Frage an Reinhard Bütikofer bezüglich Soziale Sicherung

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Reinhard Bütikofer
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Renate B. •

Frage an Reinhard Bütikofer von Renate B. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Bütikofer,

ich bin nach dem Sozialgesetzbuch schwerbehindert.
Meine Behinderung sieht man mir nicht an, ich sitze nicht im Rollstuhl, mir fehlen keine Gliedmaßen, trotzdem bin ich in meinem Leben eingeschränkt.

Im Urlaub im europäischen Ausland sehe ich, genau wie hier in Deutschland, an den Kassen von Museen etc, dass es Ermäßigungen für schwerbehinderte Personen gibt.
Diese Ermäßigungen kann ich nie in Anspruch nehmen, da es auf deutschen Behindertenausweisen keinen fremdsprachlichen Hinweis bzw. Zeichen (z.B. Rollstuhl analog Behindertenparkausweis) gibt und dieser Ausweis nicht europäisch harmonisiert ist.

Warum ist der Krümmungsgrad der Bananen und Gurken wichtiger als ein harmonisierter europäischer Schwerbehindertenausweis?

Vielen Dank im Voraus für Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Renate Biener

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Biener,

Vielen Dank für Ihre Frage bezüglich der Harmonisierung europäischer Schwerbehindertenausweise.

Wir sind gerade dabei ihre Fragen zu bearbeiten und werden uns so schnell wie möglich wieder mit Ihnen in Verbindung setzen.

Viele Dank für Ihre Geduld.

Mit freundlichen Grüßen,

Reinhard Bütikofer

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Biener,

hier kommt die lange versprochene inhaltliche Antwort.

Ich verstehe Ihren Unmut über die fehlende Harmonisierung eines europäischen Schwerbehindertenausweises. Die Gründe, warum dies so ist, sind tatsächlich schwer zu vermitteln. Ich kann Ihnen aber versichern, dass uns das Problem durchaus bekannt ist und wir daran arbeiten, eine Verbesserung zu erreichen.

Menschen mit Behinderung, vor allem diejenigen, deren Behinderung nicht sichtbar ist, erfahren leider zu oft Diskriminierung im EU-Ausland. Dies zeigt sich darin, dass ihnen ermäßigte Fahrkarten und Eintrittspreise, aber auch Sozialeistungen verweigert werden, auf die behinderte Staatsbürger im jeweiligen Land ein Anrecht haben. Entweder stammen die Menschen mit Behinderung aus einem EU-Mitgliedsstaat, der keinen Behindertenausweis ausstellt, oder aber dieser wird nicht anerkannt.

Die Forderung nach einem gemeinsamen Behindertenausweis könnte sich auf Artikel 21 (Nichtdiskriminierung) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union berufen. Dieser verbietet sowohl die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, Artikel 21(1), als auch aufgrund ihrer Nationalität, Artikel 21(2). Eine mögliche Harmonisierung hätte also eine Vertragsgrundlage.

Jedoch hat die EU keine Harmonisierungskompetenz im Bereich der Sozialpolitik. Da Sozialleistungen und Nachtteilsausgleiche, wie zum Beispiel Vergünstigungen aus Steuernmittel finanziert werden, obliegt den Nationalstaaten und nicht der EU deren Festlegung. Die EU kann lediglich die Mitgliedsstaaten zur gegenseitigen Anerkennung des Behinderten-Status und des Rechtes auf Nachteilsausgleich durch entsprechende Vorlagen anregen. Dies wird in der Verordnung 2004/883 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit geregelt.

Das Haupthindernis für einen harmonisierten europaweiten Behindertenausweis liegt allerdings in den unterschiedlichen Definitionen von Behinderungen, welche von den Mitgliedsstaaten verwendet werden, begründet. Wer wie schwer behindert ist, definieren nationale Behörden im Rahmen ihrer sozialen Sicherungssysteme. Ein harmonisierter Ausweis würde eine EU-weite Definition von Behinderung erfordern. Dies ist aber zum einen kurzfristig - realistisch - nicht zu erwarten und zum anderen besteht durchaus die Möglichkeit, dass Menschen mit Behinderung, die jetzt sozial besser gestellt sind, im Zuge einer Harmonisierung die Einschränkung oder Aberkennung ihrer Unterstützung droht. Daher ist auch das Interesse der Betroffenenverbände oftmals gering, eine EU einheitliche Definition von Behinderung durchzusetzen.

Wir Grünen halten kurzfristige Lösungen für wichtig, um Diskriminierung abzubauen und allen EU-Bürger/innen die gleichen Mobilitätschancen zu eröffnen. Deswegen treiben wir politische Aktionen zur gegenseitigen Anerkennung nationaler Behindertenausweise über die Verordnung 883/2004 voran. Dadurch werden Betroffene mit Staatsbürgern des Gastlandes gleichgestellt und erhalten den gleichen Nachteilsausgleich, ohne Gefahr zu laufen die Vorteile, die sie eventuell exklusiv in ihrem Heimatland genießen, zu verlieren.

Ich hoffe ich habe Ihre Frage damit beantwortet und die Schwierigkeiten aufgezeigt, die mit einem harmonisierten europaweiten Behindertenausweis einhergehen.

Mit freundlichen Grüßen,

Reinhard Bütikofer

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