Wieso bleibt Titandioxid in Medikamenten erlaubt, obschon es in Lebensmitteln EU-weit ab 2022 aus dem Verkehr genommen wird? Ist Patientensicherheit nicht prioritär genug?

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Edgar Franke
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Frage von Joachim Maurice M. •

Wieso bleibt Titandioxid in Medikamenten erlaubt, obschon es in Lebensmitteln EU-weit ab 2022 aus dem Verkehr genommen wird? Ist Patientensicherheit nicht prioritär genug?

Sehr geehrter Herr Prof. Franke,

zum 1.1.2022 tritt das von der EU-Kommission beschlossene Verbot von Titandioxid in der Lebensmittelbranche in Kraft. Gestatten Sie mir bitte den Hinweis auf die Publikationen vom 22.12.2021 bei MEDWATCH.de und bei der Rheinischen Post zu der Thematik, dass Titandioxid in Lebensmitteln verboten, in Medikamenten aber weiterhin gestattet bleibt. Es konterkariert jedes Selbstverständnis, dass nachgerade chronisch Erkrankten ein mutmasslich gesundheitsgefährdender Stoff aus Gründen allgemeiner und verantwortungsbewusster Prävention in Lebensmitteln erspart wird, in den Medikamenten aber weiter verabreicht wird. Wie Sie wissen, erfüllt der Hilfsstoff lediglich Produktdesign-Zwecke. Die Farbe eines Präparates ist wirklich nebensächlich, auch der Lichtschutz ist anders erreichbar. Bitte haben Sie die Freundlichkeit, die Sache zum Inkrafttreten des TiO2-Verbotes nächste Woche zu kommentieren. Herzlichen Dank und alle guten Wünsche für Sie im Neuen Jahr!

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Sehr geehrter Herr M.,
 

tatsächlich gelangte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zum Schluss, dass Titandioxid nicht mehr als Lebensmittelzusatzstoff geeignet ist, aufgrund einer möglichen Genotoxizität. Für Arzneimittel ist es jedoch weiterhin zulässig.

Die Genotoxizität (die Fähigkeit einer Substanz oder eines anderen toxischen Mittels, das genetische Material von Zellen zu schädigen, was als mögliche Folge zu Krebs führen kann) wurde allerdings nicht nachgewiesen, sondern nur nicht entkräftet. Die Bedenken hinsichtlich einer Genotoxizität konnten aber demnach nicht ausgeschlossen werden.

Am 8 September 2021 hat die EMA (Europäischen Arzneimittel-Agentur) Stellung bezogen zur Verordnung der EU-Kommission im Hinblick auf Medizinprodukte. Nach Angaben der (EMA) geht es um rund 91.000 Humanarzneimittel und Medizinprodukte.

Die Aussage Titandioxid diene alleine Produktdesign-Zwecken sei so nicht haltbar, denn solche Hilfsstoffe haben mehrere Funktionalitäten und sichern die Wirksamkeit. Bis heute wurde kein einzelnes Material identifiziert, das die gleiche Kombination von Eigenschaften bietet, so die EMA. Die Trennung der verschiedenen Funktionalitäten von TiO2 bei Arzneimitteln, in denen es mehr als einer Funktion dient, ist schwierig oder möglicherweise überhaupt nicht möglich. Bei derzeit bestehenden Alternativen wurde eine Reihe von Nachteilen festgestellt.

Desweiteren könne man einen Hilfsstoff auch nicht einfach so austauschen, denn jedes betroffene Arzneimittel erfordere eine individuelle Überprüfung und Bewertung, was die Untersuchung von Alternativen, die Neuformulierung des Produkts, die Generierung neuer Daten in Bezug auf Herstellung, Auflösung und Stabilität usw. und möglicherweise neue klinische Daten erfordere und diese müssen von den zuständigen nationalen Behörden und der EMA bewertet werden.

Jede Anforderung, TiO2 in Arzneimitteln zu ersetzen, führt mit ziemlicher Sicherheit zu erheblichen Arzneimittelengpässen und zum Abbruch bzw. Rückzug von Arzneimitteln aus der EU, erwartet die EMA. Besondere Bedenken ergeben sich in Bezug auf bestimmte anfällige Arten von Produkten wie Kinderarzneimittel, Arzneimittel für seltene Leiden, Produkte mit geringem Verkaufsvolumen, Bienenprodukte usw.), so die EMA weiter.
Doch, sehr geehrter Herr M., das heißt nicht, dass es einfach ein „weiter so“ gibt. Die Verordnung enthält eine Überprüfungsklausel, wonach die EU-Kommission die Situation innerhalb von 3 Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung neu bewerten soll.
Dies ist ein klares Zeichen dafür, dass die pharmazeutische Industrie alle möglichen Anstrengungen unternehmen sollte, um die Erforschung und Entwicklung von Alternativen zum Ersatz von Titandioxid zu beschleunigen und die erforderlichen Änderungen der betreffenden Genehmigungen einzureichen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Edgar Franke

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