Frage an Andreas Schwarz bezüglich Humanitäre Hilfe

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Andreas Schwarz
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Frage von Stefan H. •

Frage an Andreas Schwarz von Stefan H. bezüglich Humanitäre Hilfe

Sehr geehrter Herr Schwarz,
mich interessieren Ihre Überlegungen, die sie veranlasst haben gegen den Entschließungsantrag zur Aufnahme besonders schutzbedürftigter Geflüchteter aus den griechischen Lagern zu stimmen.
Im Hinblick auf Ihre Kandidatur als Landrat im Landkreis Bamberg bitte ich Sie um eine zeitnahe Antwort.
Mit freundlichen Grüßen,
S. H.

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SPD

Sehr geehrter Herr Herold,

vielen Dank für Ihre Mail. Zur Zeit treten sehr viele Bürgerinnen und Bürger an mich heran, weil sie sich über das Abstimmungsverhalten der SPD-Bundestagsfraktion zum Antrag der Grünen ärgern, weil sie von der SPD eine Politik erwarten, die die Schwachen in der Gesellschaft unterstützt. Ich sende diese Mail auch für meine Kolleginnen und Kollegen aus der SPD Fraktion, die Ihnen nicht separat antworten.
Unsere Ablehnung des Antrags war auch nicht inhaltlich begründet; egal, wen Sie bei uns in der Fraktion fragen, bei allen Kolleginnen und Kollegen herrscht Entsetzen und Scham ob der Situation an der türkisch-griechischen Grenze und der uneinheitlichen Reaktion der Europäischen Union, die es bei 500 Millionen EU-Bürger*innen nicht schafft, ein paar Tausend Geflüchtete "gerecht zu verteilen", aufzunehmen. Dabei gibt es keine richtige Zahl. 5.000 ist für den 5001 Flüchtling eine so schlimme Zahl wie 500. Mit Zahlen lässt sich viel "beweisen". Aber wir haben allein in Deutschland über 11.000 Gemeinden. Kleine und große, da ist noch viel Platz.
Dennoch haben wir den Antrag der Grünen abgelehnt, vor allem aus den folgenden zwei Gründen:
- Wenn eine Koalition aus zwei oder – wie gegenwärtig – mehreren Fraktionen gebildet wird, verabreden die Koalitionsparteien, nicht gegeneinander zu stimmen, oder genauer: einem Antrag nur zuzustimmen, wenn alle drei zustimmen. So gibt es sogar den absurden Fall, dass ich gegen eine Antrag stimme, den ich zuvor schon selbst eingebracht habe, der aber nun nur deshalb von der Opposition eingebracht wird, um diesen Widerspruch zu erzeugen. Und dies wissen natürlich auch jene, die solche Anträge erneut einbringen. Diese gegenseitige Versicherung ist eine Notwendigkeit, um verlässliches Regieren zu ermöglichen. Hätte die SPD diesem Antrag der Grünen oder einem anderen Antrag einer Oppositionspartei zugestimmt, hätte sie somit eine der zentralsten Vereinbarungen einer jeden Koalition aufgekündigt. Eine der Folgen wäre gewesen, dass sich die Fraktionen von CDU und CSU – wenn sie die Koalition nicht gleich aufkündigen – zukünftigen sozialdemokratischen Vorhaben mit dem Verweis auf die fehlende Verlässlichkeit der SPD verweigern oder – im Zweifel noch schlimmer – für die Anträge anderer (rechter und rechtsextremer) Oppositionsfraktionen stimmen.
- Selbst wenn die SPD-Bundestagsfraktion diesem Antrag zugestimmt hätte, wäre der Antrag abgelehnt worden – die Mehrheit in unserem Parlament liegt leider rechts der Mitte und von unseren im Parlament vertretenen sogenannten christlichen Parteien ohne Nächstenliebe ist hier keine Einsicht zu erwarten. Es wäre folglich keinem einzigen Kind an der griechischen Grenze geholfen und Deutschland hätte stattdessen zusätzlich zu den derzeitigen massiven politischen Problemen eine handfeste Regierungskrise. (Das ist eine der Folgen der gescheiterten Koalition aus CDU/CSU, Grüne und FDP)
