeder Generation werden nicht nur die Schulden, sondern im selben
Umfang auch die Forderungen vererbt. Mit anderen Worten: Die Tochter des
Facharbeiters zahlt zukünftig Zinsen an den Sohn von Herrn Zumwinkel. In
welchem Umfang Bundesbürger belastet werden, ist daher vor allem eine Frage
der Steuergerechtigkeit.

Ich hoffe ich konnte Ihnen mit diesen Antworten weiter helfen.

Mit freundlichen Grüßen,

Alexander Ulrich

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