Frage an Axel Schäfer bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Axel Schäfer
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Frage von Andreas B. •

Frage an Axel Schäfer von Andreas B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Schäfer,

am 23.5.08, dem sogenannten Verfassungstag, soll im Bundestag die Ratifizierung des EU-Vertrags beschlossen werden. Ich finde dieses Vertragswerk auf vielfältige Weise sehr wichtig für Europas Bürger. Umso bedauerlicher finde ich, dass der Text in weiten Teilen kaum verständlich geschrieben ist. Es wohl zutreffend, dass die übergroße Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Passagen wie die folgende nicht verstehen kann:

"Art. 28e
[...]
51) Die Artikel 29 bis 39 des Titels VI betreffend die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen sowie die polizeiliche Zusammenarbeit werden durch die Bestimmungen des Dritten Teils Titel IV Kapitel 1, 4 und 5 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ersetzt. Wie nachstehend in Artikel 2 Nummern 64, 67 und 68 dieses Vertrags angegeben, wird Artikel 29 durch Artikel 61 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ersetzt, Artikel 30 durch die Artikel 69f und 69g, Artikel 31 durch die Artikel 69a, 69b und 69d, Artikel 32 durch Artikel 69h, Artikel 33 durch Artikel 61e und Artikel 36 durch Artikel 61d des genannten Vertrags ersetzt. Die Überschrift des Titels wird gestrichen und der Titel erhält die Nummer des Titels betreffend die Schlussbestimmungen."

Es ist klar, dass solche Passagen in zahlreichen Gesetzen zu finden sind. Das ändert aber nichts daran, dass diese Gesetze für Laien unverständlich sind und Misstrauen erregen. Ich würde mir eine kompakte und jedermann verständliche EU-Verfassung wünschen, ähnlich unserem Grundgesetz.

Meine Fragen an Sie: Gibt es eine leicht verständliche Fassung des EU-Vertrags von Lissabon, wenn ja wo ist diese zu finden? Wenn nein: Warum eigentlich nicht? Wie ist sichergestellt, dass alle Abgeordneten wirklich wissen und verstehen, über was sie abstimmen werden? Und: Warum gibt es bei so einem wichtigen Vorhaben keine EU-weite Volksabstimmung? Den Verzicht hierauf finde ich weder bürgernah noch demokratisch! Und Sie?

Danke für Ihre Antwort!

MfG,
A. Beck

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Sehr geehrter Herr Beck,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 8. April 2008, in der Sie mich um eine konsolidierte Fassung des Reformvertrags von Lissabon bitten.

Gerne gebe ich Ihnen im Folgenden zudem einige Hintergrundinformationen zum Entstehen des Vertragswerks.

Das Gesetz zur Ratifizierung des Vertrages von Lissabon wurde am Donnerstag, 13. März 2008 in 1. Lesung in die parlamentarische Beratung des Deutschen Bundestages eingebracht; am 24. April 2008 haben wir nach der 2. und 3. Lesung über das Gesetz zur Ratifizierung des Vertrags von Lissabon im Plenum des Deutschen Bundestages abgestimmt. Nachdem der Bundestag dem Gesetz und damit dem Vertrag von Lissabon mit Zweidrittel-Mehrheit zugestimmt hat muss auch der Bundesrat dem Vertrag mit Zweitdrittel-Mehrheit zustimmen; daraufhin muss der Bundespräsident das Gesetz unterzeichnen; erst wenn die Urkunde der deutschen Ratifizierung bei der italienischen Regierung hinterlegt ist, ist das Ratifizierungsverfahren für Deutschland abgeschlossen (vgl. Art. 6 der Schlussbestimmungen des Vertrags von Lissabon). Dadurch und durch den Gebrauch des Begriffs „Hohe Vertragsparteien“ (Art. 1 des EU-Vertrags [neu]) wird deutlich, dass es sich beim Vertrag von Lissabon und somit auch bei den EU-Verträgen um völkerrechtliche Verträge handelt.

Die Ratifizierung des völkerrechtlichen EU-Reformvertrages durch die EU-Mitgliedstaaten ist der letzte Schritt eines Prozesses, der mit der Laekener Erklärung der Staats- und Regierungschefs zur Zukunft der EU im Jahre 2003 begann und über den Verfassungskonvent und dessen Entwurf eines Vertrages über eine Verfassung für Europa zum jetzigen Vertrag von Lissabon führte. Der Vertrag von Lissabon gliedert sich, wie Sie wissen, anders als der Entwurf des EU-Verfassungsvertrags in zwei Vertragsteile: den Vertrag über die Europäische Union (im Folgenden EUV) und den Vertrag über die Arbeitsweise der EU (im Folgenden AEUV).

