Frage an Rainer Wieland bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Rainer Wieland
CDU
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Frage von Albert M. •

Frage an Rainer Wieland von Albert M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Abgeordneter,

die tschechische liberal-konservative Partei TOP 09 von Außenminister Karel Schwarzenberg hat die Mitgliedschaft in der Europäischen Volkspartei (EVP) beantragt.

Wie steht die CSU bzw. stehen Sie zu diesem Antrag?

Die Benes-Dekrete sind Ihrer (öffentlich mehrfach geäußerten) Ansicht nach mit dem EU-Wertekanon unvereinbar. Ist eine Partei, die eine Aufhebung der die Deutschen betreffenden Benes-Dekrete ablehnt (was die TOP 09 tut), reif für die EVP-Mitgliedschaft?

mit bestem Gruße
Albert Mayr

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Mayr,

auf Ihre Anfrage vom 19. November 2010 per www.abgeordnetenwatch.de nehme ich höflich Bezug. Ich bedaure, dass es etwas gedauert hat, Ihnen zu antworten. Es freut mich jedoch sehr, dass Sie sich mit Ihrem Anliegen an mich gewandt haben.

Mit Ihrer Anfrage bezüglich des Aufnahmeantrags der tschechischen Partei TOP 09 in die Europäische Volkspartei und dem Hinweis auf die Dekrete des Präsidenten der Republik (Bene¹-Dekrete) sprechen Sie ein Thema an, das ich für die Zukunft der Europäischen Union und insbesondere der deutsch-tschechischen Beziehung für enorm wichtig halte.

Wie Sie möglicherweise wissen, bin ich einer der Parlamentarier, die im April 2003 gegen den Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union gestimmt hatten. Nicht, weil ich grundsätzlich gegen den Beitritt war, sondern weil es meines Erachtens vernünftig und richtig gewesen wäre, man hätte den Streitpunkt Bene¹-Dekrete im Vorfeld geklärt, bevor man ihn in die Europäische Union hineingetragen hätte.

Betrachtet man die grundsätzliche politische Ausrichtung der TOP 09, kann man eine Wesensverwandtschaft zur EVP feststellen. Innerhalb der tschechischen Parteienlandschaft herrscht ein weitgehender Konsens bezüglich der Bene¹-Dekrete, wobei die TOP 09 diesbezüglich moderater als andere Parteien in Tschechien eingestellt zu sein scheint. Ich halte es in diesem Zusammenhang für außerordentlich wichtig, in einen konstruktiven Dialog mit konservativen und christdemokratischen Parteien zu treten, selbstverständlich auch kritisch und ohne die Differenzen zu beschönigen.

Auch wenn die Bene¹-Dekrete eine Reaktion auf zuvor geschehenes Unrecht waren, privilegiert sie dies moralisch nicht. Jedes Unrecht, das im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg, sowohl von tschechoslowakischer als auch von deutscher Seite verübt wurde, ist zu verurteilen. Moralisch abgewogen oder gar gegenseitig aufgerechnet werden kann es dagegen nicht. Im Gegenteil: Die Nachkriegszeit hat gezeigt, dass Vergleiche auf diesem Feld meist verunglücken und oft zu neuen Missverständnissen, Misshelligkeiten und Verletzungen führen.
In Deutschland sind wir bestrebt und werden es auch weiterhin sein, die Zeit des Nationalsozialismus politisch, historisch aber auch gesellschaftlich aufzuarbeiten. In der tschechischen Gesellschaft findet diese Aufarbeitung der eigenen Geschichte seit einiger Zeit vermehrt und vor allem auf sachliche Art und Weise statt. Aus meiner Sicht ist es wichtig, diesen Schritt zu begrüßen und zu unterstützen.
Vor diesem Hintergrund wäre es meines Erachtens das falsche Signal, eine Politik der Abgrenzung zu betreiben. Vielmehr halte ich es für wichtig, den Blick nach vorn zu richten und eine gemeinsame Basis zu finden. Dies schließt allseits notwendige Lehren aus der Geschichte keinesfalls aus.

Ob die TOP 09 reif für eine Mitgliedschaft in der EVP ist, wird sich im Rahmen weiterer konstruktiver Gespräche nach und nach herauskristallisieren. Ein abschließendes Urteil habe ich für mich noch nicht gebildet.

Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort dienlich gewesen zu sein. Sollten Sie weitere Fragen haben, können Sie sich selbstverständlich wieder an mich wenden.

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Wieland

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