Frage an Lisa Badum bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Portrait von Lisa Badum
Lisa Badum
Bündnis 90/Die Grünen
98 %
119 / 121 Fragen beantwortet
Frage von Philipp P. •

Frage an Lisa Badum von Philipp P. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Badum,

das Außenministerium sind große Fans der Ukraine und gratulierten der Ukraine zur Unabhängigkeit mit "Slawa Ukraina":
https://twitter.com/AuswaertigesAmt/status/900658722674024448/photo/1

"Slawa Ukraina" ist jedoch äquivalent zu "Sieg Heil":
https://translate.google.de/translate?sl=pl&tl=de&js=y&prev=_t&hl=de&ie=UTF-8&u=https%3A%2F%2Fpl.wikipedia.org%2Fwiki%2FS%25C5%2582awa_Ukrajini!_Herojam_s%25C5%2582awa!&edit-text=
https://www.freitag.de/autoren/ulrich-heyden/slawa-ukraina-toent-es-im-europa-parlament
http://theduran.com/justin-trudeau-german-fm-gabriel-give-fascist-greeting-ukrainian-nationalists/

Außerdem handelt es sich bei den freiwilligen Bataillonen Aidar- und Asow- offensichtlich um Nazis:
http://www.20min.ch/ausland/dossier/ukraine/story/Ukraine-setzt-Neo-Nazis-gegen-Separatisten-ein-23925388
https://youtu.be/L4zvGdxU50A?t=21
https://youtu.be/jiBXmbkwiSw
https://twitter.com/landru_n/status/578262626238623744/photo/1
https://wikileaks-docs-about-nazis-and-fascists-in.silk.co/

Die Absetzung der Regierung im Februar 2014 war verfassungswidrig.
http://www.nachdenkseiten.de/?p=24167

Die US-Diplomaten Pyatt und Nuland planten danach unverblümt die zukünftige Regierung der Ukraine und zeigen Ihre Haltung zur EU mit den Worten "Fuck the EU".
https://youtu.be/KIvRljAaNgg?t=182

Der EU-Abgeordnete Paet informiert die EU-Diplomatin Ashton dann im März 2014 dass die Verletzten auf dem Maidan auf beiden Seiten von denselben Scharfschützen erschossen wurden und dass die neue Koalition nicht gewillt ist die Umstände dieser Todesschüsse zu klären.
https://www.youtube.com/watch?v=cVF89aY0MzY

Und der ehemalige US-Präsident Obama gibt zu dass die USA für den Regierungswechsel verantwortlich ist:
https://www.youtube.com/watch?v=1QAXmf5_EOs

Wie rechtfertigen Sie die weitere Kooperation mit dieser Regierung nach solchen Ereignissen?

Mit freundlichen Grüßen
P. P.

Portrait von Lisa Badum
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr P.,

vielen Dank für Ihre Frage, die ich nach ein wenig nötiger eigener Recherche gerne beantworte: Der Ausruf "Slawa Ukraini!" beinhaltet streng genommen keines der Wörter "Sieg" oder "Heil", sondern bedeutet "Ruhm der Ukraine!". Das kann man vor dem Hintergrund besonders der deutschen Geschichte fraglos befremdlich finden, aber derartige Rufe sind in vielen Ländern weltweit Usus. Gerade wir in Deutschland sollten uns davor hüten, ohne genauere Kenntnis des kulturellen und historischen Kontexts in solchen Fällen eine Gleichsetzung mit dem Nationalsozialismus oder Faschismus vorzunehmen. Insbesondere dann, wenn es sich wie im Fall der Ukraine um ein Land handelt, das als damaliger Teil der Sowjetunion unter dem Nationalsozialismus mit Millionen Todesopfern und hunderttausenden Zwangsarbeitern massiv gelitten hat. Also sollte man natürlich die Ereignisse weiter kritisch verfolgen, aber ohne Gleichsetzung oder vorschnelle Verurteilung.

