Frage an Matthias W. Birkwald bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Matthias W. Birkwald
DIE LINKE
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Frage an Matthias W. Birkwald von Henrik W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Birkwald,

erläutern Sie mir bitte kurz Ihre Position gegenüber dem Bedingungslosen Grundeinkommen, das seit einigen Jahren in der deutschen Öffentlichkeit – und auch in den im Bundestag vertretenen Parteien – diskutiert wird (auf der Website Ihrer Partei bin ich dazu leider nicht fündig geworden).

Die Piratenpartei z.B. möchte das Thema innerhalb einer dafür eingerichteten Enquete-Kommission behandeln und über die dort ausgearbeiteten Konzepte Deutschlands Bürger via Volksabstimmung abstimmen lassen (siehe auch die derzeit erfolgreiche Schweizer Volksinitiative »Für ein bedingungsloses Grundeinkommen«).

Was ist Ihre Meinung dazu?

Mit freundlichen Grüßen
Henrik Wittenberg
Kölner Initiative Grundeinkommen e.V.

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Wittenberg,

die Diskussion zur Frage des bedingungslosen Grundeinkommens ist in meiner Partei DIE LINKE noch nicht abgeschlossen, und die Notwendigkeit zur Fortsetzung dieser kontroversen Diskussion haben wir auch in unserem Bundestagswahlprogramm und im Oktober 2011 auch im Grundsatzprogramm der LINKEN ausdrücklich festgeschrieben: „Teile der LINKEN vertreten das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens, um das Recht auf eine gesicherte Existenz und gesellschaftliche Teilhabe jedes Einzelnen von der Erwerbsarbeit zu entkoppeln. Dieses Konzept wird in der Partei kontrovers diskutiert. Diese Diskussion wollen wir weiterführen.“ Ausdrücklich befürworten wir deshalb auch im Wahlprogramm unserer Partei die von Ihnen angesprochene Einsetzung einer Enquete- Kommission zum Grundeinkommen im Deutschen Bundestag.

Einig sind wir uns in der LINKEN - und wohl auch mit der überwältigen Mehrheit der Befürworter_innen des bedingungslosen Grundeinkommens- aber darüber, dass „jede und jeder (…) soziale Sicherheit (braucht), um selbstbestimmt leben und das Recht auf demokratische Mitgestaltung umfassend wahrnehmen“ zu können, und in der Forderung unseres Grundsatzprogramms, dass das soziale Grundrecht auf soziokulturelle Existenzsicherung ebenso wie andere soziale Grundrechte auf Arbeit, Bildung und gesundheitliche Versorgung im Grundgesetz garantiert werden soll.

Mit der Forderung nach einer bedarfsdeckenden und sanktions- und repressionsfreien sozialen Mindestsicherung, die das unwürdige Hartz IV-Regime ersetzen soll, und dem von mir als rentenpolitischer Sprecher meiner Fraktion mit entwickelten Konzept einer einkommens- und vermögensgeprüften und durch Zuschüsse aus Steuermitteln zu eigenen beitragsgestützten Rentenansprüchen finanzierten Solidarischen Mindestrente von 1050 € hat DIE LINKE in ihrem Wahlprogramm konkrete Vorschläge dafür gemacht, wie das soziale Grundrecht auf soziokulturelle Existenzsicherung für alle umgesetzt werden kann, die nicht über entsprechende eigene Erwerbseinkommen und Rentenansprüche verfügen.

Persönlich sehe ich gerade in meiner Funktion als rentenpolitischer Sprecher der LINKSFRAKTION und als langjähriges Mitglied der Gewerkschaft IG Metall die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen bei aller Sympathie für den Willen zur Durchsetzung sozialer Grundrechte jedoch überwiegend skeptisch; insbesondere dann, wenn das bedingungslose Grundeinkommen als Ersatz für die von den Arbeitgeber_innen mit finanzierten sozialen Sicherungssystemen wie Renten-und Arbeitslosenversicherung verstanden wird.

Ich streite für eine Gesellschaft mit sozialen Mindeststandards und Mindestlöhnen, nicht aber für eine Gesellschaft, in der die Mehrheit nur noch auf Mindesteinkommensniveau lebt. Deshalb setze ich mich für gute Löhne und für die Wiederherstellung der vollen paritätischen Finanzierung und den Ausbau dieser sozialen Sicherungssysteme ein, damit sie für möglichst Viele wieder zu lebensstandardsichernden Ansprüchen oberhalb der sozialen Mindestsicherung führen.

Und die Vorstellung mancher Unterstützer_innen des bedingungslosen Grundeinkommens, solche Auseinandersetzungen um die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme gar nicht mehr führen zu müssen, führt aus meiner Sicht in die Irre, wo es z.B. in der Rentenversicherung darum geht, die Einbeziehung aller Erwerbseinkommen und höhere Beitragsbemessungsgrenzen durchzusetzen.

Skeptisch sehe ich die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen auch deshalb, weil eine Leistung, die auch denjenigen gezahlt wird, die sie nicht brauchen, dem Gerechtigkeitsgefühl der Mehrheit der Menschen widerspricht.

Deshalb werbe ich persönlich dafür, das soziale Grundrecht auf soziokulturelle Existenzsicherung - wie im Wahlprogramm der LINKEN vorgeschlagen - durch eine repressions- und sanktionsfreie soziale Mindestsicherung und eine Solidarische Mindestrente umzusetzen, ohne die sozialen Sicherungssysteme insgesamt in Frage zu stellen.

Ich freue mich auf eine anregende und fruchtbare Fortsetzung der Diskussion (nach der Bundestagswahl).

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr Matthias W. Birkwald

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