Frage an Harald Gindra bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen

Harald Gindra
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Frage von Carlos H. •

Frage an Harald Gindra von Carlos H. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen

„Hallo Herr Gindra, DIE LINKE will mehr Wohnungen – und gleichzeitig Stadtgrün erhalten. Ist das nicht widersprüchlich?“

Harald Gindra
Antwort von
DIE LINKE

Lieber Herr H.,

ich danke Ihnen für diese Frage, weil es das akute Problem der
Wohnraumversorgung anspricht, von dem immer mehr Menschen bedrückt sind.

1) Wir brauchen nicht einfach mehr Wohnungen, sondern auch die richtigen. Es herrscht ein großer Mangel an bezahlbaren Wohnraum. Nach einer Studie, die von DIE LINKE in Auftrag gegeben wurde, fehlen rund 150.000 Wohnungen in unteren Preissegment, und meist auch kleinere Wohnungen. Das ist alleine schon an der Wohnkosten zu sehen, die bei ALG2-Bezug vom Land gewährt werden. Zu dieser Wohnkostenhöhe sind kaum Wohnungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt zu finden. Arme Menschen rücken also zusammen in manchen Kiezen. Für den Bedarf an günstigen, einfachen Wohnraum ist es vor allem wichtig alle Möglichkeiten der Begrenzung von Mietsteigerungen im Altbestand auszuschöpfen (eine wirksame Mietpreisbremse, Soziale Erhaltungsgebiete) und Zweckentfremdung zu unterbinden. Leider ist vieles in Bundesgesetzen geregelt, die nicht mieterfreundlich sind (zum Beispiel die Modernisierungsumlage von 11%, die unbefristet die Miete erhöht und die Regelungen zur Energetischen Sanierung, bei denen auch wirtschaftlich zweifelhafte Maßnahmen Mieter_innen belasten)

2) Wir haben eine wachsende Konkurrenz um verbliebene freien Fläche. Der Stadtentwicklungssenator reagiert schon darauf, dass er von Baudichten wie zur Gründerzeit in den Innenstadtbereichen spricht. An vielen Orten verschärft dies aber absehbare andere Probleme: gesunde Wohnverhältnisse, ausreichende Versorgung mit wohnortnahen Grünflächen, innerstädtischer Luftaustausch und Abkühlungspotentiale, bestehende Biotopverbünde. Eine wachsende Stadt braucht für eine nachhaltige Entwicklung auch wachsende Grünflächen und auch Sportflächen an denen ein besonderer Mangel in diesem Bezirk besteht. Gut daher, dass das Tempelhofer Feld, angrenzend an hochverdichtete Gebiete in Kreuzberg und Neukölln per Volksgesetz erhalten werden konnten. In begrenztem Maße sind dort auch neue Sportflächen möglich. Die Großstädte werden in den nächsten Jahrzehnten durch Klimawandel merklich aufheizen. Erhalt von Kaltluftentstehungsgebieten und Frischluftschneisen werden dann immer wertvoller.

3) Berlin hat noch große Brachen. Auch Tegel könnte schon, wenn der BER planmäßig in Betrieb gegangen wäre, teilweise für Wohnungsbau genutzt werden. Leider sind viel zu viele ehemalig in öffentlichem Eigentum (Bahn, Liegenschaftsfonds, Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) befindliche Flächen in private Hände geraten. Dort können heute weder Grünflächen noch halbwegs bezahlbare Wohnungen entstehen, in manchen Ortsteilen fehlen auch die Flächen für Gemeindebedarf (neue Kitas, neue Schulen). Mit Fahrradtouren am 20. und 27.8. haben wir uns solche Orte in Schöneberg angesehen, so den ehemaligen Wilmersdorfer Güterbahnhof (über 900 Wohnungen, hauptsächlich Eigentumswohnungen) und Bautzener Brache (zwar kleine Wohnungen, aber nur 15% gefördert für 20 Jahre belegungsgebunden). Der Privatisierungswahn und die Finanznot Berlins hat da viele stadtentwicklungspolitische Möglichkeiten genommen. So haben wir auf vielen freien Flächen vor allem einen Bauboom in höherwertigen Wohnungsbau, der nicht hauptsächlich durch Bedarf angetrieben ist, sondern von Anlagemotiven Vermögender. Wertvolle freie Flächen werden derzeit mit Wohnungen bebaut, in denen wenige Menschen sich auf viel Wohnfläche breit machen.

