Warum ist die Wartezeit für die Regelaltersrente für Schwerbehinderte auch bei 35 Jahren?

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Hubertus Heil
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Frage von Sibylle D. •

Warum ist die Wartezeit für die Regelaltersrente für Schwerbehinderte auch bei 35 Jahren?

Sehr geehrter Herr Heil,
Ich habe einen Schwerbehindertengrad von 50 und könnte somit 5 Jahre früher in Rente gehen.
Allerdings ist dies doch nicht möglich, da ich (62Jahre) die Wartezeit von 35 Jahren noch nicht erreicht habe.
Auf der einen Seite können Schwerbehinderte 5 Jahre früher in den Ruhestand gehen, aber gleichzeitig ist die Wartezeit von 35 Jahren genau so lange wie bei gesunden Menschen.
Somit gibt es aus meiner Sicht keinen Vorteil für Schwerbehinderte gegenüber Gesunden.
Müßte diese Wartezeit nicht auch um 5 Jahre gekürzt werden?

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau D.,

ich danke Ihnen für Ihre Nachricht vom 18. Mai 2022 und freue mich über Ihr Vertrauen, das Sie mir entgegenbringen.

Die Altersrente für schwerbehinderte Menschen ist – im Vergleich zur Regelaltersrente – eine vorgezogene Altersrente. Das heißt, Versicherte, die die geforderten Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, können eine Altersrente bereits vor Erreichen der Regelaltersgrenze in Anspruch nehmen. Die Altersrente für schwerbehinderte Menschen kann gegenwärtig frühestmöglich unter Inkaufnahme von Abschlägen fünf Jahre vor der Regelaltersrente und regulär ohne Rentenabschläge zwei Jahre vor der Regelaltersrente in Anspruch genommen werden. Die Privilegierung der vorgezogenen Altersrenten durch einen früheren Rentenbezug ist allerdings gegenüber der Regelaltersrente auch an strengere Voraussetzungen gebunden. Dies ist schon deshalb erforderlich, weil ein früherer Rentenbezug die Versichertengemeinschaft und damit die übrigen Mitglieder der Solidargemeinschaft durch frühere und damit längere Rentenausgaben belastet.

Während bei der Regelaltersrente eine Mindestversicherungszeit von lediglich fünf Jahren (allgemeine Wartezeit) erfüllt sein muss, müssen Versicherte bei der Altersrente für schwerbehinderte Menschen – wie auch bei der Altersrente für langjährig Versicherte – eine Wartezeit von 35 Jahren erfüllen. Langjährig Versicherte mit einer Schwerbehinderung haben gegenüber langjährig Versicherten ohne Schwerbehinderung günstigere (frühere) Rentenzugangsmöglichkeiten. Denn die Altersrente für langjährig Versicherte kann frühestmöglich unter Inkaufnahme von Rentenabschlägen mit 63 Jahren und regulär ohne Rentenabschläge erst – wie die Regelaltersrente – nach Erreichen der Regelaltersgrenze in Anspruch genommen werden.

Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren für einen Anspruch auf Regelaltersrente kann im Wesentlichen nur mit Beitragszeiten erfüllt werden, während auf die Wartezeit von 35 Jahren alle rentenrechtlichen Zeiten angerechnet werden, also auch (beitragsfreie) Anrechnungszeiten, zum Beispiel aufgrund eines Schulbesuches nach Vollendung des 17. Lebensjahres oder aufgrund von Arbeitsunfähigkeit/Arbeitslosigkeit, sowie Berücksichtigungszeiten. Berücksichtigungszeiten werden u.a. erziehenden Elternteilen von der Geburt bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres des Kindes angerechnet.

Mit der Wartezeit von 35 Jahren definiert der Gesetzgeber den Tatbestand einer „langjährigen Versicherung“ und mit der Wartezeit von 45 Jahren den Tatbestand einer „besonders langjährigen Versicherung“. Es ist verständlich, dass Versicherte, die die jeweils erforderliche Mindestversicherungszeit für eine Rente nicht oder knapp nicht erfüllen, hierüber enttäuscht sind. Mit 35 Jahren an Wartezeit für einen Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen bzw. Altersrente für langjährig Versicherte hat der Gesetzgeber aber keine zu strenge Mindestversicherungszeit gewählt, wenn man bedenkt, dass zur Erfüllung dieser Wartezeit vom Eintritt in das Erwerbsleben bis zum Rentenbeginn eine Zeitspanne von weit mehr als 40 Jahren gegeben ist und alle rentenrechtlichen Zeiten auf die 35-jährige Wartezeit angerechnet werden.

Festzuhalten bleibt, dass die Tatsache eines bereits fünf Jahre vor der Regelaltersrente möglichen Rentenbeginns bei der Altersrente für schwerbehinderte Menschen keine Herabsetzung der für diese Altersrente erforderlichen Wartezeit von 35 Jahren um fünf Jahre auf 30 Jahre rechtfertigen kann. Es handelt sich bei der Altersrente für schwerbehinderte Menschen bereits um die günstigste Altersrentenart der allgemeinen Rentenversicherung, denn

  • keine andere Altersrente kann bereits vor Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch vorzeitig genommen werden,
  • die bei einer vorzeitigen Inanspruchnahme anfallenden Rentenabschläge sind bei der Altersrente für schwerbehinderte Menschen auf 10,8 % begrenzt, während sie bei der Altersrente für langjährig Versicherte bei einem Rentenbeginn nach Vollendung des 63. Lebensjahres bis zu 14,4 % betragen können,
  • der abschlagsfreie Rentenbezug ist bereits ab einem Lebensalter vor Erreichen der Regelaltersgrenze möglich; den gleichen Rentenzugang können Versicherte ohne Schwerbehinderung erst bei erfüllter Wartezeit von 45 Jahren über den Bezug der Altersrente für besonders langjährig Versicherte realisieren.

Vor diesem Hintergrund auch noch die Zugangsvoraussetzungen für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen zu erleichtern, indem die erforderliche Wartezeit von 35 Jahren um fünf Jahre abgesenkt wird, kann daher nicht befürwortet werden.

Ich hoffe Ihnen mit meiner Antwort weitergeholfen zu haben.

Mit freundlichen Grüßen                                                               

Hubertus Heil

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