Ist das Kindeswohl fiskalisch weniger wert als eine Nachbarschaftssache? Sind 230 Minuten pro Kindeswohlgefährdungssache an Familiengerichten im Vergleich zu 330 Min. pro Nachbarschaftssache ok?

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Frage von Felix H. •

Ist das Kindeswohl fiskalisch weniger wert als eine Nachbarschaftssache? Sind 230 Minuten pro Kindeswohlgefährdungssache an Familiengerichten im Vergleich zu 330 Min. pro Nachbarschaftssache ok?

Richter am Amtsgericht Kiel Fahl im grün mitregierten Schleswig-Holstein schrieb 2015 in einem juristischen Fachblatt: "Letztlich sollte sich auch die Justizverwaltung die Frage stellen, welchen Wert sie Kindern und Verfahren, die Kindeswohlgefährdungen zum Gegenstand haben, zumisst. Die personelle Ausstattung der Familiengerichte mit 230 Minuten pro Fall – vom ersten Lesen des Antrags über die Vorbereitung und Durchführung der Verhandlungstermine, die Anhörung des Kindes bis zum letzten Korrekturlesen der Beschlüsse – ist nicht als üppig zu bezeichnen. Eine Reisevertragssache oder ein Verkehrsunfall sind nach Geschäftsnr. RA 053 ebenfalls 230 Minuten wert, eine Nachbarschaftssache nach Geschäftsnr. RA 015 immerhin schon 330 Minuten, ein güterrechtliches Verfahren nach Geschäftsnr. RA 070 mit fast 450 Minuten nahezu doppelt so viel." Ist das Kindeswohl fiskalisch weniger wert als eine Nachbarschaftssache? Hat sich der Wert in grün mitregierten Bundesländern seitdem gebessert?

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr H.,

vielen Dank für die Frage. Ich stimme Ihnen zu, dass familiengerichtlichen Verfahren mehr Gleichstellung zu anderen Zivilprozessen zusteht. In der letzten Legislaturperiode hat die Große Koalition leider viele  überfällige Probleme im Bereich Familienrecht weitestgehend ignoriert.  Zusammen mit der Grünen Bundestagsfraktion haben wir mehrere Initiative im Bereich Familienrecht eingebracht, die leider abgelehnt wurden.

Eine davon fordert ganz spezifisch eine verbesserte Qualitätssicherung in familienrechtlichen Verfahren durch Fortbildungen und höhere Eingangsqualifikationen von Familienrichter*innen sowie gesetzlich festgelegte Mindestkompetenzen von Verfahrensbeiständen.

Fortbildungen für Richter*innen müssen nicht nur verpflichtend sondernd auch zeitlich und personell umsetzbar sein. Gerade im Familienrecht wird oft detailliertes Vorwissen in Feldern wie psychologischen Gutachten vorausgesetzt, welches in der Ausbildung nicht behandelt wird. Unter Expert*innen herrscht daher ein Konsens, dass höhere Eingangsqualifikationen und entsprechende Fortbildungen für eine Qualitätssicherung essentiell sind. Trotz der Anerkennung dieses Sachverhalts im Koalitionsvertrag, hat das Justizministerium hierzu jedoch nichts Konkretes vorgelegt.

Unser Antrag: https://dserver.bundestag.de/btd/19/085/1908568.pdf

Außerdem haben wir uns für die Gleichstellung familienrechtlicher Verfahren mit anderen Zivilprozessen eingesetzt, denn ich halte es für nicht nachvollziehbar, dass familienrechtliche Prozesse, welche über die Zukunft einer ganzen Familie entscheiden können, nicht bis vor den BGH gebracht werden können, während dies für Mietminderungsklagen o.ä. möglich ist. Kapazitätsgründe können und dürfen hier nicht die Begründung sein.

Insgesamt fordern wir eine zeitgemäße Familienpolitik, welche auch eine Modernisierung des Familienrechts mit einbezieht!

Ich hoffe, diese Antwort konnte Ihnen weiterhelfen.

Mit freundlichen Grüßen

Katja Keul

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