Frage an Friedrich Ostendorff bezüglich Verkehr

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Friedrich Ostendorff
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Carl Otto V. •

Frage an Friedrich Ostendorff von Carl Otto V. bezüglich Verkehr

1. Was wollen Sie als Abgeordneter tun, um die wirtschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen der Deutschen Bahn so zu verbessern, dass diese zu einem sehr viel stärkeren Träger der Verkehrslast in Deutschland werden kann?

2. Wie stehen Sie zu einer Ersetzung aller Fahrtarife für den Regionalverkehr in Deutschland (Bus, Bahn, etc.), durch eine Pro-Kopf-Steuer, um die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel zu vereinfachen und zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen?

C. O. V.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr V.,

haben Sie vielen Dank für Ihre freundliche Anfrage zur Verkehrspolitik, insbesondere bei der Bahn und im Öffentlichen Nahverkehr. Erlauben Sie mit, dass ich darauf sehr gern ein wenig ausführlicher eingehen möchte.

Zu Ihrer ersten Frage: Als Abgeordneter der Grünen-Bundestagsfraktion gehörte ich den letzten Jahren der Fraktion an, die zahlreiche Anträge für eine bessere Bahnpolitik gestellt hat und im Gegensatz zur Großen Koalition mit Verkehrsminister Alexander Dobrindt einen besonderen Fokus auf den Ausbau von Schienenprojekten gesetzt hat, als es Ende letzten Jahres um die Beschlussfassung des neuen Bundesverkehrswegeplanes, dem zentralen Planungsinstrument des Bundes für den Aus- und Neubau aller Verkehrsträger des Bundes (Fernstraßen, Schienen- und Wasserwege), und des daraus abgeleiteten Bundesschienenwegeausbaugesetz ging.

Wir Grüne wollen die wirtschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Bahn nicht an allen Stellen anders machen als bisher, aber an vielen Stellen besser. Einige wenige Schlaglichter hierzu:

1. Wenn Züge zuverlässig ankommen und die Anschlüsse funktionieren, ist die Bahn fast unschlagbar. Deswegen fordern wir schon seit langem, gezielt in den Ausbau und die Optimierung des Gesamtnetzes, insbesondere an notorischen Engpässen und an den Knotenbahnhöfen, zu investieren. Mit Hochgeschwindigkeitsstrecken die Geschwindigkeit allein zwischen zwei Städten zu erhöhen, bringt in vielen Fällen noch keine positiven Auswirkungen für das Gesamtnetz, da aufgrund unpassender Anschlussbeziehungen die gewonnene Zeit auf der Neubaustrecke dann beim Warten in Bahnhöfen wieder „aufgefressen“ wird. Oft wurden jedoch in der Vergangenheit jahrzehntelang Neubauprojekte geplant und gebaut, doch erst kurz vor Eröffnung überlegt, wie die Verbindungen auf den Strecken aussehen sollen. Ergebnis dieser undurchdachten Planung ist, dass sich die Zeit in der Reisekette von Tür zu Tür kaum ändert. Und: Seit der Bahnreform Mitte der 1990er Jahre stagniert die Zahl der Fahrgäste im Fernverkehr. Unser Ziel ist daher ein Deutschland-Takt nach Schweizer Vorbild, der die Bahn zu einem attraktiven Verkehrsmittel macht. So fahren alle wichtigen Züge stündlich oder alle 30 Minuten. Sie treffen sich kurz vor der halben oder vollen Stunde in den Bahnhöfen der Großstädte und Mittelzentren und vermitteln dort Anschlüsse untereinander. In der Schweiz wurde ein solches Netz seit Jahrzehnten systematisch geplant, gebaut und weiterentwickelt. Dafür lieben die Menschen in der Schweiz auch ihre Bahn. Wir wollen Aus- und Neubauvorhaben im Bahnnetz danach priorisieren, wie sich kurze und attraktive Umsteigemöglichkeiten schaffen lassen und so die Gesamtreisezeit der Fahrgäste verkürzt werden kann. Deshalb haben wir auch Ende letzten Jahres bei der Verhandlung um den Bundesverkehrswegeplan knapp 50 Änderungsanträge in den Bundestag eingebracht, um wichtige Schienenprojekte wie der Ausbau der Strecke Münster – Lünen in unserer Region in den Vordringlichen Bedarf einzustufen (Link zu allen Anträgen der Grünen-Bundestagsfraktion im Schienenbereich: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/BVWP/pdf/AeA-Schiene.pdf ). Leider hat die Koalitionsmehrheit von CDU/CSU und SPD nahezu all unsere Anträge und so auch die Einstufung des Ausbau der Strecke Münster – Lünen im Vordringlichen Bedarf abgelehnt.

