Wie denken Sie über eine Milliardärs-Steuer oder Milliardärs-Abgabe?

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Engin Eroglu
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Frage von Reinhard G. •

Wie denken Sie über eine Milliardärs-Steuer oder Milliardärs-Abgabe?

Sehr geehrter Herr Eroglu,
der Schuldenstand des Bundes und der EU wurden wegen der Corona-Maßnahmen erhöht. Es gibt Stimmen, die in Zukunft ein „gutes“ (exponentielles) Wirtschaftswachstum fordern, um Schulden zu bezahlen. Das würde sich wohl negativ auf die Umwelt auswirken. Vielleicht wird bald auch gleichzeitig gefordert, dass die Bevölkerung „den Gürtel enger schnallen“ soll, was ein Widerspruch in sich wäre. Sollten Milliardäre sowie große Konzerne und Banken eine Abgabe zahlen?
Ich denke hier auch an Firmen wie Amazon und Co., die an der Corona Krise verdient haben. Könnte so die Staatsverschuldung gesenkt werden? Und mit dem Geld auch der Erhalt kleiner selbstständiger Unternehmen gesichert werden?
Mit freundlichen Grüßen

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Sehr geehrter Herr Großmann,

 

vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich möchte zunächst auf 2 Missverständnisse hinweisen, die in Ihrer Frage mitschwingen:

 

Erstens ist die These falsch, dass Wirtschaftswachstum direkt mit Wirtschaftswachstum korreliert. Ausführlich finden Sie das in der Studie anbei, von der in diesem Fall unverdächtigen Heinrich Böll Stiftung:

 

https://www.boell.de/sites/default/files/web_1509_e-paper_decoupling.pdf

 

Zweitens möchte ich kurz erklären, wie unser Steuersystem derzeit funktioniert: Gewinne werden prinzipiell bei Realisierung besteuert. Nicht im Bestand. Das bedeutet, dass ein Milliardär normalerweise beim Erwerb seines Vermögens bereits sehr hohe Steuern bezahlt hat. Etwas anders gestaltet sich die Situation, wenn der Milliardär zum Beispiel keine hohen Geldbeträge besitzt, sondern "nur" ein Unternehmen besitzt (bzw Anteile). Dann findet die Besteuerung zu dem Zeitpunkt statt, wenn er die Anteile in der Zukunft (mit dem entsprechenden Gewinn) veräußert – zu Gunsten des Staats. Aber in dieser Zeit ist das Geld für den Staat gut angelegt – der Unternehmer schafft so lange Arbeitsplätze und Steuereinnahmen.

In beiden Fällen gilt also: Es fallen schon derzeit hohe Steuern an. Diese Besteuerung finde ich richtig. Darüber hinaus wird der Bestand durch die Erbschaftssteuer besteuert.

 

Eine zusätzliche Bestandsbesteuerung wäre deshalb eine Doppelbesteuerung und daher der falsche Weg. Wir besteuern hier schon über dem internationalen Durchschnitt und dürfen Leistung auch nicht über Steuererhöhungen "bestrafen". Gerade die Unternehmen sorgen ja über das Wirtschaftswachstum auch dafür, dass die Verschuldung in Prozent des BIP sinkt – zusätzliche Steuern könnten also durch geringeres Wachstum sogar zu einer Erhöhung der Verschuldung führen. Die richtige Stellschraube, um die Verschuldung zu reduzieren, ist die Reduzierung der Ausgaben.

 

Bei der Besteuerung der von Ihnen ebenfalls genannten internationalen Unternehmen muss die Politik jedoch tätig werden (bzw. ist dies schon). Wir müssen die fast willkürliche Gewinnverschiebung zwischen Staaten verhindern, und damit dafür sorgen, dass diese Unternehmen in der Praxis ihre Steuern dort bezahlen, wo sie tätig sind. Regeln dafür müssen sachlogisch auf internationaler Ebene geschaffen werden – Ansätze dafür gibt es bereits:

 

https://www.zeit.de/wirtschaft/2021-07/g-20-mindeststeuer-globale-steuerreform-unternehmen-konzerne

 

Das ist auch deswegen wichtig, weil sich die internationalen Unternehmen einen illegitimen Wettbewerbsvorteil gegenüber Kleinen und Mittelständischen Unternehmen verschaffen. Das dürfen wir nicht zulassen.

 

Beste Grüße aus Brüssel

 

Engin Eroglu

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