Frage an Eva Högl bezüglich Menschenrechte

Bundestagsabgeordnete für Berlin-Mitte
Eva Högl
SPD
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Frage von Fabian L. •

Frage an Eva Högl von Fabian L. bezüglich Menschenrechte

Sehr geehrte Frau Högl,

haben Sie vor dem Antrag der Grünen heute Abend zuzustimmen, um die Menschenrechte der vor Krieg flüchtenden und schutzbedürftigen Menschen zu sichern, da diese momentan als machtpolitischer Spielball missbraucht werden?

MfG F. L.

Bundestagsabgeordnete für Berlin-Mitte
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Lind,

vielen Dank für Ihr Schreiben auf abgeordnetenwatch.de, in dem Sie fragen, ob ich dem Antrag der Grünen im Bundestag zustimmen werde, der die Aufnahme von 5000 Geflüchteten auf den griechischen Inseln fordert.

Ich habe diesem Antrag nicht zugestimmt. Gerne erläutere ich Ihnen den Hintergrund und die Beweggründe für meine Entscheidung.

Zunächst einmal möchte ich eines ganz klar gleich zu Beginn sagen: Die Situation auf den griechischen Inseln ist absolut menschenunwürdig und inakzeptabel. Alle meine SPD-Kolleg*innen und ich setzen uns mit aller Kraft und allem Engagement dafür ein, dass diese Situation ein Ende hat und wir in Europa eine gemeinsame Lösung finden, um die Situation vor Ort kurz- und langfristig zu verbessern.

Seit Wochen stehen wir deswegen dazu in ständigem Kontakt und Austausch mit unserem Koalitionspartner. Ich versichere Ihnen: In jeder Sitzung und in jedem Gespräch mit CDU/CSU in den letzten Wochen haben wir für die Aufnahme von Geflüchteten geworben.

Der niedersächsische SPD-Innenminister Boris Pistorius war einer der ersten Minister eines Bundeslandes, der auf den griechischen Inseln war, um sich vor Ort einen Eindruck von der Situation zu machen. Er war der erste, der auf Bundesinnenminister Horst Seehofer zugegangen ist mit der Bitte, eine Aufnahme von Geflüchteten zu ermöglichen – entweder durch Deutschland alleine oder in Zusammenarbeit mit anderen europäischen Staaten.

Meine SPD-Kolleg*innen und ich haben diese Initiative von Boris Pistorius von Beginn an unterstützt und unsererseits bei unserem Koalitionspartner im Bundestag dafür geworben. Persönlich habe ich mich hierfür mehrfach und wiederholt in gemeinsamen Terminen mit und gegenüber Bundesinnenminister Seehofer eingesetzt.

Lange Zeit hat unser Koalitionspartner sich gegen eine Aufnahme von Geflüchteten auf den griechischen Inseln gesperrt – sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Sie können sich nicht vorstellen, wie unfassbar frustrierend diese, über Wochen andauernde Blockadehaltung war.

In den vergangenen Tagen jedoch haben unsere Bemühungen endlich Wirkung gezeigt. Es kam zu Bewegungen bei CDU/CSU. Bundesinnenminister Seehofer hat uns signalisiert, dass er zwar einen deutschen Alleingang ablehne, jedoch eine europäische Lösung auf den Weg bringen wolle, d.h. mehrere europäische Staaten für eine gemeinsame Aufnahme von Geflüchteten gewinnen möchte. Auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat signalisiert, einer solchen – europäischen – Lösung nicht länger im Wege stehen zu wollen.

Am 8. März hatten wir dieses Zugeständnis dann endlich Schwarz auf Weiß: Der Koalitionsausschuss hat sich darauf geeinigt und beschlossen, bis zu 1500 Kinder von den griechischen Inseln im Rahmen einer europäischen Initiative aufnehmen zu wollen.

Ich weiß, was Sie jetzt denken: Die Zahl von 1500 ist nicht sonderlich hoch. Und auch ich muss sagen: Meine SPD-Kolleg*innen und ich wir hätten uns deutlich mehr gewünscht und vorgestellt – nicht zuletzt da zahlreiche Bundesländer und Kommunen zwischenzeitlich signalisiert haben, Kontingente aufnehmen zu können und zu wollen.

Doch: Die Aufnahme 1500 geflüchteter Kinder ist besser als die Aufnahme gar keiner Geflüchteten. Es ist ein Anfang, ein erster Schritt – auf dem sich in Zukunft (hoffentlich!) aufbauen lässt.

