Frage an Jan Philipp Albrecht bezüglich Soziale Sicherung

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Jan Philipp Albrecht
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Brigitte S. •

Frage an Jan Philipp Albrecht von Brigitte S. bezüglich Soziale Sicherung

Meine Fragen:

Wann erhalten die Opfer endlich die Entschädigung und Entschuldigung die ihnen zusteht?
Wann erhalten die Opfer endlich eine Conterganrente nach europäischem Standard (in England gibt es z.B. die dreifache Rente)?
Wann erhalten die Opfer endlich Hilfe bei Umbauten?
Wann erhalten die Opfer endlich den Ausgleich dafür, dass sie nicht oder nur teilweise in die Rentenkasse einzahlen konnten, da sie nicht oder nur wenige Jahre arbeiten konnten?
Wann erhalten die Opfer endlich die Assistenz die sie benötigen?
Und wann beleuchtet die Politik endlich die Hintergründe des Conterganverbrechens?

Wie stehen Sie persönlich dazu das es ein 3. Contergan Änderungsgesetz geben soll ?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Speer,

vielen Dank für Ihre Email. Zur Beantwortung Ihrer Fragen habe ich mich bei dem Büro Markus Kurth, Mitglied des Bundestags für Bündnis 90/ Die Grünen, über die aktuellen Entwicklungen zum Contergan-Skandal informiert. Markus Kurth betreut das Themenfeld der Behindertenpolitik im Bundestag und setzt sich dort für eine Verbesserung der Situation Contergangeschädigter ein. Er ist in diesem Bereich der zuständige Ansprechpartner und hat mir einige Informationen zu den derzeitigen Entwicklungen und den Forderungen Grüner Politik an die Hand gegeben.

Die Bundesregierung hat in der letzten Legislaturperiode auf Forderung der Grünen Fraktion, eine Studie an der Universität Heidelberg in Auftrag gegeben, um die Probleme, die speziellen Bedürfnisse und die Versorgungsdefizite von contergangeschädigten Menschen, zu ermitteln.

Seit Ende letzten Jahres liegen die Ergebnisse der Studie vor. Die Ergebnisse sind erschreckend. Fast 85 Prozent der Befragten leiden an Schmerzen. Benötigte Medikamente, Hilfsmittel, rehabilitative Maßnahmen und physikalische Therapie werden zu großen Teilen nicht finanziert. Nur wenige der Geschädigten sind in der Lage, privat dafür aufzukommen. Der Bedarf an Assistenz im Alltag ist bereits jetzt nicht ausreichend gedeckt und wird in Zukunft noch zunehmen. Ein bemerkenswerter Teil der Geschädigten kann aufgrund der Schädigung und mangelnder Versorgung nicht mehr arbeiten, entsprechend bestehen Verdienstausfälle.

Für die Politik bedeutet das, erneut über die Verbesserung der Leistungen zu diskutieren. Nachdem in der letzten Legislaturperiode unter anderem die Conterganrenten verdoppelt wurden, muss nun mit den Ergebnissen der Studie weiter gearbeitet werden.

Am 1. Februar 2013 debattierte der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in einer öffentlichen Anhörung über die Situation contergangeschädigter Menschen und über die Ergebnisse der Heidelberger Studie. Am Abend vor der öffentlichen Anhörung verkündete der Koalitionsausschuss, 120 Millionen Euro zur Verbesserung der Situation Contergangeschädigter in die Hand nehmen zu wollen. Vollkommen unklar bleibt, wie dieser Betrag zustande gekommen ist und ob er bedarfsdeckend sein wird. Ebenfalls ungeklärt ist, in welcher Form das Geld an die Geschädigten weitergegeben wird.

Auch vor diesem Hintergrund befragten die Abgeordneten des Familienausschuss am 1. Februar die geladenen Sachverständigen. Die Sachverständigen forderten für die Geschädigten eine Grundversorgung, die am Durchschnittseinkommen orientiert sei. Darüber hinaus seien Pauschalen für Heil- und Hilfsmittel notwendig und das medizinisch-pflegerische Versorgungssystem müsse sich besser auf die bestehenden Bedarfe ausrichten. Um die medizinische Versorgung der Geschädigten insgesamt zu verbessern, seien Kompetenzzentren, wie sie in der Heidelberger Studie empfohlen würden, sinnvoll.

Außerdem wurden der Aufbau und der Zweck der Conterganstiftung diskutiert. Die Zahlungen, die Contergangeschädigte aus der Conterganstiftung erhalten, reiche bei weitem nicht aus, um den Bedarf an Assistenz, Therapien und Pflege zu sichern und barrierefreien Wohnraum und Mobilität zu finanzieren. Zudem habe die Stiftung den ihr zugedachten Zweck, den Rechtsfrieden herzustellen, nicht erfüllt. Die Geschädigten fühlten sich durch die Stiftung nicht vertreten, als Schaltstelle zwischen Politik und den Betroffenen sei sie wenig funktional. Die gegenwärtige Rechtslage mache es unmöglich, Transparenz des Stiftungsgeschehens herzustellen. Im Zuge einer Erhöhung der Renten sei bei der Neufassung des Conterganstiftungsgesetzes auch die Gestaltung der Stiftung entsprechend zu verändern. Die Geschädigten seien stärker zu beteiligen.

Die Debatte zeigt, dass der Schadensausgleich zügig verbessert und regelmäßig überprüft werden muss. So ist es beispielsweise bereits jetzt möglich und notwendig, Renten für die Betroffenen zu erhöhen. Auch die Firma Grünenthal sollte sich an der Finanzierung des Schadenausgleichs beteiligen. Sie ist dazu rechtlich leider nicht verpflichtet, steht aber selbstverständlich in einer moralischen Verpflichtung. Über eine zügige Erhöhung der Renten hinaus muss weiter darüber gesprochen werden, in welcher Höhe den Geschädigten eine finanzielle Kompensation für den Verlust an Lebensqualität geleistet werden kann. Die Grüne Bundesfraktion wird sich für eine solche Kompensation stark machen. Die Grüne Fraktion fordert, dass der Deutsche Bundestag nun zügig einen Beschluss fassen muss, der den Betroffenen ein Leben in Würde ermöglicht.

Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen weiter geholfen zu haben.

Mit freundlichen Grüßen
Jan Philipp Albrecht