Zu den Themen Faschisten in der Ukraine und dem vermeintlichen Putsch durch den Maidan hat das Auswärtige Amt im 2015 folgende Antworten gegeben (hier zitiert von der Böll Stiftung):

https://www.boell.de/de/2015/02/24/dokumentation-russische-behauptungen-und-die-antworten-des-auswaertigen-amts

Im Übrigen hat die Ukraine inzwischen einen jüdischen Premierminister, was auch ganz und gar nicht zu der These, es handele sich bei der von ihm geführten um eine rechtsextreme oder faschistische Regierung, zu passen scheint. Mindestens aber sind vor diesem Hintergrund massive Zweifel an so gemäßen Gleichsetzungen angebracht.

Außerdem gibt es relativ zur Bevölkerungszahl in der Ukraine weit weniger rassistisch motivierte Morde als etwa in Russland. Auch in Italien und Großbritannien liegt die Rate höher als in der Ukraine.

Zu Pyatt und Nuland:

Das "Fuck the EU" war natürlich eine mehr als bedauerliche Äußerung, die einen erheblichen Mangel an Wertschätzung für die Europäische Union in diesem Kontext zeigte, ist aber letztlich nicht mit offiziellem Regierungshandeln der USA zu verwechseln, das weit stärker von Kooperation geprägt war, und selbst unter der Trump Administration noch ist, als es diese Aussage vermuten lässt. Es gilt auch hier: Taten zählen mehr als Worte. Zu den Aussagen über Jazenjuk ist zu sagen, dass dieser von den damals für das Amt des Premierministers Kandidierenden derjenige war, der beiden offenbar bereits gut bekannt und ihnen in punkto Alter, Bildungsstand und sozioökonomischer Herkunft am nächsten stand, sowie gut Englisch spricht und es daher nicht weiter verwunderlich ist, dass die beiden Diplomaten eine Präferenz für ihn zum Ausdruck brachten. Ausschlaggebend war deren Meinung oder Präferenz für die Wahl von Jazenjuk nicht, sondern wohl vielmehr die bereits viel früher offen vorgebrachte Forderung des Maidan, dass der neue Premier kein Oligarch sein dürfe. Dies traf in Bezug auf die Kandidaten, die damals im Gespräch waren, darunter u. a. Poroschenko und Tymoschenko, nur auf Jazenjuk zu. Er spielte von ihnen auch die bei weitem aktivste Rolle während der Maidan-Proteste.

Inzwischen wurde Jazenjuk durch den Premierminister Groisman ersetzt, der früher Bürgermeister von Winnitza gewesen, und ein Vertrauter von Präsident Poroschenko ist.

Zu den Schüssen auf dem Maidan und den Scharfschützen:

Nach heutigem Stand kann nicht bestätigt werden, dass die Todesopfer auf beiden Seiten von den gleichen Scharfschützen erschossen wurden. Es gab in der Endphase (als bereits geschossen wurde) auf Seite der Protestierenden des Maidan einzelne mit Schusswaffen bewaffnete Personen. Die überwältigende Mehrheit der Kämpfer des Maidan war jedoch nicht mit einer Schusswaffe, sondern meist mit Schild (aus Holz oder Metall) und Knüppeln aus Holz oder Metall, sowie z.T. mit Molotow-Cocktails bewaffnet.

Hier sind 2 Videos, die illustrieren, dass die allermeisten Maidan-Kämpfer keine Schusswaffen hatten, während die Sicherheitskräfte der Regierung und mit ihnen kooperierende Scharfschützen bis an die Zähne bewaffnet waren (Vorsicht: Aufnahmen zeigen tödliche Gewalt):

Ungeschnittenes Video vom 20.02.2014, das hunderte "Maidan-Selbstverteidigungskräfte zeigt, die die Institutska-Straße hinaufziehen, davon kaum jemand mit Schusswaffe (40 Minuten):

https://www.youtube.com/watch?v=aR3iLfFijF8

Video von "Berkut"-Spezialeinheiten und anderen "Sicherheitskräften" der ukrainischen Regierung auf der anderen Seite der Barrikaden auf dem höher gelegenen Teil der Institutska-Straße (Ecke Bankova Straße):

https://www.youtube.com/watch?v=TlNjDv8F2jg

Weitere Bilder von "Sicherheitskräften" vom 20.02.2014 früher am Tag, näher am Maidan:

https://www.youtube.com/watch?v=zwqfrq43lK0

Die Aussage, dass etwa Schützen des Maidan auf Maidan-Aktivisten geschossen haben, stützt sich unter anderem auf Berichte, wonach vom Hotel Ukraine aus auf die Maidan-Aktivisten geschossen wurde, das zu diesem Zeitpunkt vermeintlich unter der Kontrolle des Maidan stand. Allerdings herrschte dort ein ständiges Kommen und Gehen, weil die Lobby als Feldlazarett fungierte und dort u.a. ausländische Journalisten untergebracht waren, so dass es möglich war, vor der Eskalation oder auch währenddessen, z.B. als Journalist, Hotelmitarbeiter oder Sanitäter verkleidet bzw. getarnt in das Hotel zu gelangen und von einem der vielen Zimmer auf den vielen Stockwerken zu schießen.

