Frage an Gregor Gysi bezüglich Umwelt

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Gregor Gysi
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Frage von Uwe G. •

Frage an Gregor Gysi von Uwe G. bezüglich Umwelt

Sehr geehrter Herr Dr. Gysi,

wie stehen Sie zu diesen Forderungen?

Forderungen an die Abgeordneten und Umweltminister der Länder und des Bundes:

1. Jede Dichtheitsprüfung ohne im Einzelfall begründeten Gefährdungsverdacht ist abzulehnen. Entsprechende gesetzliche Regelungen sind zu streichen bzw. zu ändern. Private Grundleitungen sind ausdrücklich von jeder allgemeinen flächendeckenden Prüfungspflicht auszunehmen. Nur bei konkretem Gefährdungsverdacht ist im Einzelfall eine drucklose Prüfung - vorrangig eine noch zu normierende Durchflussprüfung - durchzuführen. In diesem Sinne fordern wir eine bundeseinheitliche Regelung, um dem Wildwuchs in den Ländern einen Riegel vorzuschieben.

2. In begründeten Einzelfällen ist die Dichtheitsprüfung und Sanierung der privaten Abwassergrundleitungen nur zusammen mit einer gleichzeitigen Prüfung der öffentlichen Kanäle vor dem jeweiligen Grundstück durchzuführen. Eine Sanierung muss nur bei groben Beschädigungen durchgeführt werden (Rohrversatz, grobe Beschädigung im Sohlbereich) - keinesfalls bei leichten und mittleren Undichtigkeiten - und nur, wenn eine Grundwassergefährdung oder bedeutender Fremdwassereintrag im konkreten Fall nachvollziehbar begründet wird. Die Verhältnismäßigkeit zwischen dem Aufwand einer Maßnahme und ihrem Nutzen muss in jedem einzelnen Fall gewahrt sein.

3. Jede starre Fristsetzung mit Strafandrohung ist zu unterlassen. Die Initiative für eine begründete Maßnahme muss von der Kommune ausgehen und immer im Zusammenhang mit der Prüfung der öffentlichen Kanäle stehen. Die Zuständigkeit des Bürgers für Prüfung und Sanierung muss zudem an der eigenen Grundstücksgrenze enden.

Mit freundlichem
Gruß
Uwe Gellrich

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Sehr geehrter Herr Gellrich,

Ihre Nachricht vom 24. September hat mich erreicht.

Ich habe mir erlaubt, Ihre Fragen an unsere umweltpolitische Sprecherin, die Abgeordnete Eva B., weiterzuleiten.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi

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Sehr geehrter Herr Gellrich,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Sie ist von erheblicher sozialer Bedeutung, weil sehr viele Menschen von den hohen Kosten der Dichtheitsprüfungen betroffen sind oder mit hohen Kosten rechnen müssen. Wenn man alle fraglichen Bundesländer zusammennimmt, handelt es sich um einen gut zweistelligen Milliardenbetrag. Innerhalb unserer Fraktion nehmen wir die Bedeutung sehr ernst, vgl. auch unsere Stellungnahme:

http://alles-dicht-in-nrw.de/Depot/121128_Stellungnahme_zu_Prof._Weinig.pdf

Im vielen Fällen werden nicht gerechtfertigte Sanierungsmaßnahmen für Hausbesitzer existentiell bedrohlich. Auf der anderen Seite steht der zu gewährleistende Umweltschutz. Man kann ihre Fragen jedoch nur beantworten, wenn man auf fachwissenschaftlichem Niveau die Zusammenhänge analysiert. Zu diesem Thema gibt es einige Doktorarbeiten, vorwiegend von der Universität Karlsruhe, die wir intensiv zu Rate gezogen haben. Es wird also ein wenig schwierig werden. Um auf Ihre Fragen einzugehen, werden zunächst die fachlichen Verhältnisse dargestellt und bei der Beantwortung Ihrer Fragen wird dann Bezug darauf genommen.

Nach unseren Erkenntnissen liegen die Versickerungen bzw. stofflichen Belastungen aus Abwasserleitungen von Wohngebäuden in einer regelmäßig vernachlässigbaren Größenordnung. Das liegt im Wesentlichen darin begründet, dass schon aus hydraulischen Gründen bei den zeitlich kurzen Durchflüssen im Sekunden- bis höchstens Minutenbereich nur ein geringer Teil austritt (exfiltriert). Unter diesen sauerstoffreichen Umständen bilden sich außerdem (bakterielle) Kolmations-, d. h. Sperrschichten, die den Durchfluss zum einen erheblich weiter mindern und außerdem Belastungen mikrobiell abbauen. Untersuchungen der Mikroben haben ergeben, dass etwa 60 bis 90 Tage nach beispielsweise einer Rissbildung sich eine Biozönose ausgebildet hat, die in der Lage ist, die typischen Stoßbelastungen zu verarbeiten. Beide Umstände, kurze Beaufschlagung und Fähigkeit der Stoßverarbeitung zusammengenommen, reduzieren die stoffliche Belastung des Untergrundes durch Exfiltration auf ein Minimum.