4) Der Ballungsraum Berlin inklusive Brandenburger Umland wird nicht ganzheitlich gesehen und Wohnungsbaupotentiale werden nicht ausreichend abgestimmt entwickelt. Während im Zentrum hochverdichtet gebaut wird, nachverdichtet wird und die Grenzen immer höher geschraubt werden, gibt es noch große Bereiche außerhalb des S-Bahnrings in denen es extrem niedrige maximale Baudichten gibt. Brandenburger Umlandgemeinden könnten stärker zur Entlastung beitragen, wenn leistungsfähige Nahverkehrssysteme ausgebaut würden. Es ist auch ein Gerücht, dass durch Aufstockung, Nachverdichtung günstiger Wohnraum entsteht ein Gegenbeispiel befindet sich in Schöneberg in der Gledischstraße, wo die BVV-Mehrheit aus CDU, SPD und GRÜNE mit Befreiungen großzügig dem Eigentümer freie Bahn gegeben hatten. Mit Kaltmieten zwischen 14,76 und 16,20 Euro pro Quadratmeter werden dort neue Wohnungen angeboten, für die durch die Umlage zum Fahrzugeinbau und durch die Betriebskosten auch noch die nicht so begüterten Altmieter zur Kasse gebeten werden. http://www.gleditschstrasse.de/bezahlbarer-wohnraum-aufstockung/

5) Nach wie vor verweigert der Senat eine kräftige Kapitalerhöhung für die städtischen Wohnungsgesellschaften, die diese in die Lage versetzen würde dauerhaft Sozialwohnungen zu schaffen. Dafür tritt DIE LINKE ein.

6) Der Wohnungsmarkt ist dermaßen aus den Fugen, dass Menschen, die eigentlich in kleineren Wohnungen leben möchten, weil sich Lebensumstände (Tod des Partners, Auszug Kinder) geändert haben, derzeit nicht aus den alten Wohnungen ausziehen, weil sie in der beabsichtigten kleineren Wohnungen höhere Mieten zahlen müssten. Der Flächenverbrauch pro Kopf ist seit den 1990er erheblich angestiegen, oder anders gesagt im Durchschnitt leben auf der selben Wohnfläche heute weniger Menschen als früher, was sich verschärfend auf den Wohnungsmangel auswirkt.

7) Fazit: Der Bauboom an vielen Ecken vernichtet immer noch wertvolle Flächen nicht um den dringlichsten Bedarf an günstigen Wohnraum zu befriedigen, sondern im wesentlichen um Kapitalanlagemodelle zu bedienen. Dazu braucht man nur mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen. Erste Experten warnen schon vor "Immobilien-Blasen" in diesem Segment. Andererseits wirken viele Instrumente, die den Wohnungsmarkt entlasten sollen nicht. Entweder weil sie schlecht gemacht sind ("Mietpreisbremse"), weil keine politische Absicht besteht die Belastungen durch Modernisierungsumlagen zu senken (11% jährlich für alle Zeit), oder weil städtische Maßnahmen wie das Zweckentfremdungsverbot oder auch Soziale Erhaltungsgebiete daran kranken, dass nicht ausreichend Personal eingesetzt wird um es effektiv durchzusetzen. Dafür tragen Koalitionen in Bund und Land die Verantwortung, an denen CDU und SPD beteiligt sind. Immer mehr Grün- und Freiflächen kapitalanlagegetriebenen Bauvorhaben zu opfern, ist jedenfalls keine zukunftsweisende Lösung!

Freundliche Grüße
Harald Gindra