Was tun Sie gegen die weitere Kapitalisierung im Gesundheitssektor in Schleswig Holstein, aktuell wird die Augenheilkunde von Finanzhaien aufgekauft?

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Petra Nicolaisen
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Frage von Alexander S. •

Was tun Sie gegen die weitere Kapitalisierung im Gesundheitssektor in Schleswig Holstein, aktuell wird die Augenheilkunde von Finanzhaien aufgekauft?

https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2022/Spekulanten-greifen-nach-Arztpraxen,arztpraxen112.html?mc_cid=2ed6e3b499&mc_eid=eeff8ee1ff
So hat etwa ein Londoner Finanzinvestor seit 2019 über einen Fonds in Luxemburg mehrere regionale Verbünde in Schleswig-Holstein gekauft und zu einer Kette mit dem Namen "Sanoptis" zusammengeführt. Sie beschäftigt nun in Kiel offenbar mehr als die Hälfte aller ambulanten Augenärzte.
Schon jetzt unterstützt der Staat mit Steuergeldern das Minus in den Krankenkassenbudgets - letztes Jahr mit 28 Milliarden EURO Steuergeldern.
Dank der CDU-Politik der vergangenen 16 Jahre wird auch der Gesundheitssektor jetzt massiv an die Börse gebracht. Das heißt in Zukunft noch mehr Gewinne der Vorstände und Aktionäre. Was wird uns die Gesundheit in Zukunft kosten, wenn diese 15% Gewinne machen müssen? Und was tun Sie dagegen?

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr. S.,

haben Sie vielen Dank für Ihren Hinweis auf die Recherchen von Christian Baars, Petra Blum, Brid Roesner und Anne Ruprecht im Rahmen einer Dokumentation für die Sendung „PANORAMA“ des NDR Fernsehens vom 7. April 2022.

Lassen Sie mich eines vorab sagen: Als CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag gehört zu unserem Grundverständnis der medizinischen Versorgung, dass die Gesundheit von Patientinnen und Patienten im Fokus der medizinischen Versorgung steht.

Für mich steht fest: Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen, Überdiagnostik, Übertherapie, fragwürdige und überflüssige Gesundheitsleistungen, Untersuchungen, Operationen, Behandlungen sowie auch nicht notwendige Arzneimittelverschreibungen schwächen nicht nur das Vertrauen in die Medizin und die praktizierenden Ärztinnen und Ärzte, sondern können Patientinnen und Patienten potentiell finanziell schaden und sie zudem gesundheitlich gefährden und belasten. Darüber hinaus werden wertvolle personelle, fachliche und finanzielle Ressourcen sowie Zeit im Gesundheitswesen gebunden.

Und Sie haben vollkommen Recht: Geschieht dies aus fehlgeleiteten Vergütungsanreizen oder rein ökonomischen Motiven versorgungsfremder (und versorgungsdesinteressierter) Finanzinvestoren (wie Gewinnmaximierung durch erhöhten wirtschaftlichen Druck auf Mediziner, erhöhte Umsatzbeteiligung von Ärztinnen und Ärzten, Erhöhung der Rendite bzw. überhöhte Renditeerwartungen durch zu erfüllende Vorgaben, Empfehlungen für ausschließlich wirtschaftlich lukrative Eingriffe oder Kostenreduktion zulasten der Qualität von Beratung und Behandlung), kann dies nicht nur moralisch verwerflich und unter bestimmten Umständen strafbar sein, sondern belastet – neben den betroffenen Patientinnen und Patienten  – ebenso Krankenkassen und deren Beitragszahler und damit unsere Solidargemeinschaft.

Ich kann daher sehr gut nachvollziehen, dass die in der NDR-Dokumentation beschriebene Tendenz einer Zunahme des Kaufs von Facharztpraxen bestimmter Facharztgruppen sowie der daraus resultierenden monopol- oder oligopolartigen Strukturen sehr skeptisch betrachtet wird. Ein möglicher steigender Einfluss von internationalen Finanzinvestoren im deutschen Gesundheitswesen ist mit Verunsicherung verbunden.  

Wichtig ist mir deshalb, an dieser Stelle zu betonen, dass auch ich – trotz der Notwendigkeit für eine bessere Datengrundlage zur Einschätzung der Sachlage – eine dahingehende Entwicklung sehr kritisch sehe.

In diesem Zusammenhang bietet unter anderem auch das Gutachten des IGES-Instituts im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) über „Versorgungsanalysen zu MVZ im Bereich der KV Bayerns mit besonderem Augenmerk auf MVZ im Eigentum von Finanzinvestoren“ Anhaltspunkte für eine stärker ökonomisch ausgerichtete Entwicklung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Die Autoren des Gutachtens empfehlen daher eine „Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Zulassung und den Betrieb von MVZ“. (Quelle: https://www.iges.com/kunden/gesundheit/forschungsergebnisse/2022/mvz/index_ger.html).

Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz) vom 22. Dezember 2011 wurde unter anderem der Paragraph 95 Absatz 1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) eingefügt. Demnach können Medizinische Versorgungszentren nur von zugelassenen Ärzten, von zugelassenen Krankenhäusern, von Erbringern nichtärztlicher Dialyseleistungen nach Paragraph 126 Absatz 3 SGB V, von anerkannten Praxisnetzen nach Paragraph 87b Absatz 2 Satz 3 SGB V, von gemeinnützigen Trägern, die aufgrund von Zulassung oder Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, oder von Kommunen gegründet werden. Für die am 1. Januar 2012 bereits zugelassenen MVZ galt ein Bestandsschutz.
(Quelle:
http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl111s2983.pdf). 

Aus meiner Sicht ist eine weitergehende gesetzliche Anpassung nun Aufgabe der derzeitigen Bundesregierung, die die aktuellen Entwicklungen (gegebenenfalls auch in Absprache mit den Bundesländern) evaluieren und vor allem Datenlage und Transparenz verbessern muss. Zugleich bin ich der Ansicht, dass die Bundesregierung die vielfältigen Anpassungsmöglichkeiten der gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen in dieser Frage zugunsten einer stärker patientenzentrierten Gesundheitsversorgung zu prüfen und im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens zeitnah einzubringen hat.

Hierbei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass Finanzinvestoren und somit investorengeführte MVZ auch dabei helfen können, die Qualität der Gesundheitsversorgung und -vorsorge zu verbessern. Es ist denkbar, dass MVZ vielerorts wichtige medizinische Anlaufpunkte in ländlichen Räumen darstellen. Zudem können durch finanziell aufwändige Modernisierungen und neue Technologien unter anderem verbesserte Untersuchungsgeräte sowie Laborinfrastruktur angeschafft, Ressourcen für spezielle Therapieangebote geschaffen, Bürokratie und Kosten gesenkt und Spezialisten für Fachpraxen gewonnen werden. In der vorbezeichneten NDR-Dokumentation wird beispielsweise erwähnt, dass ein Teil der Ärztinnen und Ärzte ein Angestelltenverhältnis gegenüber der Selbstständigkeit, nicht zuletzt auch auf Grund eines gesunkenen Organisationsaufwandes, präferiert.

Die vielfältigen Interessen im Gesundheitswesen und Auswirkungen auf die Versorgungslage müssen daher mitgedacht und berücksichtigt werden.

Sehr geehrter Herr S., seien Sie versichert, dass wir als Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag die weitere Entwicklung in dieser Frage genauestens beobachten und mögliche dahingehende Vorschläge der Bundesregierung kritisch, aber auch konstruktiv begleiten werden.

Bleiben Sie gesund!

Mit freundlichen Grüßen

Petra Nicolaisen 

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