Genau in dieser Situation – kurz bevor unsere wochenlangen Bemühungen und Überzeugungsarbeit vor dem Ziel standen, kurz bevor der Koalitionsbeschluss und damit die Unterstützung für Geflüchtete vor Ort in greifbarer Nähe war – haben die Grünen ihren Antrag in den Bundestag eingebracht, mit dem sie die Aufnahme 5000 Geflüchteter gefordert haben.

In genau dieser Situation wären all unsere Bemühungen zunichte gemacht worden und wären der sich abzeichnende Koalitionsbeschluss und die europäische Lösung in weite Ferne gerückt, wenn wir dem Antrag der Grünen zugestimmt hätten.

Ich weiß: Das klingt paradox. Das hat jedoch vor allem zwei wesentliche Gründe:

Zum einen: Wir haben im Bundestag leider (!) keine linke Mehrheit. Selbst wenn wir dem Antrag der Grünen zugestimmt hätten, wäre er dennoch mit dem Stimmen von CDU/CSU, FDP und AfD abgelehnt worden.

Zum anderen: Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass die Koalitionsfraktionen einheitlich abstimmen. Hätten wir dem Antrag der Grünen zugestimmt, hätte unser Koalitionspartner darin einen Bruch des Koalitionsvertrages gesehen mit unabsehbaren Konsequenzen.

Wenn er nicht direkt die Koalition aufgekündigt hätte, hätten CDU/CSU zum Beispiel beschließen können, künftige SPD-Vorhaben, zu blockieren oder abzulehnen. Es wäre mehr als fraglich geworden, ob wir die Grundrente oder die Einschränkung sachgrundloser Befristungen durch den Bundestag bekommen hätten. Oder CDU/CSU hätten entscheiden können, überhaupt keine Geflüchteten – in welcher Größenordnung auch immer – aufzunehmen und jegliche Bemühungen in diese Richtung sofort zu beenden.

Selbst nachdem wir den Antrag der Grünen abgelehnt haben, haben wir deutlich gespürt, wie die Skepsis unserer Koalitionspartners gegenüber einer Aufnahme Geflüchteter nach der Debatte und der Abstimmung im Bundestag wieder gestiegen ist. Unsere Sorge war groß, dass sie zu ihrer früheren Blockadehaltung zurückkehren könnten.

Das heißt im Endeffekt: Hätten wir dem Antrag zugestimmt, wäre es zu keiner Aufnahme von Geflüchteten von den griechischen Inseln gekommen. Weder in Deutschland noch in Europa. Keine 5000 Geflüchteten, noch nicht mal ein einziger.

Um es noch einmal zu betonen: Ich habe den Antrag der Grünen also nicht abgelehnt, weil ich ihn inhaltlich falsch fand. Im Gegenteil: Auch wir als SPD wollen Geflüchtete aufnehmen und verteilen, um die Situation vor Ort zu entlasten. Und dafür setzen wir uns ein. Wir haben ihn abgelehnt, weil eine Unterstützung das Ziel unserer wochenlangen Bemühungen – nämliche eine konkrete europäische Lösung – deutlich gefährdet hätte und am Ende kein einziger Geflüchteter aufgenommen worden wäre.

In der Zwischenzeit haben mehrere europäische Staaten ihre Unterstützung bei der Aufnahme Geflüchteter zugesagt. Die europäische Lösung, für die wir uns so lange eingesetzt haben, wird endlich Realität und ist auf dem Weg. Das ist ein wichtiger Schritt, um die menschenunwürdigen Verhältnisse auf den griechischen Inseln endlich zu beenden.

Uns ist dabei völlig klar: Das kann und darf nur der Anfang sein.

Kurz- und mittelfristig müssen wir Griechenland weiter und weitgehender unterstützen bei der Aufnahme und Versorgung Geflüchteter. Schon jetzt leistet Deutschland auf vielfältigen Wegen Unterstützung. Deutschland stellt zwischenzeitlich fast 2/3 der Beschäftigten der gemeinsamen Europäischen Asylagentur, die auch in Griechenland aktiv ist. Wir haben Griechenland Hilfsgüter (Decken, Betten, Erste-Hilfe-Kits) im Umfang von über 1,5 Mio. Euro zur Verfügung gestellt.

Wir müssen und werden prüfen, ob und wie wir diese Unterstützungsleistungen weiter ausbauen können.

Und: Langfristig brauchen wir ein neues Europäisches Asylsystem, das die Aufnahme und Versorgung Geflüchteter neu regelt und die Verantwortungen und Aufgaben europaweit solidarisch verteilt. Dafür werden wir uns als nächstes mit ganzer Kraft einsetzen.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meinen Ausführungen den Hintergrund für mein Abstimmungsverhalten näherbringen.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre Eva Högl