2. Die Investitionen in die Schieneninfrastruktur dümpeln unter dieser Großen Koalition vor sich hin. Mit gerade mal 64 Euro Investitionen pro Kopf und Jahr erreichen wir in Deutschland noch nicht einmal „italienische Verhältnisse“ (siehe auch die Studie der Allianz pro Schiene von vor wenigen Wochen: https://www.allianz-pro-schiene.de/presse/pressemitteilungen/eu-ranking-deutschland-knausert-beim-schienennetz ). Erfolgreiche Bahnländer wie die Schweiz, Österreich oder auch Schweden haben rund drei- bis fünfmal so hohe Investitionen für den Erhalt und Ausbau der Bahninfrastruktur. Wir Grüne wollen endlich planen, bauen und Geld bereitstellen, damit die Schiene in die Offensive kommt. Deshalb wollen wir ein „Zukunftsprogramm Nahverkehr“ mit einer Milliarde Euro jährlich auflegen, das vor allem dem S-Bahn- und Regionalverkehr zu Gute kommt. Zudem wollen wir eine Milliarde Euro mehr für die Sanierung, Modernisierung und Ausbau der Schiene bereitstellen. Mit einem Investitionsprogramm „1.000 Bahnhöfe“ wollen wir Bahnhöfe und Haltepunkte erneuern, mit einem Sonderprogramm die von CDU und SPD vernachlässigten Streckenelektrifizierungen auf vielen Strecken in unserem Land vorantreiben.

3. Wir wollen auch die im Eisenbahnregulierungsgesetz festgelegten Trassenpreise für die Nutzung der Schiene senken, denn die Trassenentgelte für die Nutzung des Schienennetzes sind in Deutschland im europäischen Vergleich sehr hoch. Weil die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD zudem einseitig den Schwerlastverkehr auf der Straße gefördert hat, zuletzt durch die generelle Zulassung des Gigaliners, sind zahlreiche Verkehre insbesondere im Schienengüterverkehr kaum mehr wirtschaftlich durchzuführen. Wir Grüne wollen diese Trassenpreise absenken und haben dazu schon seit längerer Zeit gefordert und beantragt, die Berechnung der Schienenmaut deutlich in Richtung der europarechtlich vorgesehenen Höhe der Grenzkostenbepreisung zu verschieben. Wir sind der Auffassung, dass wir dieser Halbierung der Trassenpreise den Schienenverkehr für die Fahrgäste und die Güterverkehrskunden so dauerhaft preislich attraktiver gestalten.

4. Die Güterbahnen hatten in den letzten vier Jahren in Deutschland einen schweren Stand: Während ihr Verkehrsanteil in Deutschland bei 17 Prozent stagniert, erreicht der Schienengüterverkehr in Österreich und Schweiz Marktanteile von weit über 30 oder gar 40 Prozent. Mit unserer engagierten grünen Bahnpolitik wollen wir, dass der Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene bis 2025 auf 25 Prozent steigt. Dafür ist der Aufbau der Schiene als zentraler Systemcarrier im langlaufenden Verkehr notwendig. Deswegen wollen wir die internationalen Güterverkehrskorridore mit neuen Signalen sowie Überholgleisen ausstatten und so das 740-Meter-Netz für lange Güterzüge von bis zu 740 Metern Länge wie in unseren Nachbarländern Niederlande und Schweiz voranbringen. So muss zum Beispiel nicht mehr der Güterzug von den Nordseehäfen über den Rhein Richtung Schweiz und Italien an der Grenze zu Deutschland in Emmerich geteilt werden und in Weil am Rhein bzw. Basel wieder zusammen rangiert werden, weil in Deutschland die europäische Standardlänge von 740 Metern Zuglänge nicht zulässig ist. Nur so bekommen wir wie so oft in Sonntagsreden gefordert tatsächlich „mehr Güter auf die Schiene“.

