Frage an Bettina Hagedorn

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Bettina Hagedorn
SPD
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Frage von Henning M. •

Frage an Bettina Hagedorn von Henning M.

Sehr geehrte Frau Hagedorn,
ich habe Sie in der Vergangenheit sehr geschätzt - u.a. für Ihr konsequentes Verhalten in Sachen FFB und den Meinungsäußerungen, die nicht immer die Linie Ihrer Partei wiederspiegelten.
Warum Sie nun für die PKW-Maut gestimmt haben, würde ich nun zu gern wissen.
Bitte geben Sie mir eine Erklärung, die wirklich Ihrer Einschätzung entspricht, an einer vorgefertigten Parteimeinung bin ich nicht interessiert. Ich würde gern auch bei den nächsten Wahlen für Sie und die SPD stimmen, dies ist bei dem vorliegenden Abstimmungsergebnis nur schwer vorstellbar.

Freundliche Grüße,

Henning Müller

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Sehr geehrter Herr Müller,

danke für Ihre Frage zum Thema Pkw-Maut vom 28. März und Ihre grundsätzliche Unterstützung für meine Arbeit und für die SPD. Ich kann gut verstehen, dass Sie mit der Maut-Einführung unzufrieden sind und möchte deshalb auch gerne auf Ihre Kritik eingehen.

Als stellvertretende haushaltspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und Berichterstatterin für den Verkehrs-Etat im Haushaltsausschuss war ich nicht nur eng in die Beratungen über den Gesetzentwurf eingebunden, sondern habe auch selbst in der Plenardebatte eine Rede gehalten, die Sie sich in der Bundestags-Mediathek (Link: http://webtv.bundestag.de/iptv/player/macros/_x_s-144277506/od_player.html?content=4816464&singleton=true ) anschauen können. Sie können also sicher sein, dass Sie von mir keine „vorgefertigte Parteimeinung“ bekommen werden, sondern dass ich mir in den Beratungen sorgfältig meine eigene Meinung gebildet habe.

Der Bundestag hat die Pkw-Maut ausführlich beraten, unter anderem in drei Anhörungen im Verkehrs-, Haushalts- und Finanzausschuss binnen acht Tagen, die insgesamt acht Stunden gedauert haben. Die Haushaltsausschuss-Anhörung, in der die prognostizierten Mauteinnahmen im Mittelpunkt standen, habe ich für die SPD-Bundestagsfraktion geleitet und mit Frank Schmid einen Sachverständigen benannt, der scharfe Kritik an den aus seiner Sicht überhöhten Schätzungen des Bundesverkehrsministeriums geübt hat. Insgesamt sprachen sich nur vier der 15 Sachverständigen in allen drei Ausschüssen für den Gesetzentwurf aus, elf Sachverständige kritisierten das Konzept.

Allerdings: Die SPD hat einen Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU geschlossen, in dem die Einführung der Maut fest vereinbart ist. Diesem Koalitionsvertrag haben die SPD-Mitglieder in einem demokratisch beispielhaften Mitgliederentscheid zugestimmt – und zwar mit deutlichen 76 Prozent Ja-Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 78 Prozent. Insgesamt haben sich damit 369.680 SPD-Mitglieder an der Abstimmung über den Koalitionsvertrag beteiligt.

In diesem Koalitionsvertrag haben wir drei Kriterien vereinbart, die das Maut-Gesetz erfüllen musste: Es musste mit dem Europarecht vereinbar sein, keinen deutschen Autofahrer zusätzlich belasten und Mehreinnahmen für die Verkehrsinfrastruktur bringen. Aus Sicht von Verkehrsminister Dobrindt konnten diese Kriterien eingehalten werden – und auch in den drei Anhörungen konnte diese Einschätzung nicht eindeutig widerlegt werden, es steht weiterhin „Aussage gegen Aussage“.

Angesichts dieser Umstände blieb uns als SPD keine Wahl: Wir mussten uns an den Koalitionsvertrag halten. Schließlich haben wir dort auch viele sozialdemokratische Ziele wie den gesetzlichen Mindestlohn oder die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren durchsetzen können und verlassen uns auch in Zukunft auf die Mitarbeit der Unionsparteien, wenn es etwa darum geht, den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen zu stoppen. Die Pkw-Maut ist der Preis, den wir dafür zahlen mussten.

Letzten Endes waren wir uns in der Fraktion auch einig, dass es sich eindeutig nicht um eine Gewissensentscheidung handelt, bei der es „um Leben und Tod“ geht, sondern die Fraktionsdisziplin zu wahren ist. Deshalb hat die SPD dem Gesetzentwurf auch mit großer Mehrheit zugestimmt. Nur elf Abgeordneten haben dagegen gestimmt – fast alle kommen aus grenznahen Regionen, die durch Einschränkungen beim „kleinen Grenzverkehr“ vermutlich besonders getroffen werden.

Fakt ist trotzdem: Die SPD ist kein Fanclub der Pkw-Maut. Das Gesetz schafft allenfalls geringe zusätzliche Einnahmen für die Verkehrsinfrastruktur, bringt jede Menge unnötiger Bürokratie mit sich und steht europarechtlich auf tönernen Füßen. Deshalb haben wir auch in den parlamentarischen Beratungen gegen die CDU/CSU durchgesetzt, dass die Wirksamkeit des Gesetzes mit Blick auf die vereinbarten Ziele und Bedingungen zwei Jahre nach der Einführung noch einmal überprüft werden, insbesondere die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben für die Mauterhebung.

Besonders wichtig ist uns auch, dass wir parallel zur Einführung der Pkw-Maut eine Ausweitung der Lkw-Maut, die wir unter Rot-Grün eingeführt haben, von jetzt 14.000 km auf alle 40.000 km Bundesstraßen ab 2018 durchsetzen konnten. Einen entsprechenden Gesetzentwurf muss Verkehrsminister Dobrindt verbindlich bis Juli 2016 vorlegen. Schon heute erbringt die rot-grüne Lkw-Maut mit gut 4,4 Mrd. Euro etwa das Zehnfache der von Dobrindt angestrebten Einnahmen aus der Pkw-Maut; mit der nun durchgesetzten Ausweitung werden die Lkw-Maut-Einnahmen noch einmal um ca. 2 Mrd. Euro ansteigen. Es sind schließlich in erster Linie die Lkw und der Schwerlastverkehr, die den schlechten Zustand von Straßen und Brücken verursachen. Darum dient es dem Verursacherprinzip, wenn wir die Lkw-Maut stärken.

Bei aller berechtigten Kritik ist allerdings klar: Ohne unser Zugeständnis bei der Pkw-Maut gäbe es noch heute keinen Mindestlohn, keine abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren, keine Mietpreisbremse und keine Frauenquote. Die SPD musste daher Prioritäten setzen. Wir haben uns für den Mindestlohn und für viele andere Verbesserungen entschieden, die dafür sorgen, dass es den Menschen besser geht, und die „Kröte“ Pkw-Maut geschluckt – und ich habe mich dieser Entscheidung bei der Abstimmung am vergangenen Freitag angeschlossen. Ich hoffe, Sie haben für diese Entscheidung Verständnis, auch wenn Sie sie inhaltlich vermutlich nicht teilen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Bettina Hagedorn

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