Frage an Axel Schäfer bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Axel Schäfer
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Frage von Uwe B. •

Frage an Axel Schäfer von Uwe B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Schäfer,

ich habe mir Ihre Antwort vom 12.10.2007 zu den oben genannten Thema durchgelesen und bin auf dieses Zitat gestossen "Und hätte die Mehrheit der Parlamentarier Missbrauch an Ihren eigenen Daten zu fürchten, dann würden dieses Gesetz sicherlich nicht verabschiedet werden". Dann frage ich mich, warum gehören unsere Volksvertreter denn zu den sogenannten Ausnahmen dieses Gesetzes? Hätten Sie dann nicht dagegen stimmen müssen oder haben Sie nur dafür gestimmt, da Sie ja nicht betroffen sind.
Hier stellt sich mir die Frage: Haben Sie den Gesetzesentwurf etwa nicht aufmerksam durchgearbeitet?

Auf Ihre vielsagende Antwort freue ich mich.

Mit freundlichen Gruss

Uwe Behrendt

PS.: An Ihre Kollegen/innen die die Anlage 4 zur 124. Sitzung verfasst haben. Vornehm geht die Welt zugrunde, es ist beschämend sowas zu lesen.

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Sehr geehrter Herr Behrendt,

vielen Dank für Ihre Anfrage.

Ich möchte diese zum Anlass nehmen, Ihnen einen umfassenden Überblick über das Gesetz zur Novelle der Telekommunikationsüberwachung und zur Umsetzung der europäischen Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung zu geben.

Was Ihren Vorwurf betrifft, Abgeordnete würden durch dieses Gesetz privilegiert behandelt, muss ich davon ausgehen, dass Sie den Gesetzentwurf im Gegensatz zu mir nicht „aufmerksam durchgearbeitet“ haben. Die von Ihnen angesprochene und im Gesetz verankerte „Sonderstellung“ von Abgeordneten bezieht sich keinenfalls auf die Speicherung oder gegebenenfalls Verwertung von Telekommunikationsdaten von Abgeordneten. Es handelt sich um das Zeugnisverweigerungsrecht, was neben Abgeordneten auch Strafverteidiger und Geistliche erhalten. D.h. wenn ein Abgeordneter in einem Prozess gegen einen Bürger als Zeuge vor Gericht aussagen muss, und dieser Bürger sich dem Abgeordneten (bzw. dem Geistlichen oder Strafverteidiger) im Vorhinein anvertraut hat, dann kann der Abgeordnete in dem Prozess sein Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nehmen. Dies ist im Falle des Abgeordneten verfassungsrechtlich geboten und nicht initiativ von den Bundestagsabgeordneten beschlossen worden.

Natürlich sind wir Abgeordnete von der Datenspeicherung genau wie jeder andere Bürger auch betroffen. Die Daten werden flächendeckend gespeichert und im Falle des Begehens einer schweren Straftat wird ein Abgeordneter wie jeder andere Bürger Deutschlands strafrechtlich belangt. Ich gehe auf den Sachverhalt des Zeugnisverweigerungsrechts in meinen folgenden ausführlichen Erläuterungen noch einmal genauer ein:

Das Gesetz
• novelliert die geltenden Vorschriften der Strafprozessordnung zur Telekommunikationsüberwachung und anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen,
• setzt die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht um
• und sorgt für grundrechtswahrende Verfahrenssicherungen bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen.

Bereits unter rot-grüner Regierung hatte die Novelle ihren Anfang genommen. Der vom Bundesjustizministerium erarbeitete Entwurf konnte aufgrund des vorzeitigen Endes der 15. Legislaturperiode zunächst nicht weiterverfolgt werden. Das nun vorliegende Gesetz hat diese Arbeiten weitergeführt. Zwischenzeitliche Entwicklungen sind in ihm berücksichtigt. Zum einen sind es Anpassungen wegen der Notwendigkeit, die eingangs erwähnte EU-Richtlinie umzusetzen, zum anderen waren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts unter anderem zum einfachgesetzlichen Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung zu beachten.

Wir haben bei dem Gesetz einerseits im Auge behalten, dass der Staat für unsere Sicherheit zu sorgen hat und daher die berechtigten Strafverfolgungsinteressen des Staates angemessen berücksichtigt werden müssen.
Andererseits greifen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen aber regelmäßig in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, so dass für ihre Anordnung strenge Voraussetzungen gelten und der Rechtsschutz wirksam ausgestaltet sein müssen. Deshalb haben wir das Telekommunikationsüberwachungsrecht weiter rechtsstaatlich eingegrenzt. Dadurch liegen die Hürden für die Durchführung einer Telekommunikationsüberwachung in Zukunft noch höher als jetzt. Dabei gilt künftig wie bisher, dass sie – wie künftig bei jeder eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahme auch – grundsätzlich nur durch einen Richter angeordnet werden darf.

Hürde Nr. 1: Vorliegen einer schweren Straftat
Neu ist dabei, dass Straftaten grundsätzlich nicht in Frage kommen, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Die Tat muss – auch diese ausdrückliche Regelung ist neu – auch im konkreten Einzelfall schwer wiegen.

Hürde Nr. 2: Kernbereichsschutz
Eine Telekommunikationsüberwachung ist unzulässig und hat zu unterbleiben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erlangt würden.

Hürde 3: Berufsgeheimnisträgerschutz
Soll ein Berufsgeheimnisträger wegen des Ermittlungsverfahrens gegen einen Dritten, an dem er selbst in keiner Weise beteiligt ist, überwacht werden, gilt Folgendes:

Das Vertrauensverhältnis zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten wird absolut geschützt. Sie haben eine besondere verfassungsrechtlichen Stellung. Deshalb sind sie von allen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die Informationen beziehen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger anvertraut wurden.