Der gescheiterte EU-Verfassungsvertrag wurde nicht nur im EU-Verfassungskonvent, sondern auch in den Öffentlichkeiten der EU-Mitgliedstaaten ausführlich diskutiert. Die Ratifizierung des EU-Verfassungsvertrags war bis 2006 in 18 der 27 Mitgliedstaaten – darunter Deutschland – erfolgreich verlaufen (in Spanien und Luxemburg per Volksabstimmung). Bis heute haben bereits die Parlamente von neun EU-Mitgliedstaaten (Ungarn, Malta, Slowenien, Rumänien, Frankreich, Bulgarien, Polen, Slowakei und Österreich.) und das Europäische Parlament dem Vertrag von Lissabon zugestimmt.

Das Thema Reform der EU stand also mit der Debatte über eine EU-Verfassung seit Jahren auf der europapolitischen Tagesordnung und erfuhr große Aufmerksamkeit. Dennoch – das zeigen Umfragen – ist die Europapolitik in den Medien weit weniger präsent als nationale Themen wie die deutsche Gesundheitsreform. Außerdem verstehen immer weniger Menschen, wie die EU funktioniert – auch wenn die Zustimmung zur EU Ende 2007 so hoch war wie seit zehn Jahren nicht mehr. In der Bevölkerung besteht demnach großer Erklärungsbedarf, trotz einer grundsätzlich positiven Einstellung zur EU. (Vgl. Eurobarometer 68 vom Herbst 2007 unter http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb/eb68/eb68_de_nat.pdf)

Warum brauchen wir den Vertrag von Lissabon?

Seit der letzten Anpassung der EU-Verträge in Nizza im Jahr 2001 sind zwölf Staaten der EU beigetreten. Die EU hat sich dadurch von 15 auf 27 fast verdoppelt. Ein effektives und effizientes Handeln wurde der EU dadurch erschwert. Es ist leicht verständlich, dass 15 Staaten Entscheidungen einfacher treffen können als 27 Staaten, zumal die EU vor allem aufgrund des Beitritts der zehn ost- und mitteleuropäischen Staaten heute heterogener ist als noch vor vier Jahren. Ich möchte betonen, dass die Entwicklung der EU seit dem Ende der Blockkonfrontation und insbesondere die Erweiterung um 15 Mitgliedstaaten ein fast unglaublicher Erfolg ist.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung bringt der Vertrag von Lissabon der Europäischen Union mehr Handlungsfähigkeit, mehr Demokratie und – wenn auch nicht im Vertragstext – mehr Transparenz. Die Grundrechtecharta wird rechtsverbindlich, das Europäische Parlament (EP) wird in der Gesetzgebung gleichberechtigt, und die nationalen Parlamente bekommen eine eigenständige Rolle in Subsidiaritätsfragen. Drei wichtige Fortschritte des Vertrags von Lissabon.

Verständlichkeit des Vertrages von Lissabon

Die haben völlig recht mit Ihrer Bemerkung, der Vertragstext sei nicht leicht zu lesen. Es handelt sich um einen Änderungsvertrag, in dem lediglich die Änderungen der geltenden Verträge aufgeführt sind. Der Verfassungsvertrag lag als verständlicher Fließtext vor, ist aber bekanntlich trotz seiner besseren Lesbarkeit gescheitert. Die Verfügbarkeit der konsolidierten Fassung der geänderten EU-Verträge in der Fassung von Lissabon nun ist daher umso erfreulicher. Sie finden diese im Internet unter anderem unter dem folgenden Link:

http://www.eu-info.de/deutsche-europapolitik/europa/Vertrag-Lissabon/konsolidierte-Fassung-vertrag-von-lissabon/

Der Vertragstext steht allerdings nicht im Gegensatz zum Ziel, Entscheidungen so offen und bürgernah wie möglich zu treffen. Die entscheidende Formulierung ist eben „wie möglich“: es gibt angesichts von 27 Mitgliedstaaten, mehreren EU-Institutionen und einer Vielzahl komplexer Politikbereiche eine Grenze, verständlich sein zu können. Aber auch wenn es wünschens- und erstrebenswert ist, dass alle Menschen in Europa alles verstehen, müssen wir hinnehmen, dass Detailfragen nur von Experten beantwortet werden können.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesen Informationen weiterhelfen.

Mit freundlichen Grüßen

Axel Schäfer

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