Bei sehr alten Schäden im Zehnjahresbereich werden die mikrobiellen Schichten mutmaßlich durch biologisch nicht abbaubare Feststoffe ersetzt. Die Exfiltration nähert sich dann Null. Entsprechend lange wissenschaftliche Untersuchungen liegen nach unserer Kenntnis noch nicht vor. Bedeutsam sind unsere Betrachtungen dazu deshalb, weil oftmals argumentiert wird, dass alte Leitungen besonders viel exfiltrieren. Diesen Zusammenhang kann man seriös nicht herstellen. Schadhafte Leitungen könnten größtenteils wegen des hohen Alters praktisch absolut dicht sein.

Wie Feldversuche gezeigt haben, bilden sich in den ständig durchströmten kommunalen Sammlern ebenfalls Kolmationsschichten aus, deren Sauerstoffversorgung über den Bodenkörper erfolgt. Aufgrund der ständigen Durchströmung liegt die Exfiltration pro Schadstelle um einen zweistelligen Faktor höher.

Die Untersuchungsmethoden sind nur im Ausnahmefall geeignet, auf Exfiltrationen zurück zu schließen. Mit Druckdichtheitsprüfungen wird der gesamte Rohrumfang geprüft, die Kolmationsschichten bilden sich aber nur in dem durchflossenen Bereich von rund 30% der Höhe aus. Jeder Stau über diese Höhe hinaus ergibt zwangläufig nicht zutreffende Ergebnisse. Direkte Verlustmessungen sind praktisch unmöglich, da für Messungen eben ein gesamtes Rohr eingestaut werden muss. In den wissenschaftlichen Untersuchungen wurden Leitungen für die Feststellung der Exfiltration weitgehend freigelegt und die Bodenkrume zum Auffangen der Exfiltationsmenge ummantelt. Die häufig empfohlenen Druckreinigungen zerstören im Übrigen die Kolmations-schichten, wie der Gutachter Dr. Thoma ausführt:

http://komnetgew.de/fileadmin/Downloads/Home/129_home_120201_doktorarbeit_thoma.pdf

Zitat:
Druckprüfungen führen eher zu einer starken Überbewertung der Exfiltrationen und damit zu unnötigen Sanierungen. Darüber hinaus zeigt Thoma auf, dass bei Druckprüfungen die Selbstabdichtungsschicht und die Bodenstruktur zerstört werden können, wodurch die Exfiltration verstärkt oder erst ausgelöst wird. [Zitatende]

Thoma führt auch aus, dass die Bodenkrume im Umkreis weniger Zentimeter nicht biologisch abbaubare Stoffe zum Großteil adsorbiert.

Zu Frage 1.

Wir lehnen eine grundsätzliche Überprüfungspflicht ab. Voraussetzung für eine Überprüfung muss eine konkret nachweisbare Umweltgefährdung oder Gefährdung einer Wasserversorgung sein.
Die größte Gefährdung sehen wir bei den ständig durchströmten kommunalen Abwasserkanälen, die bei nachgewiesenen Einflüssen vorrangig zu untersuchen wären, vgl. Vorbemerkungen.

Die Gefährdung einer Wasserversorgung kann im Allgemeinen ausgeschlossen werden. Zum Vergleich wird durch Uferfiltrat gewonnenes Trinkwasser herangezogen, mit dem in der BRD Millionen Menschen versorgt werden. Eine Bodenpassage von einhundert Metern reicht mit hoher Sicherheit aus, Verschmutzungen jeglicher Art sicher auszuschließen und zu adsorbieren. Trinkwasserschutzgebiete und insbesondere die Brunnen legen üblicherweise weit außerhalb dieser Entfernung.

Zu Frage 2.

Wir sehen, wie schon zu Frage 1. und in den Vorbemerkungen ausgeführt, die Überprüfung und eventuelle Sanierung des kommunalen Abwassersammlers als vorrangig an. Viele Prüfmethoden sind nicht aussagefähig, s. Vorbemerkungen. Wie der oben zitierte Herr Dr. Thoma ausführte, kann in begründeten Einzelfällen eine Sichtprüfung durchgeführt werden. Kleinere Schäden wie Risse usw. sind wegen der Selbstdichtungsmechanismen vernachlässigbar.

Zu Frage 3.

Die Ablehnung einer unbegründeten Überprüfung schließt automatisch die von Ihnen genannte starre Fristsetzung unter Strafandrohung aus. Im begründeten Einzelfall sind Zwangsmaßnahmen denkbar. Wir werden uns dafür einsetzen, dass daraus resultierende finanzielle Probleme durch Beihilfen oder Anrechnung als Kosten der Unterkunft im Rahmen der Sozialgesetze gelöst werden.

Verfasser:
Ulrich Engelke, Dipl.-Ing. Umwelttechnik
Wiss. Mitarbeiter Ralph Lenkert MdB

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