Frage an Jan Philipp Albrecht bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Jan Philipp Albrecht
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage an Jan Philipp Albrecht von Jay S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Albrecht,

leider hat der alte Bundestag unter CDU/SPD ein Zensurgesetz im Internet beschlossen.
Obwohl eine Mehrheit im aktuellen Bundestag der Meinung ist, dass löschen vor sperren gilt, traut sich der Bundestag nicht das Gesetz aufzuheben und den Vertrag zwischen BKA und Providern zu kündigen.
Leider versucht EU-Kommisarin Malmström dies zu wiederholen.
http://www.gulli.com/news/eu-netzsperren-datensch-tzer-schreiben-offenen-brief-2010-09-27

Lässt sich das Vorhaben von Frau Malmström noch verhindern?
Wie schätzen Sie die Meinung im EU-Parlament ein?
Haben Sie Infos zum Projekt Indect?

Mit freundlichen Gruß

Scharff

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Lieber Jay Scharff,

ich habe mich von Anfang an gegen die Internetsperren auch auf europäischer Ebene ausgesprochen (siehe z.B. http://janalbrecht.eu/2010/03/29/kindesmissbrauch-zuruck-zur-effektiven-kriminalitatsbekampfung ). Solche Sperren sind entweder leicht zu umgehen oder dringen zu tief in die Architektur des Internet ein; es gibt den immer wieder behaupteten Massenmarkt für Missbrauchsdarstellungen nicht (siehe auch die aktuelle Studie der Financial Coalition, http://www.heise.de/newsticker/meldung/Studie-Kinderpornographie-im-Netz-kein-grosses-Geschaeft-1097294.html ); und eine Sperrinfrastruktur wird schnell zu weitergehenden Zensur-Forderungen führen (siehe Glücksspiele in Deutschland, aktuell in den USA die Forderung nach Sperren für Filesharing-Sites). Anstatt eiunfach ein Stoppschild aufzustellen, muss die Polzei befähigt werden, echte Arbeit zu machen und auch grenzüberschreitend die Täter zu fassen.

Wie sich die Stimmung im Europäischen Parlament entwickeln wird, ist noch offen. Die ersten Aussprachen im Innenausschuss haben gezeigt, dass viele Abgeordnete aus der Debatte in Deutschland im vergangenen Jahr gelernt haben und sehr skeptisch bezüglich der Sperren sind. Es wird aber davon abhängen, wie sich in den anderen Mitgliedsstaaten die Debatte entwickelt.

Ich werde mich jedenfalls konsequent gegen die Sperren einsetzen. Wenn Sie hier mithelfen wollen, würde sich z.B. eine Unterstützung des Arbeitskreises gegen Internetsperren und Zensur (http://www.ak-zensur.de ) anbieten, mit dem ich auch im regelmäßigen Kontakt stehe.

INDECT ist noch eine andere Baustelle. Das Projekt, das auch noch von der EU gefördert wird, geht offenbar zielstrebig in Richtung Orwell, indem es die Echtzeitüberwachung von Straßen und Internet verknüpft und "verdächtiges Verhalten" präventiv erkennen will. Die federführende Beteiligung von polnischen Universitäten und Polizei deutet darauf hin, dass man schon 2012 bei der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine große Feldtests machen will. Der gesamte Ansatz des Projektes verknüpft einen Generalverdacht gegen die gesamte Bevölkerung mit einem naiven Technikglauben und dem unrealistischen Traum davon, Straftaten schon vor ihrer Begehung verhindern zu können. Die breite Kritik an INDECT ist auf jeden Fall berechtigt. Dass der sogenannte "Ethik-Beirat" nun auch noch vorgeschlagen hat, große Teile der INDECT-Dokumente zu verstecken, zeigt meiner Meinung nach vor allem, dass hier die Ethik im Grundsatz fehlt (Hintergrund: http://www.unwatched.org/node/2165 ). Mehr Informationen zu INDECT gibt es u.a. hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Indect.

Beste Grüße,

Jan Philipp Albrecht