Die FDP will Unternehmen + Reiche entlasten, also die Steuerpolitik der letzten Jahrzehnte weiterführen. Die Investitionsquote hat in dieser Zeit aber EU-weit abgenommen. Warum sollte sich das ändern?

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Marie-Agnes Strack-Zimmermann
FDP
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Frage von Max W. •

Die FDP will Unternehmen + Reiche entlasten, also die Steuerpolitik der letzten Jahrzehnte weiterführen. Die Investitionsquote hat in dieser Zeit aber EU-weit abgenommen. Warum sollte sich das ändern?

Die Unternehmensbesteuerung und die Besteuerung der Besserverdiener hat in den letzten Jahrzehnten erheblich abgenommen. Dies wird von Ihrer Partei primär damit begründet, dass diese Entlastung zu mehr Investitionen und folglich mehr Wachstum und Wohlstand für alle führen soll. Dennoch hat sich die Investitionsquote der Unternehmen in diesem Zeitraum parallel zur abnehmenden Besteuerung ebenfalls erheblich reduziert und die Vermögensungleichheit hat vor allem in den letzten 10 Jahren enorm zugenommen (der Gini-Koeffizient ist um fast 0,20 Punkte auf 0,83 gestiegen). Woher nehmen Sie die Hoffnung dass sich dies zukünftig ändert? An der die deutsche Wirtschaft bremsenden deutschen Bürokratie kann die Investitionsquote nicht liegen, da diese Entwicklung in der gesamten EU und den USA zu beobachten ist.

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr W.

vielen Dank für Ihre Frage, die ich gerne beantworte. Dass die FDP nur Unternehmen und Reiche entlasten will, ist allerdings falsch.

Deutschland gehört jedoch bei Steuern und Sozialabgaben zur Weltspitze. Mehr als 3,5 Millionen Menschen zahlen den Spitzensteuersatz. Das sind mitnichten nur die Reichen, sondern auch in großen Teilen die hart arbeitende Mitte, die eben nicht durch einen Spitzensteuersatz belastet werden sollte. Wir fordern daher ein grundlegendes Umdenken in der Steuerpolitik: Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger spürbar entlasten und damit die unabdingbare Voraussetzung für Impulse in die wirtschaftliche Erholung unseres Landes schaffen. Das ist ein wichtiger Punkt auf unserer Agenda für mehr Wachstum, denn nur mit Wachstum wird es gelingen, die Folgen der Coronapandemie zu überwinden. Dabei stehen wir für eine solide und investitionsorientierte Haushaltspolitik und zur im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse. Denn jede Generation hat ihre Herausforderungen und muss über die finanzpolitischen Spielräume verfügen, um diesen gerecht werden zu können.

Wir wollen eine Trendwende bei der Abgabenquote erreichen und die Abgabenbelastung für die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber wieder auf unter 40 Prozent senken. Unter Angela Merkel als Bundeskanzlerin stieg die Abgabenquote (Steuerquote plus Sozialbeitragsquote) in Deutschland auf 41,4 Prozent – bei ihrem Amtsantritt lag diese noch bei 38,8 Prozent. Wir wollen diesen Irrweg verlassen, denn die Leistungsträgerinnen und Leistungsträger unseres Landes dürfen nicht durch immer höhere Abgaben daran gehindert werden, unseren Wohlstand zu sichern. Wir wollen die Wirtschaft fördern und dafür auch im Steuerrecht gezielte Impulse setzen: Indem wir Bürgerinnen und Bürger entlasten und den Unternehmen Perspektiven eröffnen, die ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum ermöglichen. Denn Deutschland nimmt bei der Steuerbelastung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen inzwischen einen weltweiten Spitzenplatz unter den Industrienationen ein. Das schadet dem Standort Deutschland und verhindert notwendige Investitionen. Wir wollen deshalb beim Einkommensteuertarif den sogenannten Mittelstandsbauch vollständig abschaffen und so einen leistungsgerechteren linearen Chancentarif gestalten.

