Frage an Patrick Breyer bezüglich Finanzen

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Patrick Breyer
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Frage von Balint V. •

Frage an Patrick Breyer von Balint V. bezüglich Finanzen

Die Bedeutung deutscher Wirtschaftsakteure für Ungarn ist immens. Insgesamt zählt die Bundesbankstatistik über 730 deutsche Firmen, die für rund 200 Milliarden Euro Umsatz in Ungarn sorgen und 174.000 Beschäftigte haben.

Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó sagte am 26. November 2018 bei einem Auftritt in Düsseldorf vor Journalisten, angesichts des herrschenden Fachkräftemangels hätten Unternehmen aus Deutschland die ungarische Regierung "seit Langem darum gebeten sicherzustellen, dass die Arbeitskräfte, die für ihre gesteigerten Investitionen nötig sind, auch zur Verfügung stehen".

Damit begründete der Minister die Notwendigkeit für ein umstrittenes Gesetz, das jährliche Überstunden im Umfang von 400 - statt bislang 250 - erlaubt. Arbeitgeber können sich mit der Vergütung dieser Mehrarbeit bis zu drei Jahre Zeit lassen.

Dieses Gesetz ist nur der neueste Punkt in einer langen Reihe von Maßnahmen der Orbán-Regierung, mit denen die Rechte von Arbeitnehmern eingeschränkt. Die Achtung und Schutz der EU-Werte und der Menschenrechte – darunter insbesondere auch der Rechte von Arbeitnehmern – ist in Deutschland eine Selbstverständlichkeit, die von allen politischen und wirtschaftlichen Akteuren anerkannt und respektiert wird.

Die deutsche Wirtschaft, die wie vielleicht keine andere Volkswirtschaft von der europäischen Integration profitiert, hat eine ganz besonders hohe Verantwortung dafür, in welche Richtung in Zukunft die Entwicklung in Ungarn und in der Europäischen Union gehen wird.

Macht sich deutsche Wirtschaft zum Komplizen des antidemokratischen, korrupten Autokraten Viktor Orbán wenn sie mit ihm glänzende Geschäfte schließt? Sollten Investoren nicht auch die Werte Europas vor Augen halten? Was werden Sie im Fall einer Wahl ins Europäische Parlament dafür tun, dass das Profitinteresse einzelner Wirtschaftsakteure nicht diejenigen stärkt, die um die Zerschlagung der europäischen Integration und damit auch des gemeinsamen Marktes bemüht sind?

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Sehr geehrter Herr V.,

danke für Ihre Frage.

Sowohl die Eindämmung des Einflusses der Wirtschaft auf die Politik als auch die Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit und der offenen Gesellschaft sind mir besondere Anliegen. Die autoritäre ungarische Regierung arbeitet an der Zerschlagung der freiheitlichen Grundordnung und der pluralen Gesellschaft. Und die deutsche Wirtschaft unterstützt sicherlich den Abbau sozialer Schutzstandards im Profitinteresse überall auf der Welt, wie es auch das Ziel vielfältiger "Handelsabkommen" ist.

Im Europäischen Parlament möchte ich mich für die Offenlegung und Begrenzung der Einflussnahme von Interessengruppen einsetzen. Der Einfluss von Geld auf die Politik ist eines der wichtigsten Korruptionsrisiken in der EU und eine Gefahr für ihr demokratisches Fundament. Politische Entscheidungen werden nicht im besten Interesse aller Bürger getroffen, wenn Unternehmensinteressen im Vordergrund stehen.

Konkret sollte das bereits bestehende Lobby-Register verpflichtend werden und mit einem transparenten Terminkalender im Internet verbunden werden: Jeder EU-Bürger sollte herausfinden können, mit wem sich der gewählte Vertreter traf, was der Zweck des Treffens war und was dort geschah.

Darüber hinaus sollte ein „legislativer Fußabdruck“ veröffentlicht werden: Alle an der politischen Entscheidungsfindung Beteiligten sollen ihre Zusammenkünfte mit Lobbyisten und schriftliche Unterlagen, die sie erhalten, veröffentlichen. Gesetzesentwürfe und Änderungsanträge müssen auf ihren ursprünglichen Verfasser zurückgeführt werden können.

Durchsetzbare Ethikregeln und ein Aufsichtsmechanismus sollten Lobbyisten daran hindern, übermäßigen Einfluss ausüben zu können.

Es müssen geeignete Regeln aufgestellt werden, um sicherzustellen, dass Amtsträger in keine Interessenkonflikte geraten, dass ihre Interessen angegeben werden und dass Fehlverhalten sanktioniert wird. Die Verhaltensregeln des Europäischen Parlaments und der EU-Kommission müssen reformiert werden. Für Intergroups und andere fraktionsübergreifende Arbeitsgruppen, an denen Abgeordnete und Lobbyisten beteiligt sind, sind wirksame Transparenz- und Ethikregeln erforderlich. Eine unabhängige Stelle sollte die Einhaltung überwachen und erforderlichenfalls Sanktionen verhängen. Umfassende Regeln zur Begrenzung von Seitenwechseln (Drehtür-Effekt) sind festzulegen.

Sachverständigengremien dürfen nicht länger von Geschäftsinteressen dominiert werden. Die EU-Kommission soll wirksame Vorkehrungen dagegen treffen, dass Konzerne Experten- und Beratungsgruppen, Technologieplattformen und EU- Agenturen kapern. Zurzeit findet eine unverhältnismäßig hohe Anzahl der Lobbytreffen von EU-Beamten mit großen Unternehmen statt. Diese Treffen sollten reduziert und mehr Zeit für die Belange von Bürgern, kleinen und mittleren Unternehmen sowie anderen derzeit unterrepräsentierten Interessengruppen aufgewendet werden.

Vor allem wollen wir, dass die Bürger sowohl in der politischen Debatte als auch im Entscheidungsprozess direkter und umfassender mitwirken können, um ein Gegengewicht zur Einflussnahme der Wirtschaft zu schaffen.

Das Europäische Parlament soll ein Instrument zur E-Partizipation an der Gesetzgebung einrichten. Bürger sollten über das Internet in der Lage sein, Gesetzesvorschläge öffentlich zu diskutieren, Änderungsvorschläge zu unterbreiten und online zu unterstützen (oder dagegen zu stimmen).

Das Europäische Parlament sollte seinen Bürgern regelmäßig seine Türen öffnen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Vorschläge und Anliegen direkt einer gemeinsamen Plenartagung mit Mitgliedern des Europäischen Parlaments und Mitgliedern der Europäischen Kommission vorzulegen. An diesen Sitzungen sollten auch die Teilnahme über das Internet und soziale Medien möglich sein.

Langfristig soll die direkte Demokratie auf EU-Ebene, d. h. EU-weite Abstimmungen über Verfassungsrevisionen und von Bürgern initiierte legislative Abstimmungen, eingeführt werden. Die Bürger sollen das Recht haben, bestehende Rechtsvorschriften aufzuheben und neue Rechtsvorschriften zu erlassen. So könnten Gesetzesbeschlüsse, mit denen Profitinteressen über Allgemeininteressen gestellt wurden (z.B. Zustimmung zum Konzernabkommen CETA), durch Volksentscheid aufgehoben werden können.

Gleichzeitig gilt es, ein Instrumentarium zur konsequenten Sanktionierung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit zu entwickeln. Denkbar sind etwa die Kürzung von EU-Mitteln, die keine Einstimmigkeit voraus setzt.

Ich hoffe, Ihnen mit diesen Antworten weiter geholfen zu haben.

Mit freundlichem Gruß
Patrick Breyer

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