Frage an Dagmar Schmidt bezüglich Landwirtschaft und Ernährung

Dagmar Schmidt, MdB (2017)
Dagmar Schmidt
SPD
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Frage von Birgit D. •

Frage an Dagmar Schmidt von Birgit D. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung

Sehr geehrte Frau Schmidt,

mit Fassungslosigkeit habe ich gerade gelesen, dass Sie auch für die Verlängerung der betäubungslosen Ferkelkastration gestimmt haben. Das ist ein Skandal. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass auch die SPD eine Tierquäler-Partei ist. Das ging schon mit dem Koalitionsvertrag los, indem sich die SPD gemeinsam mit CDU/CSU darauf geeinigt hat, Tierschützer, die in Ställe „einbrechen“ (um Missstände aufzudecken!), härter bestrafen zu wollen. Im September hat die SPD zusammen mit CDU/CSU zwei verschiedene Anträge von FDP und Grünen zu Verschärfungen bei Tiertransporten abgelehnt. Und nun diese unselige Fristverlängerung!

Genau dieses "Weiter-So-für-die-Wirtschaft-koste-es-was-es-wolle" ist der Grund dafür, dass der SPD die Wähler in Scharen weglaufen.

Bitte erläutern Sie mir Ihre ganz persönlichen Beweggründe, warum Sie dafür gestimmt haben, dieses qualvolle Prozedere beibehalten zu wollen.

Und kommen Sie mir nicht mit einer vorformulierten Textwüste von Ihrem SPD-Kollegen Rainer Spiering. Und auch nicht mit dem Totschlagargument Arbeitsplätze (ich weiß, eine makabre Wortwahl in Zusammenhang mit dem sensiblen Thema Tierschutz). Wenn Geschäftsgrundlagen ethisch nicht vertretbar sind und zu gesundheitlichen Gefahren von Mensch, Tier und Umwelt führen, dürfen Arbeitsplätze kein Argument mehr sein.

Mich interessiert wirklich, ob Sie als Politikerin noch Empathiefähigkeit für andere Lebewesen haben, und wie Sie persönlich zum Thema Tierschutz stehen.

Mit freundlichen Grüßen,
B. D.

Dagmar Schmidt, MdB (2017)
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau D.,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Zunächst wünsche ich Ihnen einen gutes Jahr 2019. Gerne möchte ich Ihnen auf Ihre Frage antworten und meine Beweggründe erläutern.

Ich kann Ihren Unmut über die derzeitigen Zustände bei der Ferkelkastration nachvollziehen. Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat sich für eine andere Lösung eingesetzt. Allerdings haben wir uns aufgrund der Verweigerungshaltung des früheren CSU-Landwirtschaftsministers Christian Schmidt dazu genötigt gesehen, die angesprochene Fristverlängerung zu beschließen. Bereits im Dezember 2012 hatte der Bundestag mit der Mehrheit von CDU/CSU und FDP beschlossen, die betäubungslose Kastration mit Ende des Jahres 2018 abzuschaffen. Statt die fünfjährige Übergangsphase für die Entwicklung alternativer Methoden zu nutzen, hat das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) lediglich einen sogenannten vierten Weg vorgeschlagen, der die Änderung des Schmerzbegriffes im Tierschutzgesetz vorausgesetzt hätte. Diese Änderung hat die SPD-Bundestagsfraktion verhindert.

Sie fragen nach meinem Beweggrund für die Fristverlängerung zu stimmen. Ich bin überzeugt, dass es – aufgrund der beschriebenen Versäumnisse des BMEL – ohne die Fristverlängerung lediglich zu einer europäischen Verlagerung gekommen wäre. Leider gibt es in der EU kein einheitliches Tierschutzrecht. Die existierenden Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration – zum Beispiel die Methode, die von den NEULAND-Höfen seit Jahren erfolgreich eingesetzt werden – stehen in Deutschland leider nicht flächendeckend zur Verfügung. Ohne eine Fristverlängerung wäre zu befürchten gewesen, dass es zu massiven Strukturbrüchen bei den deutschen Sauenhalterinnen und Sauenhaltern käme. Mit der Folge, dass Ferkel aus Ost- und Nordeuropa importiert werden würden. Diese wären nicht nach den hohen deutschen Tierschutzstandards kastriert worden. Noch dazu hätten sie weite Transportwege zurücklegen müssen. Vor diesem Hintergrund haben sich auch nahezu alle Sachverständigen in der entsprechenden Ausschussanhörung für die Fristverlängerung ausgesprochen.
Anders als CDU/CSU und FDP dies im Jahr 2012 getan haben, hat meine Fraktion die im November 2018 beschlossene Fristverlängerung genutzt und das Bundeslandwirtschaftsministerium dazu verpflichtet, die bisherige Verweigerungshaltung aufzugeben. Das BMEL ist nun verpflichtet flächendeckend die Voraussetzungen für Alternativmethoden zu schaffen – zum Beispiel durch die Entwicklung und Bereitstellung von Schulungsprogrammen, durch die Unterstützung der Betriebe bei der Anschaffung der notwendigen Narkosegeräte und durch Aufklärungskampagnen. Meine Fraktion geht davon aus, dass so tiergerechte und umweltschonende Haltungsformen in Deutschland Standard werden können und damit auch europäische Ausstrahlungskraft entfalten können.

Gleichzeitig haben wir die Diskussion um die Versäumnisse des BMEL genutzt, um einen generellen Paradigmenwechsel in der Nutztierhaltung einzufordern. In einem das Gesetz begleitenden Entschließungsantrag (s. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2018/kw48-de-tierschutzgesetz/580094) haben wir das BMEL dazu aufgefordert, bis Mitte der Wahlperiode die Nutztierstrategie weiterzuentwickeln. Darin fordern wir Lösungen für nicht-kurative Eingriffe, wie das Kürzen von Ringelschwänzen und das Enthornen von Rindern, und ein schnellstmögliches Ende des Tötens von Eintagsküken.
Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, Ende 2019 die Umsetzung der Vorhaben dieser Koalition insgesamt zu beurteilen. Sollte zu diesem Zeitpunkt den Forderungen des oben genannten Entschließungsantrages nicht Rechnung getragen worden, werde ich keinen weiteren Kompromissen in dieser Sache zustimmen.

Frau D., ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen und Ihnen meine Beweggründe näher bringen. Gerne können Sie sich darüber hinaus auf meiner Webseite www.dagmarschmidt.de einen Überblick über meine Arbeit als Sozialpolitikerin und meine politische Motivation verschaffen. Sollten Sie noch Fragen haben, schreiben Sie mir gerne eine Mail an dagmar.schmidt@bundestag.de.

Mit freundlichen Grüßen
Dagmar Schmidt, MdB

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