Die Abschaffung wollen wir in drei Schritten in den Jahren 2022 bis 2024 erreichen. Heute steigt die Steuerlast bei kleinen und mittleren Einkommen besonders schnell an. Von Gehaltserhöhungen greift sich der Staat mehr als die Hälfte. Das ist leistungsfeindlich und ungerecht. Deshalb brauchen wir mehr Fairness bei den Steuern. Dazu wollen wir den Spitzensteuersatz schrittweise „nach rechts verschieben“ – mit dem Ziel, dass dieser erst ab einem Einkommen von 90.000 Euro greift. Dadurch wird der Steuertarif für alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zusätzlich gestreckt. Die Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist in Deutschland mittlerweile so hoch wie kaum in einem anderen OECD-Staat. Steuerpflichtige, die das 1,4-fache des durchschnittlichen Bruttogehalts aller Arbeitnehmer in Deutschland erhalten, zahlen momentan schon den Spitzensteuersatz. Im Jahr 1965 lag dieser Wert noch beim 18-fachen. Für uns ist jedoch klar: Eine Durchschnittsverdienerin und ein Durchschnittsverdiener dürfen nicht fast schon den höchsten Steuersatz zahlen. Das ist leistungsfeindlich und ungerecht. Umso wichtiger ist es, Bürgerinnen und Bürger in Deutschland bei den Steuern und Abgaben nachhaltig und deutlich zu entlasten. Wir Freie Demokraten wollen den Einkommensteuertarif so ändern, dass der Staat nicht länger von quasi automatischen Steuererhöhungen profitiert. Wir fordern eine regelmäßige Anpassung des Steuertarifs einschließlich der Freibeträge, Freigrenzen und Pauschbeträge an die Entwicklung von Gehältern und Preisen. Der Tarif wird also „auf Räder gestellt“. Ohne eine regelmäßige Korrektur des Einkommensteuertarifs werden die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auch in den kommenden Jahren erhebliche Mehrbelastungen zu tragen haben.

Jede und jeder Einzelne soll außerdem die Chance haben, beruflich und privat aufzusteigen. Der moderne Sozialstaat muss ein Sprungbrett sein. Er muss ermutigen, Potentiale freisetzen und Anstrengung auch wirklich belohnen. Ziel muss es sein, dass Menschen möglichst schnell berufliche Fortschritte machen können. Wir Freie Demokraten wollen Chancen durch Freiräume eröffnen – für ein selbstbestimmtes Leben. Wir Freie Demokraten wollen das Liberale Bürgergeld. Wir wollen steuerfinanzierte Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II, die Grundsicherung im Alter, die Hilfe zum Lebensunterhalt oder das Wohngeld in einer Leistung und an einer staatlichen Stelle zusammenfassen, auch im Sinne einer negativen Einkommensteuer. Selbst verdientes Einkommen soll geringer als heute angerechnet werden.

Die Grundsicherung muss unbürokratischer, würdewahrender, leistungsgerechter, digitaler und vor allem chancenorientierter werden. Daneben sollte der Passiv-Aktiv-Tausch weiterentwickelt werden, bei dem Gelder, die eine Leistungsempfängerin oder ein Leistungsempfänger erhält, in Lohnkostenzuschüsse für einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz umgewandelt werden können.

Wir wollen bessere Hinzuverdienstregeln beim Arbeitslosengeld II (ALG II) beziehungsweise beim angestrebten Liberalen Bürgergeld. Die aktuellen Regeln sind demotivierend und sie belohnen kaum, die Grundsicherung durch eigene Arbeit Schritt für Schritt zu verlassen. Bessere Hinzuverdienstregeln ermöglichen aber genau das: Sie bilden eine trittfeste Leiter, die aus Hartz IV herausführt. Das Einkommen von Jugendlichen aus Familien, die ALG II beziehen, soll bis zur Höhe eines Minijobs gar nicht angerechnet werden. Junge Erwachsene sollen künftig nicht mehr für Forderungen des Staates haften, welche auf ein Verschulden der Eltern - wie beispielsweise das verspätete Anzeigen einer Erwerbstätigkeit der Eltern - beruhen.

Wir wollen das Schonvermögen in der Grundsicherung ausweiten. Das betrifft insbesondere das Altersvorsorge-Vermögen, die selbst genutzte Immobilie und das für die Erwerbstätigkeit benötigte angemessene Kraftfahrzeug. Wir wollen Menschen davor bewahren, ihre auch abseits der staatlichen Förderung eigenverantwortlich und hart erarbeitete Altersvorsorge auflösen zu müssen. Wir wollen, dass sich Eigenverantwortung und Anstrengung auszahlen. Wir wollen beim Arbeitslosengeld II beziehungsweise beim angestrebten Liberalen Bürgergeld einen einheitlichen Satz für alle erwachsenen Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher – unabhängig vom Beziehungsstatus. Bei Rückforderungen durch die Jobcenter führen wir eine Bagatellgrenze für Kleinstbeträge ein. Beide Maßnahmen verringern den Verwaltungsaufwand und sorgen für eine transparentere und bürgernähere Grundsicherung. Dies erspart allen die teilweise entwürdigende Überprüfung der Wohn- und Familienverhältnisse.

Mit freundlichen Grüßen
Marie-Agnes Strack-Zimmermann

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