Bei Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten und allen anderen zeugnisverweigerungs-berechtigten Berufsgeheimnisträgern wird ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen künftig nur nach einer sehr sorgfältigen Verhältnismäßigkeits-abwägung im Einzelfall in Ermittlungsmaßnahmen einbezogen werden dürfen. Für die Abwägung wird es zudem einen ausdrücklichen Maßstab im Gesetz geben: Betrifft das Verfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung, ist in der Regel nicht vom Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses auszugehen. Eine Straftat ist nur dann von erheblicher Bedeutung, wenn sie
- mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zugerechnet werden kann,
- den Rechtsfrieden empfindlich stört und
- dazu geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.
Ergibt die Prüfung also, dass es bei der Ermittlung nicht um eine erhebliche Straftat geht, sind jegliche Ermittlungsmaßnahmen gegen den Berufsgeheimnisträger regelmäßig unzulässig, weil unverhältnismäßig.

Hürde Nr. 4: Berufsgeheimnisträgerschutz bei Verstrickung
Besteht gegen den Berufsgeheimnisträger, etwa einen Journalisten, selbst ein Beteiligungs- oder Begünstigungsverdacht, so können nach geltendem Recht zum Beispiel Unterlagen bei ihm beschlagnahmt werden, wenn diese für die Aufklärung einer Straftat relevant sind. Künftig muss sich die Annahme des Verstrickungsverdachts auf bestimmte Tatsachen gründen, so dass eine sorgfältige, sich auf konkrete Tatsachen stützende Prüfung erforderlich werden wird.

Hürde Nr. 5: Beweisverwertungsverbot bei Zufallsfunden
Ein Zufallsfund ist Material, das auf eine Straftat hindeutet, aber nichts mit der Untersuchung zu tun hat, wegen derer eine Durchsuchung angeordnet wurde. Bei Journalisten dürfen solche Zufallsfunde künftig nicht als Beweise in einem Verfahren wegen Geheimnisverrats oder wegen sonstiger Straftaten, die mit einem Höchstmaß von unter fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, verwertet werden.

Das neue Gesetz enthält darüber hinaus Anpassungen wegen der Notwendigkeit, die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG) in deutsches Recht umzusetzen. Auch hier haben wir im Bewusstsein der Verantwortung für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung unsere Verpflichtung für Bürgerrechte ernst genommen und dafür Sorge getragen, dass die EU-Vorgaben so grundrechtsschonend wie möglich gestaltet wurden. So ist es Deutschland gegen den Widerstand vieler anderer Mitgliedstaaten gelungen, dass die Mindestspeicherungsdauer auf sechs Monate (statt der ursprünglich auf EU-Ebene diskutierten 36 Monate) beschränkt wurde. Dies ist ein vom Deutschen Bundestag wirksam unterstützter Verhandlungserfolg der Bundesregierung auf EU-Ebene.

Die wegen der Umsetzung künftig zu speichernden Daten sind im Wesentlichen die Verkehrsdaten, die von den Telekommunikationsunternehmen schon heute üblicherweise zu Abrechnungszwecken gespeichert werden. Das sind insbesondere die genutzten Rufnummern und Kennungen sowie Uhrzeit und Datum der Verbindungen. Neu hinzu kommt nur, dass bei der Mobilfunktelefonie auch der Standort (Funkzelle) bei Beginn der Mobilfunkverbindung gespeichert wird. Daten, die Aufschluss über den Inhalt der Kommunikation geben, dürfen dagegen nicht gespeichert werden.

Zu den Telekommunikationsverkehrsdaten gehören neben den Daten über Telefonverbindungen auch solche Daten, die bei der Kommunikation über das Internet anfallen. Diese müssen nach der EU-Richtlinie künftig ebenfalls gespeichert werden. Auch in diesem Bereich werden nur Daten über den Internetzugang und die E-Mail-Kommunikation gespeichert. Dabei speichert das TK-Unternehmen lediglich, welchem Teilnehmeranschluss eine bestimmte Internetprotokoll-Adresse (IP-Adresse) zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war sowie die Daten über die E-Mail-Versendung, nicht dagegen, welche Internetseiten besucht wurden oder welchen Inhalt eine E-Mail hatte.

Die Daten werden – wie bisher – nur bei den TK-Unternehmen gespeichert. Wie bisher schon können Polizei und Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur dann auf die Daten zugreifen, wenn dies zuvor durch einen richterlichen Beschluss erlaubt wurde. In diesem Beschluss legt der Richter genau fest, welche Daten das Unternehmen aus seinem Bestand herausfiltern und den Strafverfolgungsbehörden übermitteln muss.

Für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gilt darüber hinaus eine Reihe von Verfahrensregelungen. Sie verbessern den Grundrechtsschutz aller, die von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen betroffen sind:
• Richtervorbehalt bei allen eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
• Konzentration der Zuständigkeit für die Anordnung einer Maßnahme beim Ermittlungsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft, um dessen größere Spezialisierung zu erreichen.
• Umfassende, gerichtlich kontrollierte Benachrichtigungspflichten.
• Einführung eines nachträglichen Rechtsschutzes bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
• Einführung von einheitlichen Kennzeichnungs-, Verwendungs- und Löschungsregelungen.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat in den parlamentarischen Beratungen zu diesem Gesetz dafür Sorge getragen, dass der Einsatz verdeckter Ermittlungsmaßnahmen zum Zweck der Kriminalitätsbekämpfung und dem Schutz vor schweren Straftaten mit hohen, grundrechtssichernden Schwellen verknüpft ist, so dass das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleibt.

Mit freundlichen Grüßen

Axel Schäfer

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