Anstatt also dem Antrag der Grünen zuzustimmen und effektiv gar nichts zu verbessern, haben wir die Möglichkeiten genutzt, die uns als an der Regierung beteiligte Fraktion offenstehen:
Wir arbeiten einerseits mit Hochdruck an einer europäischen Lösung, die sich nicht nur auf die akute Situation in Griechenland konzentriert, sondern auch den dafür ursächlichen Bürgerkrieg in Syrien im Blick behält. Andererseits konnten wir unseren Koalitionspartnern und Innenminister Seehofer nach äußerst zähen Verhandlungen die Zusage abringen, wenigstens einen Teil der unbegleiteten minderjährigen Kinder aufzunehmen.
Es ist uns bewusst, dass das bei weitem nicht ausreicht, um der katastrophalen Situation vor Ort Herr zu werden. Es ist aber leider das Maximum dessen, was wir angesichts der derzeitigen Mehrheiten erreichen konnten.
Übrigens: die Grünen, die sich mit ihrem Antrag als einzig wahre Verfechter der Humanität inszenieren, stimmen – sobald sie in Verantwortung sind – ebenfalls nicht gegen ihren Koalitionspartner. Zuletzt zu sehen war dies in Baden-Württemberg, als die Koalition aus Grünen und CDU dem Antrag der SPD-Fraktion, Geflüchtete, die hier Arbeit gefunden haben, nicht mehr abzuschieben, abgelehnt haben. Wenn ich es scharf formulieren wollte, könnte ich also sagen, dass die Grünen das entsetzliche Leid der Menschen in Griechenland zur eigenen Profilierung nutzen, indem sie den Antrag einbringen, wohlwissend, dass er selbst bei sozialdemokratischer Zustimmung von der Mehrheit des Parlaments abgelehnt wird. Allerdings kennen alle den Koalitionsvertrag und wissen also, wie abgestimmt wird.
Eigentlich möchte ich diesen Streit mit den Grünen nicht entwickeln – wenn wir ehrlich sind, gibt es ohne die Grünen, ohne die Linken und ohne die SPD keine humane Flüchtlingspolitik. Deshalb wäre es mir viel lieber, wir würden an einem Strang ziehen und auf Verwirrspiele verzichten. Andererseits sind wir natürlich im politischen Wettbewerb. Vielleicht müssen wir deshalb entsprechende Spiele tolerieren.
Sie sehen, der Hauptgrund, warum die deutsche Asylpolitik nicht so gestaltet ist, wie Sie und ich (und die Mehrheit der Grünen, auch sie haben einen Palmer) uns das wünschen, liegt an einer fehlenden linken Mehrheit. Bei Wahlen bekommt die SPD 20 Prozent, in der Koalition wird dann aber erwartet, dass sie zu 100 Prozent sozialdemokratische Politik durchsetzen kann.
Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich in dieser Frage intensiv für eine europäische Lösung ein. Neben dem Koalitionsausschuss haben sich insgesamt neun europäische Länder darauf geeinigt, in der dringlichen Lage zu helfen und Menschen aufzunehmen. Auch erhalten wir Unterstützung aus den SPD-geführten Bundesländern und zahlreichen Kommunen, die bereit sind, ihren Beitrag zu leisten.
Wir wissen, dass die aktuelle Einigung nur ein Anfang ist. Die bisherigen Aufnahmen von knapp 50 unbegleiteten Minderjährigen ist noch lange keine Abhilfe für die tatsächliche Situation in den griechischen Lagern.
In der aktuellen Debatte dient die Corona-Krise leider als Vorwand gegenüber weiteren Maßnahmen. Meine Fraktion wie auch ich arbeiten deshalb weiterhin daran, Vertreterinnen und Vertreter des Koalitionspartners, der Länder sowie der EU-Partner für eine Lösung und eine breitere Unterstützung zu gewinnen, insbesondere mit Blick auf die anstehende EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands im zweiten Halbjahr 2020.
Einen Beschluss der SPD-Bundestagsfraktion vom 4. März finden Sie hier: https://www.spdfraktion.de/system/files/documents/griechenland.pdf
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Schwarz

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