Frage an Reinhard Bütikofer bezüglich Finanzen

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Reinhard Bütikofer
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Frage von Hein und Hannelore M. •

Frage an Reinhard Bütikofer von Hein und Hannelore M. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Bütikofer,

Als Rentner habe ich die Befürchtung, dass mein Erspartes infolge der Staats und Bankenschulden bald nichts mehr wert ist.
Wie sollen all die Rettungsschirme funktionieren, wenn die Banken zurzeit ca. 12,5 Billionen Euro Schulden haben. D.h. 3-mal mal so viel wie die Staatsschulden der Euroländer.
Wie konnte es überhaupt zu solch hohen Schulden kommen? Hier muss ja die bestehende Bankenaufsicht und die Politik total geschlafen haben.
Jetzt will man eine Europäische Bankenaufsicht installieren. Das wird aber die Banken nicht daran hindern, weiter zu Zocken und sich hoch spekulative Papiere aus aller Welt zu beschaffen.
Mit welchen Maßnahmen wollen Sie als Europa-Politiker, dieses Bankenproblem lösen?
Und wie wollen Sie mein Erspartes schützen?

Mit freundlichen Grüßen

Hein-Dieter Margraf

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Sehr geehrter Herr Margraf,

Sie haben mir vor etlichen Monaten schwere Fragen gestellt. Befürchtungen, wie Sie sie ausdrückten, hatten sicher viele Menschen. Wahrscheinlich haben auch viele diese Sorgen immer noch.

Was helfen gegen Sorgen Beteuerungen? Für sich alleine nützen sie wenig. Vertrauen kann nur durch wirksames Handeln aufgebaut werden. An dem Maßstab gemessen, ist die Eurozone und mit ihr die ganze EU heute auf sichererem Grund als vor einem halben Jahr, aber gewiss längst nicht am Ziel. Große Gefahren lauern immer noch.

Die aktuelle Angst vor einem Auseinanderbrechen des Euro ist zweifellos zurück gegangen. Das würde ich vor allem den Maßnahmen der Europäischen Zentralbank zugute schreiben. Die Spekulation gegen die Schuldtitel einiger EU-Länder hat nachgelassen. Das Projekt einer einheitlichen europäischen Bankenaufsicht ist voran gekommen.

Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), der größte Rettungsschirm, den wir derzeit haben, könnte alleine die Stabilität des Finanzsystems nicht retten. Aber er trägt zur Stabilisierung bei. Zudem müssen die Banken für ihre Risiken mehr Kapital bereit halten. Die Staaten müssen aufhören, der schweren Wahl zwischen Einschränkung der Staatsausgaben einerseits und Erhebung ausreichender Steuern andererseits durch Erhöhung ihrer Schulden davon laufen zu wollen. Wir Grüne vertreten in diesem Zusammenhang etwa die Einführung einer Vermögensabgabe für hohe Vermögen, um Schulden abbauen zu können. Wir brauchen in der Eurozone ebenso solide wie solidarische Modelle des Schuldenabbaus für die überschuldeten Länder. Vom einseitigen und immer tiefer einschneidenden Sparen allein ist noch kein Land je aus einer Krise gekommen.

Jenseits von akutem Krisenmanagement brauchen wir aber für eine tragfähige Antwort auf die tiefe Finanzkrise dreierlei:

- Mehr europäische Koordination in der Wirtschafts- und Finanzpolitik! Das muss die Steuerpolitik einschließen. So lange in der EU einzelne Länder untereinander einen Steuersenkungswettlauf veranstalten, verlieren alle. Warum können nicht zum Beispiel wenigstens Frankreich und Deutschland sich auf ein gemeinsames Modell der Unternehmensbesteuerung einigen? Es geht auch nicht, dass Überschussländer in der EU so tun, als wäre die Anpassung von wirtschaftlichen Ungleichgewichten immer nur Sache der Defizitländer.

- Ein neues Modell dauerhafter Wettbewerbsfähigkeit! Mit Sozial-Dumping ist keine europäische Zukunft zu gewinnen. Eine moderne Wirtschaft muss sozial inklusiv sein und sich ganz ökologisch-innovativ auf effizienteren Umgang mit Rohstoffen und Energie konzentrieren. Es muss sich rechnen, wenn jemand langfristig denkt und in Zukunft investiert, statt nur kurzfristigen Renditezielen zu folgen.

- Die ökonomische Machtkonzentration muss begrenzt und in verschiedenen Bereichen, etwa bei den Finanzinstituten und in der Energiewirtschaft, zurück gebaut werden. Ohne Wirtschaftsdemokratie keine auf Dauer funktionierende Wirtschaft. Deshalb müssen gemischtwirtschaftliche Traditionen wie im Genossenschaftswesen, bei gemeinnützigen Unternehmen, bei Sparkassen, in der öffentlichen Daseinsvorsorge oder bei der wirtschaftlichen Mitbestimmung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geschützt und gestärkt werden. Auf Neu-Deutsch: stakeholder statt nur shareholder.

Hat "die Politik" in der Vergangenheit "total geschlafen", wie Sie schreiben? Vielleicht auch das ein bisschen. Vor allem aber gab es eine falsche Orientierung an der Ideologie des "freien" Marktes, die eine tiefe historische Erkenntnis ignorierte: Märkte brauchen eine Marktordnung, sonst verkommen sie zum Instrument der unkontrollierten Dominanz der Stärkeren.

Gemessen an den genannten drei großen Aufgaben, sind wir erst am Anfang eine schwierigen Weges. Ihr Erspartes ist, wenn Sie sich nicht mit unseriösen Angeboten verspekuliert haben, gegenwärtig wohl sicherer als es Ihnen im letzten Jahr vorkam. Ich glaube, dass niemand ein Patent-Rezept hat, wie wir auf jeden Fall aller Risiken Herr werden. Das kann Ihnen seriös auch sonst keiner versprechen. Aber als Faustformel würde ich sagen: Ohne soziale, ökologisch-innovative und demokratisch verantwortliche Wirtschaft bleibt Sicherheit ganz gewiss eine Illusion.

Für Ihre Unterstützung auf dem Weg, den ich skizziert habe, würde ich mich freuen.

Mit freundlichen Grüßen,

Reinhard Bütikofer

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