5. Unser Ziel ist es, das System Schiene zeitgemäß für das 21. Jahrhundert aufzustellen und zukunftsfähig zu machen. Dafür ist die Digitalisierung ein zentraler Baustein. Damit digitale Technologien flächendeckend zum Einsatz kommen, wollen wir ein Innovationsprogramm „Schiene 4.0“ auflegen und Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten unterstützen. Wir streben dabei an, die gesamte Produktionskette im Schienenverkehr von klimafreundlichen Antriebslösungen bis hin zum zeitgemäßen Ticketvertrieb auf dem Smartphone zu modernisieren. Im Bereich des E-Ticketing wollen wir nach Schweizer Vorbild einen Grünen Mobilpass vorantreiben, bei dem auf einer einzigen Karte oder App alle Angebote des öffentlichen Verkehrs von Bahn und Bus wie auch Carsharing und Radverleih gebucht werden können.

Was unsere grüne Bahnpolitik zur Bundestagswahl und in einer möglichen Regierungsbeteiligung angeht, so darf ich sie auf unser frisch erschienenes Papier „Grünes Bahnkonzept“ aufmerksam machen (Link zu dem Positionspapier „Grünes Bahnkonzept“: https://www.gruene-bundestag.de/files/beschluesse/Gruenes-Bahnkonzept.pdf ). Hier haben Sie auf acht Seiten zusammengefasst unsere bahnpolitischen Vorschläge für eine bessere Bahn in Deutschland.

Zu Ihrer zweiten Frage: Wir wollen bei der Bahn wie bereits erläutert die Trassenpreise senken. Bei einer Halbierung der gesetzlich festgelegten Trassenpreise ist mit etwa 20 bis 25 Prozent niedrigeren Ticketpreisen bei der Bahn zu rechnen, die letztendlich dem Fahrgast zu Gute kämen. Als Grüne wollen wir eine ökologische Verkehrswende, die möglichst alle mitnimmt, da Mobilität eben auch eine soziale Dimension hat. Deshalb stehen wir einem umlagefinanzierten Öffentlichen Nahverkehr, also dem Stadtverkehr mit Bus und Straßenbahn/Stadtbahn/U-Bahn, durchaus offen gegenüber. Daher wollen wir mit unserem Bundestagswahlprogramm die rechtlichen Hürden für die Städte und Gemeinden abbauen und mit Modellprojekten in der nächsten Wahlperiode des Deutschen Bundestages zehn Kommunen fördern, die auf einen umlagefinanzierten und kostenfreien ÖPNV umsteigen wollen. Nach dieser Modellphase ist es sinnvoll, die Erfahrungen aus diesen zehn Kommunen auszuwerten und weitere Schlussfolgerungen für die Nahverkehrsfinanzierung abzuleiten.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen darlegen, wie ich als Abgeordneter innerhalb der nächsten Grünen-Bundestagfraktion die Bahn stärken und auch bei der Nahverkehrsfinanzierung neue Wege gehen möchte. Natürlich steht dies immer unter der Bedingung, dass die Wählerinnen und Wähler in unserem Land mir und den Grünen ein starkes Mandat für den Bundestag und für den Eintritt in eine Bundesregierung erteilen.

Sollte für Sie noch eine Frage offen geblieben sein, so melden Sie sich ruhig nochmal.

Mit freundlichen Grüßen

Friedrich Ostendorff
Ihr Bundestagskandidat im Kreis Coesfeld