Laut der ukrainischen Autorin des Buches "Maidan", Sonja Koschkina, wurden die Todesopfer des Maidan mehrheitlich nicht mit Scharfschützengewehren der Scharfschützen, sondern von Sturmgewehren vom Typ Kalashnikow erschossen, also eher von den Berkut-Einheiten als von Scharfschützen, die offenbar nicht sehr engagiert bei der Sache waren und so eine viel höhere Zahl von Todesopfern vermieden werden konnte. Auch das Spiegel TV Magazin belegt, dass es in vielen Fällen Kalaschnikow-Sturmgewehre waren:

http://www.spiegel.de/video/gefasst-die-todesschuetzen-vom-kiewer-maidan-platz-video-1660143.html

Leider zieht sich die juristische Aufarbeitung der Schüsse auf dem Maidan in der Ukraine hin, u. a. deshalb, weil viele Verdächtige nach Russland geflohen sind, aber auch wegen ständiger Verzögerungen auf ukrainischer Seite, so dass eine abschließende Bewertung aktuell noch nicht möglich ist.

Zu guter Letzt zu Obamas Eingeständnis der Verantwortung für den Regime-Change in der Ukraine:

Das Video ist nur ein kurzer Ausschnitt aus einem längeren Interview, was von vorneherein den Verdacht erregt, dass es ein aus dem Kontext gerissenes Zitat sein könnte und sollte mit entsprechender Vorsicht betrachtet werden. Besser wäre es, das Video in voller Länge zu sehen. Obamas Audio ist nicht verfälscht worden, aber wird mit einer irreführenden Erklärung, die die Interpretation vom Regime-Change forciert, umrahmt. Wer mit den Ereignissen dieser Tage in Kiew einigermaßen vertraut ist, der weiß, dass Obama sich in dem Ausschnitt auf die Gespräche am 21.02.2014 zwischen dem damals noch amtierenden Präsidenten Janukowitsch und den Außenministern Deutschlands, Frankreichs und Polens, Steinmeier, Fabius und Sikorski, an denen auch Russland und die USA beteiligt waren, bezieht. Als Ergebnis dieser Gespräche sollte die Macht von Janukowitsch durch Rückkehr der Verfassung von 2004 beschränkt, repressive Gesetze zurück genommen und eine Übergangsregierung gebildet werden.

Dazu kam es allerdings nicht mehr, weil sich Janukowitsch in der Nacht vom 21. auf den 22.02. zunächst nach Charkiw und dann auf die Krim und weiter nach Russland absetzte. Er hatte offenbar schon drei Tage zuvor mit dem Packen seiner großen Bestände an Bargeld und Wertgegenstände in seinem Wohnsitz in Mezhihiriya begonnen. Ein Großteil seiner Minister tat es ihm gleich und verließ Kiew, so dass am Morgen des 22.02. keine funktionierende Staatsspitze mehr vorhanden war.

Mit seinen kurzen Sätzen berichtet Obama unpräzise aber doch erkennbar über diese Ereignisse. Von der Verhandlungsgruppe war ein anderes Szenario mit Übergangsregierung und Wahlen, sowie Janukowitsch im Amt bis Dezember 2014 ausgehandelt worden, aber die Ereignisse in Kiew überschlugen sich, noch ehe die Tinte auf dem entsprechenden Papier getrocknet war.

Ich denke vor diesen dargestellten Hintergründen ist eine Kooperation mit der ukrainischen Regierung, so wie sie heute stattfindet, zu bewerten, und letztlich auch rechtfertigbar.

Mit freundlichen Grüßen

Lisa Badum MdB

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Lisa Badum
Lisa Badum
Bündnis 90/Die Grünen